Predigt zur Wiedereröffnung des Domes zu Meldorf
30. November 2009
Liebe Festgemeinde, „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch!“ Ein voller, reicher Klang eben in dieser schönen Kirche. Ein leuchtender Hymnus auf die offenen Türen, die weit geöffneten Flügel: einladend, lockend, verheißungsvoll - komm zu uns! Zögere nicht, bleib nicht schüchtern auf der Schwelle stehen, hab keine Angst, tritt ein und sei willkommen! Gibt es einen besseren Tag, die Wiedereröffnung, den Wiedereinzug der Gemeinde in den Dom zu feiern als heute? Gibt es bessere Worte dafür als diese Hymne auf das Kommen Gottes, seinen Advent in unserer Welt? „Machet die Tore weit und die Türen in dem Dom hoch, dass der König der Ehren einziehe.“
Ja, es ist alles bereitet: die Tore stehen offen, der Dom erstrahlt in frischem Glanz, die Außenhaut ist wieder dicht, der Schimmel ist beseitigt, die Farben erstrahlen in neuem Glanz und die Orgel klingt wie neu. Über kurz oder lang wird auch der goldene Hahn vom Turm aus über Markt und Stadt wachen und leuchten -- ein sichtbares Zeichen für das breite Bündnis von Christengemeinde und Bürgergemeinde, das dieses große Renovierungswerk getragen und vorangebracht hat! Dank dafür und nochmals Dank. Viele Steine und auch viel Geld mussten in den letzten Jahren in die Hand genommen werden. Und viele Menschen haben dazu beigetragen: Diejenigen im Kirchenvorstand, die das Projekt in Angriff genommen haben, die es geplant und verantwortet haben, die mit Phantasie und Großzügigkeit die Finanzierung ermöglicht haben und die, die fachkundig die einzelnen Arbeiten durchgeführt haben. Christengemeinde und Bürgergemeinde haben beispielhaft zusammengewirkt, um den Dom, um das Wahrzeichen von Meldorf in seiner Pracht zu erhalten.
Ich sage ganz bewusst „Wahr-Zeichen“; mit allem, was in diesem Wort gebunden ist: Wahrheit und Zeichen. Denn beide gehören zusammen: die Vertikale und die Horizontale, der Markt und das Gotteshaus. Der Zusammenklang von Christengemeinde und die Bürgergemeinde macht erst die Wahrheit unseres Lebens aus. Zusammen formen sie sich zum Kreuz, das Gott über unser Leben gesetzt hat.
Horizontal ist die Bewegung von Mensch zu Mensch. In der Stadt, auf der
Straße, auf dem Markt. Der große Raum des Zwischenmenschlichen. Man
trifft sich, man spricht miteinander, man tauscht aus, Waren und Erfahrungen, Geschichten und Geschichte. Manchmal treffen Gegensätze aufeinander:
Einheimische und Touristen, Junge und Alte, Hiesige und Hinzugezogene, Arme und Reiche. Das ganze bunte Leben.
"Friede ernährt, Unfriede verzehrt" steht noch heute über manchen alten Stadttoren. Es versammelt die bittere, leidvolle Erfahrung von Generationen. Unfriede verzehrt. Der Unfriede der Welt. Das Gefälle zwischen arm und reich. Die große Kälte, wenn
jeder nur noch das Eigene mit Klauen und Zähnen meint verteidigen zu müssen. Und keinen Blick mehr hat für das Wohl des Nachbarn nebenan. Für die, die im Schatten stehen, ausgeschlossen, ausgegrenzt und draußen vor der Tür. Auch hier gilt: Machet die Tore weit und die Türen in der Welt, in der Stadt, in den Häusern hoch!
Heute hören wir als Predigttext Worte des Apostels Paulus im 13. Kapitel des Römerbriefes:
„(8)Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander
liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
(9 )Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht
töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da
sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«
(10)Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des
Gesetzes Erfüllung.
(11)Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da
ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der
Zeit, da wir gläubig wurden.
(12)Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbei gekommen. So
lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des
Lichts.“
Einen besonderen Weckruf höre ich in diesen Worten. Und mancher hörte diese Worte als jemand, der vielleicht nicht ausgeschlafen hat, sondern müde gekämpft ist, vom Leben gezeichnet. Erschöpft von der Informationsflut, Geschäftigkeit und Rastlosigkeit. Uns allen gilt dieser Satz: Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst - dann bist Du nicht fern vom Reiche Gottes. Fang an, mach einen ersten Schritt. Heute - nicht erst morgen oder übermorgen. Die Stunde ist da - reibe Dir den Schlaf aus den Augen, steh auf, sei wach mit deinen Augen und in deinem Herzen. Menschliches Leben, das diesen Namen verdient, gibt es nur in einer Verantwortungsgemeinschaft.
