Predigt zur Eröffnung im Gottesdienst der XI. Landessynode
12. März 2004
Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: Es gibt verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es gibt verschiedene Aufgaben (Dienste); aber es ist ein Herr. Und es gibt verschiedene Begabungen; aber es ist ein Gott, der alles in allen wirkt. Jedem einzelnen wird die Offenbarung des Geistes gegeben zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem anderen wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem anderen Glaube, in demselben Geist; einem anderen die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem anderen die Kraft, Wunder zu tun; einem anderen prophetische Rede; einem anderen die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem anderen verschiedene Arten von Zungenrede; einem anderen die Gabe, die auszulegen. Dies alles wirkt derselbe eine Geist und teilt jedem das seine zu, wie er will.
Liebe Gemeinde aus Synodalen und Gästen!
Die Krise der Pommerschen Evangelischen Kirche ist nicht zu unterschätzen; aber die Stärke der Verheißung des Wortes Gottes übersteigt die Tiefe der Krise um ein Vielfaches. Gerade wir in Pommern sind aufgefordert, dem Wort Gottes neu zu trauen und der Verheißung zu glauben.
In der letzten Woche bin ich in eine Männerrunde geraten. Da saßen nun sechs Männer, nicht mehr im jugendlichen Alter, zusammen. Alle – außer mir - mit lupenreiner Ostsozialisation, alle in ihrer Biographie irgendwie von der Kirche berührt und heute unsicher, ob die Kirche für die Zukunft noch eine tragende Rolle spielen wird. Erste Frage: „Wie alt sind Sie eigentlich, Herr Bischof?“ „Ich werde dieses Jahr 50.“ „O, wie wir alle!“, damit war eine Grundsolidarität der sechs am Tisch hergestellt. „Aber, was ich Sie eigentlich fragen wollte: Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche?“ Und ich habe ungefähr so geantwortet: „Wir werden noch einige Jahre durch eine Zeit der Krise gehen. Aber grundsätzlich ist mir um unsere Kirche nicht bange. Weltweit wächst die Kirche im Moment wie noch nie, seit dem es Kirche gibt. Die Menschen haben ein großes Verlangen nach Überschreitung des Vorfindlichen, eine Sehnsucht nach Transzendenz, einen Durst nach Gott und Ewigkeit. Der Mensch scheint auf ein großes Du angelegt zu sein. Tief innen ist in uns die Hoffnung eingegraben, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Und offensichtlich ist der christliche Glaube für immer mehr Menschen eine überzeugende Antwort auf ihre Fragen und Sehnsüchte. Warum sollte das nicht in Pommern gelten?
Aber offensichtlich bringen viele gerade hier bei uns die Kirche nicht in Verbindung mit ihrer Suche nach Orientierung und einem Halt im Leben. Es wird gerade in den nächsten Jahren darauf ankommen, dass wir die Pommersche Evangelische Kirche so aufstellen, dass sie im Horizont der Menschen in unserer Region als Trägerin einer überzeugten Antwort auf ihrer Suche nach Sinn und Orientierung erscheint.“
So oder ungefähr so habe ich geantwortet. Und so meine ich es auch: Menschen haben sich in ihrer Ansprechbarkeit geändert. Man kann nicht mehr so gut zuhören, man braucht kürzere Intervalle, in denen etwas Neues kommt, Bilder sind ganz neu wichtig geworden, alles will medial unterstützt sein. Aber nach wie vor braucht der Mensch Sinn und Orientierung und da ist die gute Botschaft von dem Gott, der in diese Welt hineingekommen ist, der in Jesus Christus Leib geworden ist, der das Menschsein in seinen Höhen und Tiefen körperlich erfahren hat und deswegen wie kein anderer uns in unseren Problemen und Nöten beistehen kann, nach wie vor eine unüberbietbar gute Botschaft. Dieser Jesus Christus ist geistig, im Geist Gottes auch heute unter uns anwesend und schenkt uns Anteil an der Wirklichkeit Gottes. Dieses pulsierende Leben beginnt jetzt und geht in Ewigkeit nicht zu Ende. Diese Botschaft ist unüberbietbar, spannend und einladend. Leider bringen viele Außenstehende die verfasste Kirche mir ihr nicht in Verbindung. Sondern Kirchendistanzierte haben häufig den Eindruck: Die Kirche lebt nicht von innen, sie ist nicht geprägt vom Geist Gottes, sondern sie wird von kirchlichen Funktionären und Amtsträgern veranstaltet.
