5. Juni 2021 | Sankt Michaelis in Hamburg

Predigt zur Eröffnung der Landessynode

05. Juni 2021 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt zu Jona 1,1-2; 2,1f.

Liebe Schwestern und Brüder,

„Geh, geh, Jona geh – geh nach Ninive“ – ich habe den Ohrwurm aus dem Kindergottesdienst noch im Ohr. Sehe die Jungen und Mädchen im Kindergartenalter regelrecht vor mir, die dieses Lied begeistert mit schmetterten. Und mitten unter ihnen unsere Tochter. Wie alle anderen Kinder liebte sie nicht nur diese Liedstrophe aus dem Singspiel zu Jona und dem großen Wal, das wir damals in der Kirchengemeinde eingeübt haben. Sie liebte auch die andere Strophe, von der wir in unserer Familie nicht mehr sicher sind, ob sie wirklich zum Singspiel gehört oder ob wir sie damals im Kindergottesdienst dazu gedichtet haben: „Nee, nee, Jona geh - nicht nach Ninive“. Diese beiden Strophen im Wechsel gesungen – das war damals der Kindergottesdienst-Hit zur Jona-Geschichte.

Und genau damit war ja auch eine entscheidende Szene der Jona-Geschichte in wenige musikalische Takte und Worte umgesetzt - der innere Konflikt Jonas, die Auseinandersetzung damit, einem Auftrag Gottes zu folgen oder auch nicht. Gehen oder nicht gehen? Was im Kindergottesdienst noch lauthals und mit freudiger Energie herausgesungen werden kann, mag im Erwachsenenalter zu einer Frage werden, die so beängstigend oder gar belastend wird, dass es nahezu unmöglich ist, eine Entscheidung zu fällen.

Der Dichter Uwe Johnson, der sich ausdrücklich nicht als gläubiger Christ verstand, hat eine wunderbare kleine Parabel geschrieben. Sie trägt den Titel: Jonas zum Beispiel. Er erzählt darin, ganz nah am biblischen Text, die Jonageschichte nach, natürlich mit eigenen Akzenten. Jona erscheint darin nicht als Beispiel im Sinne eines Vorbildes, sondern als Beispiel dafür, wie es potentiell im menschlichen Leben und Handeln zugehen kann. Jona also nicht als Ausnahmeexistenz, als Mensch, dem als Prophet außergewöhnliches widerfährt. Sondern stattdessen Jona als einer wie wir. Exemplarisch für uns alle. Für unser Denken und Fühlen, für unser Handeln und Entscheiden angesichts der Realitäten, vor die uns das Leben stellt. Und vor die uns die Frage stellt, die uns Christenmenschen einzelne Personen wie als Gruppen immer wieder beschäftigt – seien wir Bischöfinnen oder Bischöfe, seien wir Haupt- oder Ehrenamtliche, sei es als einzelne Gemeinde oder sei es als Kirche insgesamt: Was ist Gottes Auftrag? Und wie verhalte ich, wie verhalten wir uns zu ihm?

So also nun zum Beispiel Jona. Von ihm persönlich wird uns nicht viel erzählt. Der Name seines Vaters wird genannt, das war es dann aber auch schon. Denn das, was die Bibel an Jona interessiert, ist allein die Frage, wie er auf Gottes Auftrag reagiert, wie es mit einem Auftrag Gottes so gehen kann mit einem, mit einer im Leben. Deshalb geht es auch ohne große Umstände gleich zur Sache. Ein Auftrag Gottes und sofort steht die Frage im Raum: Diesem Auftrag folgen oder nicht? Gehen oder nicht gehen? Gehen oder bleiben?

Gehen oder nicht? Jona kann sich nicht entscheiden. Der Auftrag ist ja auch groß und gewaltig. In eine fremde Stadt gehen, zu Leuten, die er nicht kennt, und ihnen sagen, was Gott von ihrem Lebenswandel, ihrer Religiosität, ihrem ganzen Miteinander hält. Nämlich: gar nichts. Und dass das alles, sollte es so weitergehen, dramatische Konsequenzen haben wird.

