ORDINATION IM ST. PETRI-DOM ZU SCHLESWIG

Predigt zum Hebräerbrief, Kap. 4, 12f. 14-16

21. Februar 2010 von Gerhard Ulrich

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch allen! Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! Ich stelle ihn mir vor – den interessierten Beobachter, der miterlebt diesen Gottesdienst und die Ordination von 15 Pastorinnen und Pastoren, die wir senden auf ihren Weg in das Amt der Kirche. Der könnte doch denken: die spinnen, die Kirchenleute! Da führen die so ein festliches Stück auf mit Orgel und Trompeten, mit Gesang und Festkleidern, mit einer Fülle von Menschen, die da stehen, reden und hantieren vorn, da unter dem Kreuz – mit Aufstehen und Hinsetzen, mit Hinknien und mit Händen, die aufgelegt werden – gute Worte aus der Bibel und noch viel mehr… Der Eindruck drängt sich geradezu auf dem Zaungast: Das alles ist ganz offensichtlich unendlich wichtig! Und zugleich wird da von den Menschen, die das Stück zur Aufführung bringen, ständig und durchgehend gesagt: Es geht gar nicht um uns, es geht gar nicht um die 15 neuen Pastorinnen und Pastoren.

Sondern: Es geht eigentlich um IHN, um den Mann dort am Kreuz; es geht eigentlich um IHN, der da sendet die Botschafterinnen und Botschafter SEINER guten Nachricht von der Liebe Gottes in die Welt; es geht eigentlich um IHN als den wahren hohen und einzigen Priester, der da hinausschickt Pastorinnen und Pastoren in die Gemeinden, dass sie weitererzählen die Geschichte von Jesus Christus, vom Herrn und Heiland der Welt.

Darin, liebe Schwestern und Brüder, liegt eine ausgesprochen heilsame Begrenzung unserer selbst. Heilsam begrenzt sind wir unendlich wichtig – aber eben: heilsam begrenzt. Und das ist eine große Entlastung – es hängt eben nicht alles an uns, an dem, was wir können und leisten. 
Hören wir den Predigttext des heutigen Sonntags Invokavit aus dem Hebräerbrief im vierten Kapitel:

„Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.
Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit,
sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“

Wir haben diesen Predigttext miteinander bedacht während der Ordinationsrüstzeit: Wie können wir an der Schwelle zum Pfarramt diese Worte des Apostels in unser Leben ziehen? Wie können sie uns treffen in unsrem Übergang hinein in den Beruf, in die Berufung; hin zu den nun selbst zu verantwortenden Aufgaben im Pfarramt? Im Übergang auch – für die meisten der zu Ordinierenden – zu einem neuen Wohn-, Lebens- und Arbeitsort?
Sie bringen ja einiges mit zu dieser Schwelle: Ich denke an die lange Zeit des Studiums, die Anforderungen, die wir als Kirche an sie gestellt haben im Vikariat, den Stress mit allen Prüfungen und Bewerbungsverfahren… Und jetzt, da Sie es geschafft haben – endlich hin bis zur Ordination und hinein ins Pfarramt diese Worte der Begrenzung unseres Berufes und unseres Tuns. Und auch ein deutlicher Hinweis auf unsere „Schwachheit“, auf unsere „Versuchlichkeit“, auf unsere Grenzen. Aber auch: schon wieder eine Unterwerfung, wieder nicht selber auf dem Thron, sondern nur davor; wieder eine Herausforderung, nämlich sich stellen zu sollen dieser Begrenzung. Gerade jetzt, wo ich doch gerade aufbreche, Grenzen zu sprengen, neue Horizonte zu öffnen; wo ich gerade loslegen will und anpacken, was da vor Ort zu tun ist für mich als Pastorin, als Pastor. Ein Assessment ganz besonderer Art, oder?
Nun, so heißt es in dem Text, wir haben auch dafür und dabei einen „großen Hohenpriester“ der mit leiden kann mit unserer Schwachheit. Wir haben da also einen Sympathisanten an unserer Seite – einen Sympathisanten ganz eigener Art: Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat.