Aber Paulus zeichnet in unserem Predigttext eine andere Wirklichkeit. Da sind Viele, Unterschiedliche, die jeweils an ihrem Ort und mit ihren Gaben etwas einzubringen haben in das Ganze. Dieses Ganze nennt Paulus: Leib Christi. In dieser Gemeinschaft gibt es Menschen – Paulus nennt relativ zufällig, gerade das, was ihm in Anschauung seiner korinthischen Gemeinde in den Sinn kommt: Die eine, die aufgrund ihrer Lebenserfahrung raten kann, den andern, der elementar den Glauben aufschließen kann. Der dritte versprüht Zutrauen, ein anderer hat die Gabe, körperlich zu helfen, die nächste kann so beten, dass Wunder geschehen, ein anderer hat einen Durchblick durch die unüberschaubare Gegenwart und kann Orientierung geben. Ein anderer hilft, die religiösen Angebote und die Lebenshilfeversprechungen zu unterscheiden zwischen lebensförderlich und lebensabträglich. Schließlich gibt es in der Gemeinde auch solche, die einfach die Gabe haben, sich ekstatisch zu freuen und dann gibt es auch die anderen, die diese wieder auf den Boden herunterholen. Ein buntes Bild von einer Gemeinde im ersten Jahrhundert zeichnet der Apostel.
Aber ausschlaggebend bei all dem ist, dass das, was sich hier tummelt, einen gemeinsamen Ursprung hat. Es ist gewirkt von dem einen Geist Gottes, der Anteil gibt an Jesus Christus und der Jeder und Jedem das Seine zuteilt. Paulus bezieht die Vielfalt der Gemeinde zurück auf den Dreieinigen Gott. Vielleicht haben Sie es beim einfachen Lesen am Anfang nicht gemerkt, aber der Apostel hat sich seinen Einstieg in diesen Gedankengang offensichtlich sehr gut überlegt. Die vielgestaltige Einheit und die versöhnte Verschiedenheit in der Gemeinde haben ihren Ursprung im Dreieinigen Gott. Ich lese die Verse 4 bis 6 noch einmal in einer Übersetzung, die sich sowohl von Martin Luther und Klaus Berger hat anregen lassen:
„Es gibt verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist. Und es gibt verschiedene Aufgaben; aber es ist ein Herr. Und es gibt verschiedene Begabungen; aber es ist ein Gott, der alles in allen wirkt.“
Der Trinität von Geist, dem Herrn Jesus Christus und dem Schöpfer Gott entspricht die Dreiheit von Gaben, Aufgaben und Begabungen. Das die Glaubensgemeinschaft bestimmende Prinzip ist der Geist Christi. Er führt verschiedene zu einem Leib zusammen. Vor Gott sind wir alle gleich. Und darum ist die Übersetzung Martin Luthers, der in Vers 5 von Ämtern redet, unpassend. Es geht in der Gemeinde Jesus Christi nicht um eine Ämterhierarchie, sondern um die Verschiedenheit von Diensten und Aufgaben. Vor Gott sind wir gleich, zugleich sind wir aber sehr verschieden nach den Gaben, die wir empfangen haben. In der Gemeinde Jesu Christi gilt nicht: Die Einen sind die Autoritäten und geben die Anweisungen und die anderen führen aus. Es gilt eben im Leibe Christi nicht: Die Einen lassen sich bedienen und die anderen dienen, sondern in diesem Leib trägt jeder an seiner Stelle seine eigene Verantwortung für das Ganze. Genau das ist der entscheidende Punkt im Bild vom Leibe. Der Dienst jedes einzelnen Gliedes ist für das Ganze wichtig. Fällt ein Glied aus, ist das Ganze gestört. Aber über diesen natürlichen Vergleich hinaus gilt ja noch mehr: Die Gabe, die Jede und Jeder bekommen hat, ist sein oder ihr „Anteil an der Herrschaft und der Herrlichkeit Christi“ (Ernst Käsemann). Wenn wir unsere Gaben von Gott bekommen haben und dies unser Anteil am Herrn ist, dann müssen wir einen spezifischen Dienst entsprechend unserer besonderen Berufung ausführen, sonst nehmen wir unseren Anteil am Herrn nicht wahr. Deswegen ist Gnadengabe immer auch Aufgabe. Eine nicht wahrgenommene Gabe verfault und infiziert den ganzen Körper. Dann ist der Körper krankt. Gnade ist nie etwas, auf dem ich mich ausruhen kann, sondern immer etwas, was aktiviert. Deswegen ist Dienst Gnade.
