23. Februar 2023 | St. Lorenzkirche zu Travemünde

Predigt zum Beginn der Landessynode der Nordkirche

23. Februar 2023 von Kirsten Fehrs

Matthäus 6, 16-21

Gnade und Friede von dem, der da ist, der da war, der da kommt.

Liebe Geschwister,
alles beginnt mit der Sehnsucht, so haben wir es eben gehört. Die Sehnsucht nach mehr, nach Größerem, nach Menschlichkeit, die tapfer bleibt. Berührend finde ich stets, wie wir dies auf unseren Synoden miteinander teilen, gerade an einem Tag wie heute. Nicht nur Synodenbeginn, das auch. Aber vor allem Kriegsbeginn, immer noch und immer wieder, vor fast genau einem Jahr. Erinnert Ihr euch noch, als wir am 24. Februar `22 fassungslos in diesem eigentümlich-glitzernden Sitzungssaal des Maritim gesessen haben? In diesem Raum mit Kunstlicht, ohne die Sonne der Gerechtigkeit, aber im Schatten dieses quälend menschenverachtenden Angriffskrieges. Wie wir mühsam versucht haben, eine Tagesordnung zu finden, zu der wir übergehen konnten. Und wie uns dies dankenswerterweise nicht gelang. Wie es uns die Sprache verschlug und unser kluges Präsidium sagte: Wir halten inne. Und dann las Elke König die geliehenen Worte von Jewgeni Jewtuschenko:
Meinst du die Russen wollen Krieg?
Befrag die Stille, die da schwieg.
Frag Mütter, die seit damals grau,
befrag doch bitte meine Frau.
Die Antwort in der Frage liegt:
Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Eine Frage, die sich jetzt an Präsident Putin richtet - glaubst Du wirklich, Dein Volk will diesen Krieg? Und so stürzt der Despot im Kreml gleich zwei Völker ins Unglück.
Ein Jahr später fühle ich immer noch die Ohnmacht, die in dieser Frage liegt. Denn „wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht“ heißt es. Wenn die Waffen sprechen, ersticken Friedensworte. So jedenfalls haben wir das in diesem hinter uns liegenden Kriegsjahr doch erlebt. Die Friedenstauben der Sehnsüchtigen sind längst verflattert. Stattdessen richten sich die Hoffnungen auf Pumas, Leoparden und Marder. Doch was, wenn auch sie nicht helfen? Welche Tierwesen schicken wir dann? Größer, stärker, furchterregender. Angst greift um sich. Und betroffenes Schweigen ist eingetreten bei so vielen, ja auch unter uns, die am liebsten laut und eindeutig für den Frieden eintreten wollten. Geht eben nicht so einfach. Zerrissen das Herz ja immer noch.
Denn auch das erleben wir: Wie man jene beschimpft, die doch nur für die jeweils andere zerrissene Herzhälfte stehen - die einen als Kriegstreiber, die anderen als Friedensphantasten. Ja, es braucht jetzt unsere Sehnsucht, liebe Geschwister. Trotz all der Ohnmachtsgefühle und immer wieder Fassungslosigkeit, die mich umtreiben, bin ich sicher: Es lohnt jede Minute sich zu sehnen. Denn wer sich sehnt, bewegt sich, kehrt um auf den Weg des Lernens, um wirksame Worte und entwaffnende Einsichten zu finden.
Doch wie können wir dies angesichts eines Angriffskrieges tun, in dem das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine völkerrechtlich unbestritten bleiben muss und in dem zugleich der russische Despot in keinster Weise zu Verhandlungen bereit ist, im Gegenteil, in dem die Brutalität der Gewalt jeden Tag zuzunehmen scheint? Wir müssen uns eingestehen, dass wir keine Antwort haben. Wir haben als Christinnen und Christen allerdings einen Auftrag, und der lautet: Trotz aller Gewalt vom Frieden her denken. Den Überfallenen Hilfe zu leisten, der Gewalt zu wehren, ja klar - und doch immer zu wissen: Selig sind die Friedfertigen. Wir haben den klaren Auftrag Jesu, vom Frieden her zu denken und nicht vom Krieg. Vom Neuanfang, nicht vom Ende. Von der Umkehr und Verwandlung her und nicht von der Alternativlosigkeit. Weil Gottes Möglichkeiten zum Leben größer sind als unsere menschlichen Denkhorizonte! Wer, wenn nicht wir, sollte diese Botschaft stark machen?