Liebe Schwestern und Brüder, das war und ist seit den Anfängen der Christenheit eine Revolution, die so ganz und gar nicht passt zu dem, was man sich so für ein Bild gemacht hat von einem „richtigen“ Gott. Ein mit leidender Gott, ein Gott, der Schmerz und Sympathie empfindet – das war einer der Gründe, warum die Römer (und die Griechen) meinten: Die spinnen die Christen!
Aber so lautet es, unser Bekenntnis: Wir haben da einen an unserer Seite, der eben nicht sich herausgehalten hat aus dem Getümmel der Welt, der eben nicht welt-abgewandt geblieben ist – wir haben einen an unserer Seite, der Himmel und Hölle durchschritten hat, der kennt und erfahren hat am eigenen Leibe Schwachheit und Grenzen – ja, so heißt es, der selbst versucht worden ist in allem wie wir… Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis! Halt finden an so einem Tag und jeden Tag neu an diesem Priester Jesus Christus, dem wir nachfolgen sollen und dürfen!
Wir haben einen an unserer Seite, der auch gekämpft hat mit Gott und der Welt – der aber, und das macht bei aller Ähnlichkeit nun tatsächlich die Andersartigkeit Jesu aus – der aber eben blieb – „ohne Sünde“, wie der Text sagt. Jesus also als der, der bei allem Zweifel, und bei allem Kampf, auch mit Gott, sich nicht trennen ließ von seinem Vater im Himmel, der also festhielt an ihm.Mit Zuversicht sollen wir gehen zu dem Thron der Gnade Gottes. 
Der Thron – das ist nicht nur damals der Ort der Macht und der Herrschaft. Wer zum Thron tritt, von dem wird Unterwerfung erwartet. Und wer Gnade zu erwarten hat, der ist gnadenlos ausgeliefert dem Willen dessen, der auf dem Thron sitzt, den Daumen hebt oder senkt.
Hier aber heißt es: tretet hinzu und empfangt! Natürlich ist dieser Thron der Ort der Herrschaft. Aber hier herrscht nicht Willkür. Hier herrscht Liebe. Hier wird sich nicht in den Staub geworfen, sondern hier wird erhoben, was niedrig ist. Denn im Staub lag der, der auf dem Thron sitzt! Empfangt, ist Euch gesagt, liebe Schwestern und Brüder: seid passiv! Lasst geschehen! Nicht also: macht mal los und seid ordentlich aktiv im Gestalten der Kirche, rund um die Uhr, immer im Dienst. Nein: Empfangt zuerst und immer wieder. Von dem, der alles selbst erlebt, durchlebt hat. 
Natürlich: tretet hin. Wir müssen uns bewegen. Aber die erste Bewegung des Glaubens und auch des Predigens ist die Bewegung hin zu dem Thron der Gnade; ist das Hören, das Sich-Öffnen für den, der gnädig ist.
Und nur, wer hintritt und empfängt, alles von ihm erwartet – der wird auch hinausgehen und weiter sagen können, was er empfangen hat – das Wort! Von dem es in den Zeilen vorher heißt:
„Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Das ist es, was regiert auf dem Thron der Gnade: das in Christus Fleisch gewordene Wort Gottes, das immer neu Fleisch werden will durch uns, das uns in den Mund gelegt ist, das wir empfangen haben. Na klar, ganz und gar unausgewogen, ganz und gar unharmonisch. Auch das ist Gnade und Barmherzigkeit: zu sagen, was ist, kein Blatt vor den Mund nehmen, Klarheit wagen. Das ist uns zugetraut – und zugemutet.