Hören wir im Worte Gottes von dieser Wirklichkeit der Gemeinde Jesu Christi und sehen wir gleichzeitig die Wirklichkeit unserer Kirche heute, dann verdichtet sich dieser Bibeltext für uns zu einer Leitfrage. Sie lautet: Welche Gestalt muss die Gemeinde heute annehmen, damit sie unter ihren gegenwärtigen Lebensbedingungen zu solchem Dienst fähig ist? (Gottfried Voigt, Bd. II, 271).
Wie kann unsere mit sich selbst beschäftigte Kirche wieder „gottvoll und erfahrungsstark“ (Paul M. Zulehner) werden?
Unter der Asche der Organisations- und Fassadenkirche glüht noch immer der Geist Gottes. Ja, dem heutigen Lebensgefühl entsprechen nicht eine verbindliche Mitgliedschaft und der regelmäßige Kirchgang. Es ist wahr, die Menschen wollen sich heute nicht binden. Wenn sie kommen, suchen sie das besondere, ultimative Erlebnis. Wie kann sich dann der Geist Gottes heute aufs Neue entfachen und als helle Flamme in unserer Kirche lodern? Bei Manchem bricht an dieser Stelle die Sehnsucht nach der guten alten Zeit auf, als die Kirche noch Volkskirche war und so gut wie jeder zu ihr gehörte. Das verbindet sich dann schnell mit der Hoffnung auf mehr Anerkennung als Kirche, auch mehr Prestige. Doch das ist nicht das Problem. Es geht nicht um die Sehnsucht nach der Herstellung früherer Machtentfaltung der Kirche, oder um das Buhlen nach größerer gesellschaftlicher Anerkennung, sondern allein um die Frage: Wie wird die Kirche zu dem ihr von Jesus Christus aufgetragenen Dienst fähig?
Auf diese Fragen antwortet der Apostel Paulus auf seine Weise. Durch die Sakramente Taufe und Abendmahl werden Menschen, die sich bisher fremd waren, zum „Leib Christi“ zusammengefügt. Wir werden „in Christus hinein getauft“, (vgl. Röm. 6, 3 f). Die Taufe ist die Inkorperation in den Leib Christi. An anderer Stelle sagt der Apostel „Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Jesus Christus. Denn wie viele von euch auf Christus getauft sind, die haben Christus angezogen.“ (Gal. 3, 26 f) So wie die Taufe unsere Mitgliedschaft am Leibe Christi begründet, so ist das Abendmahl die Erneuerung dieser Gemeinschaft: Wenige Verse vor unserem Predigttext erinnert Paulus die Korinther: „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s, so sind wir viele ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.“ (1. Kor. 10, 16 f).
Es sind ungeheure Bilder und Vorstellungen, die der Apostel verwendet. Wir merken gleich, hier ist die Grenze zwischen der sichtbaren und erfahrbaren Gemeinschaft und einer großen überzeitlichen und überräumlichen Gemeinschaft fließend. Auf der einen Seite ist es die örtliche Gemeinde, in der getauft wird und das Abendmahl gefeiert wird. Es ist die örtliche Gemeinde, in der Menschen sich real begegnen, die den Leib Christi bildet. Es muss nicht unbedingt die Ortsgemeinde, die Parochie sein, aber auf jeden Fall die Gemeinde derer, die sich als Brüder und Schwestern erfahren. Sie empfängt Anteil an Leib des Herrn durch das Abendmahl. Jede örtliche Gemeinde bildet sich aus der Tischgemeinschaft mit dem sich für sie in den Tod dahingebenden Jesus und so wird aus vielen Einzelnen etwas gemeinsam Neues. Diese neue Gemeinschaft ist nicht nur eine Gemeinschaft der körperlosen Ideen, sondern im konkreten Miteinander erfahrbar. Sie lebt aus dem gegenseitigen Nehmen und Geben. Sie ist ein gegliederter Organismus, in dem unterschiedliche Menschen sich ergänzen.
Natürlich weiß ich um den großen Unterschied von Theorie und Praxis auch an dieser Stelle. Aber nur zu unserem eigenen Schaden leben wir häufig nicht aus den Kräften, die Paulus hier benennt. Sprich heute nur einmal einen Pfarrer, bei dem dir das eine oder andere aufgefallen ist, auf seine Ehe an. Aus vielen Beispielen weiß ich, wie ungemein problematisch gerade dieses Feld ist. Wenn wir im Konsistorium davon hören, oder etwa ich als Bischof davon erfahre, ist es meistens schon zu spät. Tritt aber der seltene Fall ein, dass einem im Vorfeld schon bestimmte Dinge auffallen und ich das Gespräch suche, empfinden die Meisten das als ein unangemessenes Einmischen in ihre Intimsphäre, auf der sie auch als Pfarrerin oder Pfarrer zu Recht bestehen. Wo aber wird in diesen Dingen das lebendige Beziehungsgeflecht und die gegenseitige Anteilnahme am Leibe Christi wirklich deutlich?