Übrigens, hier berührt sich die bedrückende Weltlage mit unserer Suche nach einem Weg in die Zukunft unserer Kirche: Wie selbstverständlich stehen wir für den Frieden, für eine gewaltfreie Lösung von Konflikten, für Menschenrechte und eine gerechte Weltordnung! Wie selbstverständlich liegt uns das am Herzen. Gut so!
Aber lasst uns doch im guten Sinne des Innehaltens in dieser Fastenzeit auch mit Wahrhaftigkeit auf unsere Geschichte schauen: Dass Kirchen oft auf der Seite von Macht und Herrschaft standen, dass sie Angriffskriege gerechtfertigt haben und Waffen gesegnet. Nicht umsonst ja erfüllt uns Entsetzen, wenn wir heute auf die nationalistische und kriegsverherrlichende Haltung der Russisch-orthodoxen Kirche, insbesondere des Patriarchen Kyrill schauen. Es war ein Weg innerhalb der evangelischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg hin zu einem neuen Bewusstsein, zu der Haltung Jesu, die dem Wort mehr zutraut als der Gewalt. Was für eine Veränderungsgeschichte unserer Kirche! Lasst uns die erzählen, auch uns selbst. Lasst uns daran arbeiten, dass diese mitunter schmerzvoll errungene Haltung auch in das eindringt, was wir unsere Strukturen nennen: Dass auch sie nicht obrigkeitlich daherkommen. Sondern dass sie uns Menschen entsprechen, uns friedenssehnsüchtigen, mit einer unverlierbaren individuellen Würde ausgestatteten Geschöpfe Gottes, die wir innerhalb und außerhalb unserer Kirche nach Hoffnung suchen und nach Glauben und Liebe. Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Im Himmel. Und bei den Menschen! Und nicht bei den Besitzständen, die wir nicht halten können. Das ist doch der Sinn des Fastens: dass das Herz dort ankommt, wo es sein will. Bei seiner Sehnsucht.

Alles beginnt mit der Sehnsucht. Denn wer sich sehnt, geht, dreht sich, ja kehrt um. Will, dass sich das Klima ändern möge, auch das gesellschaftliche. Die Spannungen jedenfalls nehmen zu. Und dazu gehört auch, so meine Beobachtung, dass alte Einordnungen wie „politisch rechts–links“, „oben-unten“, „Pazifistin-Nichtpazifist“ letztlich nicht mehr greifen. Vielmehr läuft die Trennlinie zwischen denen, die sich öffnen wollen – für die Zukunft, für die Welt, für Andere, für Neues. Und denen, die verschlossen sind – weil es das vermeintlich Sichere ist. Weil Infragestellung Angst auslöst.
Wie schaffen wir es, uns für die Schätze des Himmels zu öffnen?! Um die Schätze auf Erden nicht immer festhalten zu müssen. Wie schaffen wir es zu fasten, um das Leben zu gewinnen? Denn darauf stößt uns das Evangelium doch: Fasten - nicht um sauer zu werden, aber dafür klug. Auf unserer Synode ja besonders das Klimafasten, um ein Zeichen zu setzen gegen die Zerstörung des Planeten. Und wir wissen alle, jede Minute zählt! Also: Wie mit der Kraft der Sehnsucht ins Handeln kommen?! Uns einschränken und gleichzeitig nicht sauer werden? Um wieder auf die Tierwelt zurückzukommen, mal etwas anderes in den Blick nehmen als die Alternative Tauben versus Marder: Wie wär‘s, wir machen es wie die Octopoden? Die nämlich, das habe ich kürzlich gelernt, sind ganz besonders weise Tiere. Normalerweise sich selbst genug, schwimmen sie in den Weiten des Weltmeeres und wollen so bleiben, wie sie sind. Doch wenn ihr Lebensraum eingeschränkt wird und sie dichter aufeinander geworfen sind, bekämpfen sie einander nicht etwa, sondern sie lernen voneinander. Gucken sich vom Anderen ab, was gut und was besser funktioniert in der Einschränkung und machen es dann nach.
Ich finde dies ein wunderbar ermutigendes Bild. Je mehr wir zu tun haben, je enger der Gürtel und kleiner der Raum: lernen wir voneinander. Der Schatz ist unsere Gemeinschaft, ganz irdisch – himmlisch, oder?
Mit der Sehnsucht nach dem ganz anderen beginnt Veränderung. Und mit dem Vertrauen in die anderen, dass sie Veränderung, mit und auch in mir, bewirken. Sehnsucht, die von Gottes erstem Wort an in unser Herz gepflanzt ist. Wir sind Hoffnungswesen! Und davon spricht der Begriff der Umkehr. Nicht die Angstperspektive stark machen, sondern die Hoffnungsperspektive. Das griechische Wort für Umkehr, das Metanoite, denkt von der Zukunft her in die Gegenwart. Denkt die Schönheit hinein in den Schmerz, Gottes Friedensreich hinein in den Krieg, bedenkt von der Fülle her die Not. Als unerschöpfliche Quelle für die Erschöpften. Als Aussicht für die, die deprimiert sind und sorgenvoll, auch im Blick auf die Zukunft unserer Kirche. Als Kraftquelle für das, was in ihr wachsen will und werden. Alles beginnt mit der Sehnsucht. Immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres, für Größeres.
So lasst nun unsere Sehnsucht damit anfangen, Gott zu suchen, liebe Geschwister, und lasst sie damit enden, ihn gefunden zu haben. Und seinen Frieden, höher als unsere menschliche Vernunft. Er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Datum
23.02.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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