Predigt zum 550. Gründungsjubiläum der Universität Greifswald über Lukas 8, 4-8
17. Oktober 2006
Liebe Festgemeinde,
ein Gottesdienst erweitert unsere Wirklichkeit. Wir brechen auf zu einer Macht, die unser Leben bestimmt, die aber gleichzeitig unsere Definitionen übersteigt. Wenn wir einen Gottesdienst feiern, rechnen wir damit, dass es „mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als sich eure Schulweisheit träumen lässt“.
Vor 550 Jahren wurde die Greifswalder Universität in dieser Kirche gegründet. Die Verbundenheit von Kirche und Wissenschaft war damals im Bewusstsein tief verankert. Von dem vor den Toren der Stadt liegenden Kloster Eldena aus hatten die Zisterzienser das Land kultiviert und die Bildung in dieser Region befördert. Im Jahr 1456 legitimierte dann Papst Calixt III die Greifswalder Universität und setzte den Bischof von Kamin zum Kanzler ein. So eng waren Kirche und Bildung miteinander verwoben, dass die Universität förmlich aus der Kirche hervorging. Beim Gründungsakt der Universität Greifswald vor 550 Jahren berief man sich auf dieses Gleichnis, das Jesus vor 2000 Jahren erzählt hatte. Dieses Wort verbindet Zeiten und Räume. Wenn wir Worte des Jesus von Nazareth heute in einem Gottesdienst lesen, dann stellen wir damit unser Wollen und Vollbringen in den Raum, der von seiner Botschaft eröffnet worden ist.
Was meint aber Jesus, wenn er der großen Menschenmenge, die ihn hören wollte, ein solches Gleichnis erzählt? Da ging jemand aus, um seinen Acker zu bestellen und sät. Nach palästinischer Weise wurde damals der Samen zuerst ausgebracht und anschließend gepflügt. Nur so ist es zu erklären, dass so viel Samen ohne Frucht bleibt. Ein Viertel fressen die Vögel, ein Viertel fällt auf felsigen Boden und verdorrt, ein Viertel fällt ins Dornengestrüpp, ins Unkraut und kann nicht aufgehen. Nur ein Viertel fällt auf fruchtbares Land und bringt reichlich Frucht. War damals eine siebeneinhalbfache Vermehrung des ausgebrachten Samens eine normale Ernte und eine zehnfache eine sehr gute, dann war eine hundertfache Ernte eine sagenhafte, unglaubliche Vermehrung der Frucht.
Was wollten die Gründungsväter der Universität Greifswald mit diesem Wort sagen? Wollten sie das Lehren mit dem Säen des Samens vergleichen? Dann liegt im Gleichnis bei aller Einsicht in die Gefahr ergebnisloser Bildungsbemühung ein Trost. Sicher, Forschung und Lehre sind immer ein mühsames Geschäft. Vieles fällt nicht auf fruchtbaren Boden und bleibt folgenlos. Aber manches wird aufgenommen. Und dann passiert es, dass das Wissen förmlich explodiert und die Welt verändert.
Wissenschaftliche Arbeit lebt vom hohen Einsatz. Jeder, der lernt, lehrt und forscht, weiß, dass es mit einem 8-Stunden-Tag nicht getan ist. Aber wenn die Saat aufgeht in den Köpfen und auf den Festplatten und in den Servern, dann kann die Ernte hundertfach und heute vielleicht noch mehrfach sein.
Aber manchmal frisst die wissenschaftliche Arbeit auch das Leben auf. Und bei allem Glanz und allen Erfolgen von 550 Jahren Greifswalder Wissenschaftsgeschichte gibt es hinter diesem Glanz auch eine Geschichte vom persönlichen Scheitern, vom Nichterreichen der eigenen Ziele und vom schuldig werden an anderen Menschen, seien es die Lebenspartner, die Kinder, die Mitarbeitenden, die eigenen Schüler. Auch dem größten Forscher, und sei er Nobelpreisträger, ist nicht möglich, nur von Erfolg zu Erfolg fortzuschreiten. Jeder Mensch hat seine Schattenseiten, nicht nur Ernst Moritz Arndt.
Jesus von Nazareth lädt uns zu einem Leben ein, das aus einer Beziehung zu Gott lebt. Wer in einer bewussten Beziehung zu Gott, seinem Schöpfer lebt, kann auch seine Schwächen aushalten, sich seine Schuld vergeben lassen und so in seinem Leben verändert werden. In der Nachfolge Jesu kann das ganze Leben mit seinen Höhen und Tiefen, Erfolgen und Versagen zusammengehalten werden.
