Predigt zu Offenbarung 7, 9-12
27. Dezember 2011
Liebe Gemeinde! Von dem Theologen Dietrich Bonhoeffer stammt der Satz: „Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott!“ Nicht, dass ich enttäuscht wäre über das, was mir an Wünschen für dieses Weihnachtsfest tatsächlich erfüllt worden ist. Ich fühle mich reich beschenkt in diesen Tagen! So habe ich etwa bekommen wirklich volle Tage: Eine große Schar von Menschen, die sich am Heiligen Abend hier im Dom zusammengedrängt haben, um zu hören und zu singen und zu feiern den Zauber der Heiligen Nacht; eine etwas kleinere Schar von lieben Menschen um mich herum bei uns im Hause, ein Haufen von Geschenken für mich unter dem Weihnachtsbaum… Wunderbar – es wurde mir sogar der eine oder andere Wunsch erfüllt, von dem ich selbst überhaupt gar nichts geahnt hatte. Nun, und den einen oder anderen Wunsch, den ich schon lange habe, den trage ich eben weiter mit mir. Wer wünscht, erwartet etwas vom Leben. Nicht wunschlos macht glücklich, sondern wünschen können, ist ein Segen!
Für die großen Verheißungen Gottes gilt, dass er sie erfüllen wird. So jedenfalls bezeugt es die gesamte Heilige Schrift vom ersten Satz an bis zum letzten. Der Predigttext für heute ist eine der großen Gottesversprechen. Es steht in der Offenbarung des Johannes im 7. Kapitel:
„Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
Der Seher Johannes erzählt hier seine Vision von der großen Schar aus allen Völkern der Erde, die hinaufziehen zum Thron Gottes und zu dem Lamm. Ein Stimmengewirr aus allen Sprachen der Erde, die durcheinander schreien und jubeln und loben; ein wilder Haufen von Menschen in weißen Kleidern, die sich gar nicht wieder einkriegen und mit Palmzweigen herumschwenken wie mit flatternden Fahnen, die den Sieg verkündigen, den Sieg Gottes über alle Schrecken, über Tod und Teufel: „Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit…“ Es muss wohl etwa so phantastisch geklungen haben wie Georg Friedrich Händel diese Stelle in seinem „Messias“ vertont hat: Überschwang pur mit Pauken und Trompeten.
Jedenfalls, liebe Gemeinde, es sieht ganz so aus wie ein großes Pfingstfest in Jerusalem – alle sind berauscht und beseelt vom Enthusiasmus des göttlichen Geistes, Feuer und Flamme für ihren Gott, der alles neu macht: Neues Leben beginnt für alle und jeden. So jedenfalls nimmt die Vision des Johannes die große Völkerwallfahrt zum Zion auf, die bei den Propheten des Alten Testaments vielfach eindrücklich beschrieben wird. Und diese universale Heilshoffnung ist bis heute lebendig und stark bei den Menschen jüdischen Glaubens, die in ihren Synagogen bei uns im Lande und weltweit weiter tragen die Hoffnung, dass diese heilvolle Wallfahrt sich ereignet schon bald, damit endlich ein Ende haben wird der Hunger und die Gewalt, damit endlich Gott abwischen wird alle Tränen von den Augen der Menschen.
Und wir Christen wissen – darum feiern wir Weihnachten: das Lamm, Jesus Christus, ist der Herr über alles Leben. Mit ihm hat Gott wunderbar gehandelt, der Welt einen neuen Geist eingegeben, den Geist der Liebe und der Barmherzigkeit, der Gnade und des Friedens. Mit ihm dürfen alle Kreaturen neu anfangen: reine Westen haben, weil Jesus, das Lamm, alle Schuld, alles, was lastet und quält, auf sich nimmt, uns abnimmt, damit wir leicht und erleichtert ausschreiten können: frei aus Gnade und frei, selber zu lieben und zu geben und zu teilen und aufzustehen gegen alles, was das Leben bedroht und in Frage stellt! Einen „fröhlichen Wechsel“ nennt Martin Luther das! Gott wird Mensch, damit wir menschlich werden können! Damit wir ablegen können alle selbst auferlegte Göttlichkeit und nicht länger anbeten müssen weltliche Herrlichkeit und Herrschaft! Die Offenbarung des Johannes, dieses Buch voller Visionen und Bilder, nimmt die Sehnsuchts-Gefühle auf, die Retter-Erwartungen. Es verarbeitet die Verheißungen Gottes und die Worte der Propheten, die alten Bilder von der Ankunft des Messias und dem Gericht Gottes zu einer Heilsgeschichte gewaltigen Ausmaßes. Der Seher der Offenbarung gibt sozusagen Einblick in den aufgerissenen Himmel.
Da ist an dem Thron Gottes das Lamm, die Erlösung aus allem, was rätselhaft, unerlöst ist. Das Lamm, das selber gequält und gefoltert, geschlachtet wird. Auf Bildern immer wieder mit der Siegfahne dargestellt. Immer schon hat die Gemeinde in dem Lamm den leidenden Gottesknecht erkannt und geglaubt, in ihm den gekreuzigten Christus bekannt. Dieses Lamm am Thron Gottes ist das Symbol für das ohnmächtige Leiden, das Christus auf sich nimmt, für den Weg, den die Liebe zu gehen hatte, weil sie sich selbst treu bleiben wollte. Es ist das Kreuz Christi, der Karfreitag des Gottessohnes, auch an Weihnachten nicht fern. Gott bleibt nicht in der Krippe. An seinem Leben, an seiner Liebe, an seinem Widerstand gegen die Mächte der Welt bekommt die Sehnsucht Richtung und Inhalt. In dem Lamm begegnen wir dem, der seinen Jüngern nach Ostern erscheint: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.“
„Jesus Christus ist der Herr!“ Weihnachten wird dieses älteste aller Glaubensbekenntnisse erinnert, erneuert. „Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Das ist Teil der Krönungsliturgie, mit der man in der alten Welt Könige auf den Thron gehoben hatte. Sie erklingt nun als himmlische Liturgie, und als die Menschen sehen, dass Gott es ernst meint mit seiner Hingabe, da bricht der Jubel los, Klage wandelt sich in Lob!