Zum Auftrag Gottes an Jona gehört, dass er aus seinem Kontext heraus geht. Heute würden wir vielleicht sagen: dass er seine Komfortzone verlässt. Die gewachsenen Beziehungen, die vertrauten Netzwerke hinter sich lässt. Was ihm von Gott zugemutet und zugetraut wird, ist alles andere als ein Heimspiel. Und auch nicht mal ein Auswärtsspiel, denn eine Fankurve, ein paar Groupies oder Cheerleader kann er auch nicht mitnehmen. Ganz allein, ohne Netz und doppelten Boden soll Jona sich fremden Kontexten und Menschen, anderen Erfahrungen aussetzen. Allein und nur mit Gottes Botschaft im Gepäck.

Jona sagt dazu nicht ja und nicht nein. Er hört den Auftrag Gottes – der ist ja auch nicht zu überhören. Aber er passt nicht so gut in sein Lebenskonzept. Denn es gibt dabei kein Sicherheitsnetz, das er einbauen könnte, falls die Sache schief geht, nicht einmal eine Rückkehrgarantie. Und was auch nicht geht: Mit Gott ein paar Bedingungen aushandeln,  die ihm ermöglichen würden, wenigstens das eine oder andere Element seiner Komfortzone zu erhalten.

Eine solche Haltung ist menschlich, verständlich, aber sie macht noch keinen Propheten. Denn bei der Frage „gehen oder nicht gehen“ geht es um eines nicht, so hart das auch klingen mag: Um die Komfortzone des Propheten oder auch nur sonst irgendwie um den Propheten. Um ihn geht es erst einmal gar nicht. Es geht nicht darum, ob er sich Gottes Auftrag zutraut, und sei es auch nur, weil er sich selbst für einen tollen Kerl hält. Es geht auch nicht darum, unter welchen Bedingungen er den Auftrag Gottes vielleicht in Erwägung ziehen könnte. Sondern es geht darum, ob Jona sich auf Gott und Gottes Wort verlässt. Ob er Gott traut, der ihm etwas zutraut und zweifellos auch etwas zumutet. Es geht darum, ob er sich in Gottes Hände begibt, sich ihm und seinen Worten, seinem Auftrag selbst anvertraut. Seine Ängste und Sorgen, seine Phantasien, wie Menschen ihm darauf hin und dabei entgegenkommen, spielen einfach keine Rolle. Denn allein das Zutrauen auf Gott, das sich verlassen auf Gottes Wort – das macht einen oder eine zum Propheten oder zur Prophetin.

Jona muss ein solcher Prophet erst noch werden. Denn zunächst einmal tut er, was viele tun in schier unentscheidbarer Situation: er entscheidet sich weder für das eine noch für das andere, sondern flüchtet sich anderswohin. An einen dritten Ort sozusagen. Einen Ort, von dem er vermutet, von den drängenden Alternativen nicht belastet zu werden. Und dann, als er sich nach den bekannten Wirren und Verwicklungen schließlich im Bauch des Wales wiederfindet, drei Tage dem Alltag entzogen, allen Irrungen und Wirrungen, auch allen Gefahren, als er betet und singt, seinem Weg mit Gott nachspürt, wird ihm klar: „Du Gott, hast mein Leben aus dem Verderben geführt.“ Gott lässt ihn ausweichen und Gott lässt auch zu, dass er Umwege geht, aber er entlässt ihn nicht aus seinem Auftrag und er lässt ihn auch nicht untergehen. Sondern: Gott rettet, behütet, bewahrt. Weil er es zugesagt hat und sich treu ist. Und die Umwege, die wir dabei jeweils gehen oder suchen, sie sind Teil unseres je ganz persönlichen Weges, unterwegs durch das Leben, unterwegs mit einem Auftrag Gottes. Vielleicht so, wie es der Philosoph Hans Blumenberg einmal beschrieben hat: „Nicht jeder erlebt alles, wenn auf Umwegen gegangen wird; dafür aber auch nicht alle dasselbe, wie wenn auf dem kürzesten Weg gegangen würde. Andersherum: Alles hat Aussicht, erlebt zu werden, wenn es gelingt, alle auf Umwegen gehen zu lassen.“