Gott beruft Menschen in seine Kirche, um in diese Welt hinein zu wirken. Das dürfen wir nie aus dem Blick gewinnen. Die Gemeinde ist nicht für sich da, sie ist keine Kuschelkirche, in der man sich nur alleine wohl fühlen kann und soll. Genau das ist ja der Grundgedanke, dass der unsichtbare Gott in dieser Welt den Körper Christi als seinen Wohn- und Wirkungsort angenommen hat und dieser Körper Christi heute in der Gemeinde weiter existiert. Dietrich Bonhoeffer hat am Ende seines großartigen Buches „Nachfolge“ gesagt: „Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger.“ (281) Das Leben Jesu Christi unter uns und in dieser Welt ist kein Gedanke, sondern ein Körper, eine Körperschaft. Schon mit dieser Grundbewegung ist alle Selbstgenügsamkeit durchstoßen. Die Kirche ist dafür da, um in die Öffentlichkeit und über ihre eigenen Grenzen hinaus zu wirken. Aber die zu diesem Dienst fähige Kirche – auch das muss mit allem Nachdruck gesagt werden – ist die Gemeindekirche. In einer konkreten Gemeinde wird geglaubt, geliebt und gehofft. Weil Gott seinen Geist einem jeden Glied seiner Gemeinde schenkt, deswegen lebt die Kirche. Indem der eine Geist Gottes jeden Christen begabt, wird die Gemeinde insgesamt fähig, die ihr übertragenen Dienste oder Aufgaben zu tun. Mit den Gaben oder Charismen, die der Geist schenkt, hat die Gemeinde die notwendigen Begabungen, um ihre Aufgaben zu erledigen.
Warum fehlen dann aber heute offensichtlich weithin die Menschen, mit den Gaben und Begabungen, die unsere Gemeinde aufleben lassen? Die beste Antwort auf diese Frage finden wir ebenfalls bei Dietrich Bonhoeffer: „Eine Gemeinschaft, die es zulässt, dass ungenutzte Glieder da sind, wird an diesen zu Grunde gehen.“ (Gemeinsames Leben, 1976, 80). Das Problem der großen, unüberschaubaren Gemeinden in der Volkskirche sind die über Jahrhunderte ungenutzten Gaben ihrer Glieder. Die vom Geist begabte Gemeinde, die charismatische Gemeinde, baut sich selbst auf. Dagegen haben ungenutzte Glieder eine Gefahr. Sie werden starr und unbeweglich, schließlich können sie sogar absterben. M.E. liegt hier die eigentliche Krise unserer Kirche: Pfarrer, Kantoren und Küster und ein kleiner Kreis kirchlicher Expertinnen und Experten haben Jahrhunderte lang mit viel persönlicher Mühe Kirche veranstaltet. Viele andere, die auch in diesen Jahrhunderten mit ihren kleinen und großen Gaben da waren, konnten sie in unserer Kirche nicht zur Geltung bringen. Das hat in langer Zeit eine Konsumentenhaltung in unseren Gemeinden befördert. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Beispielen erzählen, die die Absurdität unserer Situation gut zeigen. Da zieht ein bisheriger leitender Manager in eine Gemeinde, um dort jetzt seinen Ruhestand zu verleben. Er stellt sich beim Pfarrer vor und fragt, ob es Möglichkeiten gäbe, in dieser Gemeinde mitzuarbeiten. Der Pfarrer will darüber nachdenken. Er wird zwei- dreimal daran erinnert, aber niemals fällt ihm etwas ein, wo dieser höchst begabte und noch sehr rüstige Mann seine Gaben einsetzen könnte. Schließlich meldet er sich bei diesem Manager im Ruhestand und schlägt ihm vor, in einem entlegenen Gemeindebezirk Gemeindebriefe auszutragen.