Im Gotteslob löst sich alle Angststarre, gewinnen neue Lebenskräfte Raum, wird Altes hinter sich gelassen. Dem Licht entgegen streckt, hört, singt, jubelt und glaubt die Welt!
Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen! Gegen Schmidts sarkastischen Realismus steht der biblische Satz des Propheten: Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde! Denn der Mensch, der sich festnageln lässt auf scheinbar harte Fakten und nackte Realitäten, der wird verdursten und vertrocknen, weil er ersticken wird an seiner Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit; der wird die Orientierung verlieren in einer komplexen und verwirrenden Welt.
In unseren Tagen denke ich an die Debatten um Europa und die so genannte Krise des Euro: Die Bundeskanzlerin hat den Satz geprägt: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa! Ja, das mag richtig sein – aber, ist es nicht weit darüber hinaus richtig, dass wir Europäer vor allem eine Vision brauchen, die die Menschen auf die Beine bringt für ein geeinigtes, friedliches und wohnliches Haus mit dem Namen „Europa“; eine Vision davon, wo wir Europäer eigentlich miteinander hin wollen, eine Vision, für die es sich lohnt, politisch und kulturell einzutreten und zu arbeiten. Wir brauchen die Vision, dass es möglich ist, trotz der unterschiedlichen Kulturen und Geschichten Trennendes zu überwinden, die großen Errungenschaften und Gaben zueinander zu bringen, den anderen nicht als störend, sondern als Bereicherung zu erleben; das Scheitern des einen nicht mit Verstoß zu ahnden, sondern mit Solidarität zu beantworten. Visionen sind immer Gemälde des Ersehnten, Korrekturen der Realität. Sie weisen immer weg von uns selbst und hin auf eine Größe außerhalb unserer denkbaren Wirklichkeit. Darum werden Visionen mit Leben erfüllt nicht, wenn wir nur von uns selbst her denken: Egoismus ist das Ende von Visionen! Wenn wir versuchen die Welt zu verstehen mit den Ohren und Augen der anderen: dann weitet sich das Gesichtsfeld, dann kommen zusammen die, die verschiedene Sprachen sprechen und doch eines Geistes sind. Nicht zuletzt darum streiten viele darum, dass in ein Europäisches Verfassungswerk der Gottesbezug eingetragen wird: es gibt in der Realität der Welt noch eine andere, die höher ist als alle Vernunft, die Realität Gottes. Alle Religionen strecken sich danach aus, dass etwas, das höher ist als unsere Vernunft, die Herzen regiere, damit die Welt gut und gerecht regiert werden kann!
Nach diesen Tagen verpacken viele die Requisiten ihrer Träume wieder und verstauen sie bis zum nächsten Jahr im Keller, der Baum des Lebens kommt zur Sammelstelle. Weihnachten entscheidet sich daran, dass die Visionen und Bilder vom guten Leben, von der Fülle und dem Frieden sich eingebrannt haben in unsere Herzen, Schmuck und Licht bleiben unserer Tage.
Die große Vision des Johannes lehrt mich, dass es nicht darum gehen darf, stehen zu bleiben wo man ist und gleichsam anzustarren den Thron und das Lamm. Sondern es gilt, sich umzudrehen und sich auf den Weg zu machen – ganz so wie die Hirten es in der Heiligen Nacht getan haben. Die hatten ja auch eine Erscheinung gesehen – eine Vision gehabt – und dann sind sie hin gegangen, nicht zum Medicus, sondern zum Stall, nur auf das göttliche Wort, auf seine Verheißung hin. Und dann haben sie gesehen und gehört, was Sache ist, und das hat sie mit power neu, anders auf ihren Weg gebracht, nämlich nun hin zu den Leuten, zurück in den Alltag, um weiter zu erzählen, was sie da gesehen und gehört hatten: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude! Denn euch ist heute der Heiland geboren!“
Es ist also erfolgt eine große Wende des Blicks auf ihr Leben und ihre Welt. Ihr Blick hat sich umgewendet, sie haben Stall und Krippe und Kind im Rücken behalten und sich aufgemacht und dabei mit großen Augen gestaunt und geschaut auf das, was es anzupacken gilt, um den Frieden Gottes weiter auszubreiten. So, liebe Gemeinde, ist es auch hier: Den Thron und das Lamm im Rücken und im Herzen, sollen die Leute sich neu aufmachen und auf die Beine helfen dem Frieden und der Gerechtigkeit.
Der himmlische Gesang bleibt nicht im Himmel. Alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darinnen ist, stimmt ein: „Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit“.
Dieses neue Lied ist ein Glaubenslied, das singt von befreienden Erfahrungen, die Menschen mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen gemacht haben: Lahme gehen, Blinde sehen, Gefangene werden frei! Es singt von der Liebe, die den Tod überwindet. Es singt von der Erhöhung derer, die diesem Herrn glauben: ihr seid das Salz der Erde, das Licht der Welt. Es singt in das Schweigen der Ratlosen hinein. Es singt vom Trost der Welt. Der Lobgesang, der das ganze Leben füllen will, ist Antwort auf Gottes Geschenk an uns: euch ist der Heiland geboren!
Wir sind reich beschenkt. Und darum können wir einstimmen in das große Lob Gottes vor Thron und Lamm: „Gloria in excelsis Deo!“
Amen.