Indem wir heute das Wort dieses Jesus Christus hören, knüpfen wir an an dieses zentrale Element unserer Kultur. Die Bibel ist eine unerschöpfliche Ressource für Sinnstiftung. Manche vergessen heute diese Quelle unserer Kultur. Zurecht hat deswegen Jürgen Habermas, der Frankfurter Philosoph und Vater der Diskursethik, der sich selbst für „religiös unmusikalisch“ hält, daran erinnert, dass für die Meinungsund Willensbildung in unserer Gesellschaft die religiösen Ressourcen nicht abgeschnitten werden dürfen. „Auch aus säkularer Sicht“ sei es plausibel zu machen, „dass religiöse Überlieferung nicht schlechthin irrational oder sinnlos ist.“ Es gibt dafür aber eine Voraussetzung. Die religiösen Bürger müssten lernen, ihre eigenen Glaubensüberzeugungen in ein durchdachtes Verhältnis zu den anderen Religionen und Weltanschauungen zu bringen, und sie müssten dies im Dialog mit den Wissenschaften tun. Darum gehört auch eine Theologische Fakultät an die Universität. Hier soll der schlichte Gemeindeglaube lernen, die eigenen Glaubensüberzeugungen zu reflektieren und sie argumentativ dem religiösen und weltanschaulichen Pluralismus zu vermitteln. Wohin nicht reflektierter und nicht aufgeklärter Glaube führt, zeigt uns der an vielen Stellen in dieser Welt zur Zeit aufblühende Fundamentalismus. Wird der Glaube aufgeklärt und reflexiv betrieben, kann er Sinn und Orientierung stiften. In einer Zeit knapper Sinnressourcen wäre es töricht, auf die Kraft zu verzichten, die unsere Kultur hervorgebracht hat.
Als vor ziemlich genau einem Monat Papst Benedict XVI. einen viel diskutierten und kritisierten Vortrag in der Aula der Universität Regensburg gehalten hat, ging es ihm eigentlich darum, aufzuweisen, dass dem Wesen Gottes nur vernunftmäßiges und gewaltloses Handeln entspricht. Die Reaktion des Fundamentalismus auf diese kluge Rede, in der nur ein Zitat etwas unüberlegt gewählt worden war, scheint mir genau diesen Grundgedanken zu unterstreichen.
Die christliche Religion ist eine aufklärerische Religion. Sie kann alle äußeren Stützen in Frage stellen, weil sie von einem inneren Bezugspunkt gehalten wird. Es ist ein Bezugspunkt, der gleichzeitig Profil und Weite gibt.
In einem Bild möchte ich es mit einem Rad vergleichen. Ein Rad funktioniert nur, wenn es eine Mitte hat, eine Radnabe, von der die Speichen nach Außen gehen und das Rad stabilisieren. Ein Rad ohne diese Mitte funktioniert nicht. Die Wissenschaft läuft rund, wenn sie Gott ehrt. Die Wissenschaft weiß um ihre Grenzen und ihre Möglichkeiten, wenn sie Ernst macht mit dem alten biblischen Satz, dass Gottes Furcht der Weisheit Anfang ist. Dies ist die Mitte.
Was aber hat Jesus mit seinem Gleichnis eigentlich gemeint? Er kontrastiert das trostlose Brachland und die mühsame Arbeit der Aussaat mit dem Ergebnis. Am Ende steht ein wogendes Feld mit einer unglaublichen Ernte. So beginnt aus den zarten Anfängen das Reich Gottes zu wachsen. Gott macht unser Leben zu etwas Ganzem, in dem Höhen und Tiefen zusammengehalten werden. In diesem Gleichnis von den kleinen Anfängen, den vielen Misserfolgen und der großen Frucht am Ende liegt eine unglaubliche Verheißung. Gott setzt sich mit seiner Kraft am Ende durch. In dem er die orientierende Instanz in unserm Leben und Forschen ist, kommt unser Leben zum Ziel. Genau diese Erkenntnis aus der Verkündigung Jesu nimmt der Apostel Paulus auf, wenn er – wie wir es in der Lesung gehört haben – feststellt: In Christus liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen (Kol. 2, 3). Amen.
Bibeltext:
Lukas 8, 4-8: Vom Sämann
4 Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:
5 Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf.
6 Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.
7 Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's.
8 Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!