Liebe Schwestern und Brüder, es wird auch für Sie Situationen geben, in denen Ihre Entscheidung gefragt ist. In denen Sie alle Ausgewogenheit und falsche Harmonie werden fahren lassen müssen, weil ein Wort von Ihnen gefragt ist, das die Geister scheidet. Andere Worte hat die Welt genug. Aber dieses Wort, das ist uns aufgegeben, ist Ihnen anvertraut. Weil Sie Partei zu ergreifen haben werden mit Menschen. Sie werden erfahren: Nachfolge führt auch in Abgrenzung. Nicht nur Ja, ja. Auch: Nein! Sie werden erfahren: das Wort Gottes ist ein scharfes Schwert. Und dann werden Sie froh sein über die Radikalität des Wortes Gottes, die die eigene schützt! Und Sie werden spüren, dass dieses lebendige Wort in uns selber lebendig bleiben und arbeiten wird. Das Wort Gottes wird sich immer wieder neu an uns selbst abarbeiten – und so wird es dafür sorgen, dass wir als Predigerinnen und Prediger immer wieder selbst entzündet und gewärmt werden von dem Feuer, das da brennt. Und an dem wir uns immer wieder selber wärmen, neu entzünden, entflammen dürfen: tretet hin und empfangt. Und: haltet fest!Und alle Angst vor dem Predigen, vor der Klarheit und Wahrheit ist aufgehoben eben in der Gewissheit, dass nicht wir es sind, die die Wahrheit haben, sondern dass er es ist, der uns seine Wahrheit leiht, anvertraut; der uns begnadigt, den Mund aufzutun für ihn!
Geh jetzt! Mach dich auf! Tritt hinzu! Sieh zu, dass du Land gewinnst!
Sie sind berufen, das Evangelium zu predigen in Wort und Tat, in Predigt, Seelsorge und Diakonie. Das erwarten wir von Ihnen – aber genau das trauen wir Ihnen auch zu! Der Beruf des Pastors oder der Pastorin ist ein wunderbarer Beruf. Einer, der voller Chancen und voller Freiheit steckt. Einer, der seine Kraft bezieht nicht aus dem Endlichen, sondern aus dem Unendlichen. Nicht nur aus dem, was ist, sondern aus dem, was kommen wird. Aus dem Glauben, der „eine feste Zuversicht auf das (ist), was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

Sie werden jeder Menge Erwartungen begegnen, die Sie binden wollen an das Sichtbare. Fromm sollen Sie sein, aber nicht so doll. Verändern sollen Sie alles, aber man mag es doch am liebsten so, wie es schon immer war. Einmischen sollen Sie sich in öffentliche Angelegenheiten, aber raushalten sollen Sie sich schon. Immer bei den Menschen sollen Sie sein, aber immer erreichbar zu Hause. 
Keiner und keine von Ihnen wird all´ die unterschiedlichen Erwartungen erfüllen können, die auf Sie einstürmen werden und die Sie selbst in sich tragen. 
Da ist es wie eine Befreiung, wenn wir wissen um den, der als der eine große und wahre Priester bei uns ist. Das ist die Zusage, das Evangelium, das heute Ihnen zugerufen und ins Lebensbuch geschrieben ist: niemandem und nichts bist Du verantwortlich als diesem Herrn allein. Er ist es, der dich ruft. Er ist es, der dir verheißt, bei dir zu sein. Er ist es, der dich binden will, damit du frei bist, frei den Mund auftun kannst für die Schwachen; frei, die Hände zu rühren für die Rechtlosen; frei, die Ohren aufzusperren für die Ratlosen. Frei, alles stehen- und liegen zu lassen, wenn die Notfall-Seelsorge das fordert.
Wir sollen und dürfen loslassen, was uns hält und bindet. Damit wir frei sind, weiterzusagen, was wir empfangen haben: folge mir nach. Der, der dich ruft, führt dich nicht in die Irre. Er leitet dich zu gutem Leben.
Und nichts anderes haben wir als Pastoren und Pastorinnen zu tun, als zu verkündigen das Reich Gottes
.Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen immer wieder gelingt, diese klar umschriebene Rolle anzunehmen, anzulegen und sie mit Ihrem Leben zu füllen.
Geben Sie sich hinein in die Rolle, die Ihnen nun gegeben ist, spielen Sie mit Glaubenszuversicht und mit handwerklichem Können – und mit Humor! – ihre Rolle im Stück. 
Und denken Sie immer an zwei Dinge: Sie als Pastor oder Pastorin sind nicht die Autoren des Stücks, das da zur Aufführung kommt! Das ist Gott selbst – und in ihm Jesus Christus als der Herr der Kirche! Und – mit Blick auf das so genannte Publikum denken Sie daran: Gepfiffen wird immer! 
Der, der Regie führt in seinem Stück und der uns lenkt und leitet, der wird auch dafür sorgen, dass unsere Füße gehen können, wohin er mit uns will – hin zum Thron der Gnade, hin zum Licht des Lebens, hin zur Quelle lebendigen Wassers.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all´ unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne – unseren Leib und unsere Seele – in Christus Jesus. Amen.

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