Aus anderen Gemeinden sind mir auch Antworten bekannt, wie: „Ach danke für ihr freundliches Angebot. Aber eigentlich sind bei uns alle Aufgaben verteilt. Das Notwendige wird bereits erledigt.“ Wenn kirchliche Mitarbeitende so reden, nehmen sie die Wirkung des Geistes Gottes unter uns nicht wahr. Dadurch stirbt die Kirche als lebendiger Organismus ab. Die Kirche, die die Pfarrer/innen und die kirchlichen Mitarbeiter veranstalten, ist das Gegenteil der Gemeindekirche. Paulus geht sogar noch einen Schritt weiter. Er nennt die Begabung jedes Einzelnen durch den Geist Gottes eine Offenbarung. Es ist eben der Anteil am Herrn und der Einblick in seinen Willen, wenn Gott Menschen mit einer bestimmten Fähigkeit begabt. Und er geht davon aus: Jede und Jeder in unseren Gemeinden hat diese Begabung. Es gibt in unseren Gemeinden keinen unbegabten Menschen. Wir müssen nur entdecken, wozu die Einzelnen begabt sind, was sie zum Wohle der Gemeinschaft einbringen können. Der Geist will sich Jedermann offenbaren und zwar so, dass alle dadurch einen gegenseitigen Vorteil haben.
Ich darf Sie hier als Synodale auch persönlich anreden. Sie haben diesen Dienst der Mitarbeit in der Synode übernommen. Diesen Dienst gilbt es nun in Treue dem Auftraggeber gegenüber – und das ist nach unserem Bibeltext Jesus Christus, der Herr – auszuführen. Was ist das für ein Amt? Paulus würde sagen, hiermit gehören Sie nun zu den „Regierern“ (1. Kor. 12, 28). Nach unserer Kirchenordnung ist die Leitung der Kirche auf vier Institutionen verteilt. Neben und mit der Synode haben die Kirchenleitung, das Konsistorium und der Bischof Leitungsaufgaben. Bitte übernehmen Sie den Ihnen heute übertragenen Dienst in Treue. Besuchen Sie die Synoden regelmäßig. Nach der Geschäftsordnung der Landessynode (§ 2, Abs. 1) sind die Mitglieder der Synode verpflichtet, an den Tagungen der Synode teilzunehmen. Man kann sich nicht entschuldigen, man kann höchstens verhindert sein. Nehmen Sie das nicht als eine kleinliche Nickeligkeit, sondern als eine große Ernstnahme Ihres Amtes, wenn es im § 2 der Geschäftsordnung heißt: „Mitglieder, die zeitweise verhindert sind, haben dies dem Präsidium unter Angabe des Grundes vorher mitzuteilen. Das Präsidium berät mit ihnen über die Triftigkeit des angegebenen Entschuldigungsgrundes. In jeder Sitzung sind die Namen der Beurlaubten und fehlenden Mitglieder bekannt zu geben und in der Verhandlungsniederschrift zu vermerken.“
Gerade in dieser Legislaturperiode wird auf den Synoden über den zukünftigen Kurs, ja sogar über das zukünftige Sein oder Nichtsein der Pommerschen Kirche entschieden werden. Die Verantwortung über diese Entscheidung liegt bei Ihnen. Sie sind bei Ihren Entscheidungen nicht an Weisungen irgendwelcher anderen Gremien gebunden, sondern allein an Ihr Gewissen – und dies gehört Ihrem Herrn Jesus Christus.
Die meisten von Ihnen nehmen auch andere Aufgaben in unserer Kirche wahr. Das ist auch gut so. Trotzdem möchte ich Sie herzlich bitten, verstehen Sie die Mitarbeit in dieser Synode, d. h. für einen begrenzten Zeitraum von 6 Jahren, als Ihre Platzanweisung, an der Gott möchte, dass Sie Ihre Gaben einsetzen.
Ich komme zum Anfang zurück. Nein, auch für unsere Kirche gibt es kein Untergangsszenarium. Aber es wird viel, vielleicht alles davon abhängen, ob wir beginnen, Gaben zu entdecken. Dadurch dass Jeder und Jede dem ihm oder ihr verlierenden Geist nutzt, beginnt der ganze Leib Christi wieder zu leben. Das ist eine charismatische Gemeinde, eine von Gott begabte und begnadete Gemeinde, in der Jede und Jeder eine Aufgabe zum Wohl aller übernimmt.
Es ist den Lutheranern oft vorgeworfen worden, sie würden sich auf der von Gott geschenkten Gnade ausruhen. Das ist ein schlimmer Vorwurf. Denn wenn ich wirklich Gottes Gnade erfahren habe, dann beruhigt sie nicht, sondern setzt in Bewegung. Die von Gott erfahrene Gnade aktiviert. Das ist ein herrliches Gefühl, ich fühle mich gebraucht. Selbst in Stunden des Zweifels weiß ich, dass ich nicht unnütz bin. Und so ist der Dienst, den ich anderen erweise, Gnade, Gnadengabe, geschöpft aus dem Reichtum der Möglichkeiten Gottes.
Amen.