Vielleicht kann man Gott sehen als einen, dem es gelingt, alle auf Umwegen gehen zu lassen. Jonas zum Beispiel. Und auf allen Umwegen, die Jona geht, hält Gott an seinem Auftrag fest und lässt Jona damit nicht allein. Er bleibt an seiner Seite. Und langsam dämmert Jona die Erkenntnis: „Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade.“

Aber es bleibt dabei: ein Prophet, der sich ganz und gar auf Gottes Wort und seine Zusage verlässt, muss Jona erst noch werden. Dass Gott an seinem Auftrag festhält, ihn damit nicht allein lässt, dass er ihn rettet, behütet, bewahrt – das hat er jetzt verstanden. Dass er aber alle seine Geschöpfe, alle seine Menschen, auch die in der fremden Stadt Ninive, denen Jona den Untergang ansagen soll, falls sie ihren Lebenswandel nicht ändern, dass er auch sie rettet, behütet, bewahrt, dass seine Gnade nicht nur ihm, sondern auch ihnen gegenüber unerhört groß ist – das muss Jona noch lernen.

Und er muss lernen, dass es einmal wieder nicht um ihn geht, nicht darum, ob tatsächlich auch das passiert, was er in Gottes Auftrag angekündigt hat, sondern darum, dass Gottes grundsätzlicher Wille zum Leben für alle Menschen zum Ziel kommt. Denn so endet die Geschichte des Jona: dass er mit Gott hadert, weil der den angekündigten Untergang der Stadt Ninive – die tatsächlich Buße tut und sich ändert – schlicht und einfach ausfallen lässt. Und so sitzt Jona nun da mit Gottes Frage an ihn, die den Schluss des Buches bildet: „und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als Hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?“

Jona zum Beispiel. Vielleicht sind wir diesem Jona, dem Gottes Frage und Liebe und offensichtlich auch Gottes Sinn für Humor, dem Gottes Geduld und so große Gnade gelten, ganz nah. Vielleicht sind wir ihm nah in seiner Frage, ob und wie er Gottes Auftrag folgen soll, nah auch auf seinen Umwegen und auch darin, doch immer wieder von Gott gefunden und aus Gottes Auftrag nicht entlassen zu werden. Und nah auch in dem, was er wie wir wohl täglich neu lernen müssen: Gottes Gnade, Gottes Liebe sind immer anders, umfassender, größer und weiter als unser, selbst wenn wir es für noch so weit halten, doch letztlich immer wieder kleines und enges Herz.

Diesem Jona, dem wir wohl näher sind, als es auf den ersten Blick scheint, gelten die Schlussfragen von Uwe Johnsons Erzählung: Und Jona blieb sitzen im Angesicht der sündigen Stadt Ninive und wartete auf ihren Untergang länger als vierzig mal vierzig Tage? Und Jona ging aus dem Leben in den Tod, der ihm lieber war? Und Jona stand auf und führte ein Leben in Ninive? Wer weiß.

Liebe Geschwister, die Zukunft ist nicht festgelegt, sie ist offen und weit. Offen ist, ob und wie wir  – als Einzelne wie als Gemeinschaft – entscheiden und handeln, wenn wir Gottes Auftrag an uns hören. Ob wir ausweichen, Umwege gehen oder schlicht tun, was zu tun ist. Wer weiß ...

Gottes Auftrag aber steht fest: Er will, dass alle Menschen das Leben und volle Genüge haben und reich sind zu jedem guten Werk. Diesem Auftrag und damit allen seinen Geschöpfen ist er treu: Gott rettet, behütet und bewahrt. Bis in Ewigkeit.
Amen.
 

 

 

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