Wo einer für den anderen da ist, einer für den anderen einsteht, und alle darauf achten, dass auch die Schwachen mitkommen und teilhaben können. Martin Luther schreibt einmal:
„Nun ist kein größerer Gottesdienst als christliche Liebe, die den Bedürftigen hilft und ihnen dient, wie Christus am Jüngsten Tag selbst bekennen und richten wird.“.
Also: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch“ - auch die Türen von Mensch zu Mensch, in der Horizontalen des Lebens, in der Bürgergemeinde. Und haltet daran fest, dass Frieden, Schalom, ein Grund- und Hauptwort unseres Glaubens ist. Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt; sagt der Apostel.
Paulus entwickelt in diesen Kapiteln des Römerbriefes eine Ethik für das Gemeindeleben. Eine Ethik nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern eine Ethik, die sich aus einer engen Bindung an Christus ergibt. An anderer Stelle schrieb Paulus einmal:
„ Gott, der sprach, Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ Dieser adventliche Schein öffnet unsere Herzen und Hände. Christus hat Gottesliebe und Menschenliebe zusammengedacht und zusammengebracht hat: Du sollst den
Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt -- und deinen nächsten wie dich selbst. Ohne diese Vertikale zwischen Gott und Mensch würde sich alles nur in der Fläche abspielen, oberflächlich und menschlich-allzumenschlich. Aber die Mauern des Domes mitten auf dem Marktplatz, sein hoch aufragender Turm -- das ist ein Wahrzeichen für diese Vertikale. Eine Unterbrechung, eine Stein gewordene, wortlose Predigt - hinaus in Stadt und Land und hinein in die Seelen der Menschen - auch die der vielen Besucher, die als Touristen oder Musikliebhaber über die Schwelle kommen. Ein Fingerzeig nach oben, hin zu dem, der größer ist. Ein Hinweis auf das Außer-Alltägliche und Innere des Leben -jenseits von Kaufen und Verkaufen, Arbeiten und Verbrauchen.
Jetzt ist dieser Fingerzeig nicht mehr verschlossen - Nein; er ist offen, einladend, und öffnet unsere Herzen. Lass dich umarmen von Klang und Musik, komm herein, hierher, wo Du zur Ruhe kommen kannst, zu Dir und zu Gott. Jahrhunderte lang
haben Menschen hier gebetet, gesungen, auf Gottes Wort gehört, ihm ihr Lachen und ihre Tränen hingehalten und die Stille gesucht. Mancher sagt deshalb: „Das ist meine Kirche, in der ich konfirmiert wurde“. „Unsere Kirche, in der wir geheiratet haben, wo unsere Kinder getauft wurden.“
„Es ist besser ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu schimpfen.“
Fang also heute an mit dem Advent. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag nahe
herbei gekommen- steh auf, sei wach auch in deinem Herzen. Der König der Ehren will zu Dir kommen, mach deine Tore weit und die Tür im Herzen hoch, damit bei Dir einziehe!
Du fragst vielleicht: Wie geht das denn, Tore und Türen des inneren Menschen hoch und weit machen? Ich antworte: Vertiefe Dich in das Geheimnis, wie Gott zur Welt kommen will - auch bei Dir. Die Tür aller Türen, die Schwelle zum Leben und Pforte zum Allerhöchsten - die liegt nicht verschlossen und versperrt in irgendeinem fernen Tempel in irgendeinem fernen Land in irgendeiner fernen Zeit. Nein, du hast sie direkt vor dir. Sieh auf Christus, das Krippenkind. Er bezeichnet die Schnittstelle, wo Gott und Mensch zusammenkommen.
Hier und nirgendwo sonst kommt das Geheimnis der Welt dir entgegen - und es kommt anders, als du vielleicht meinst. Nicht als der himmlische Chef mit Kommandostimme, senkrecht von oben, nicht Top-Down - nein: schutzlos, verletzlich, ganz weich. Als nacktes hilfloses Baby. So und nicht anders will er zur Welt kommen, und so ist er zur Welt gekommen: damals, im Stall von Bethlehem.
Warum so? Hätte er es nicht einfacher haben können, senkrecht von oben, mit Blitz und Donner und Feuer und Schwert?
Nein. Gott nimmt uns Menschen ganz und gar ernst. Ernster, als wir selbst es vielleicht tun. Er nimmt ernst, dass wir nicht gerne von oben herab behandelt werden. Das weckt nur Trotz und Widerstand. Darum geht er den anderen Weg. Von ganz unten. Er appelliert an die guten Seiten in uns, an unser besseres Ich - genauso, wie das jedes Baby und jedes Kleinkind tut. Ein kleines, rundes Gesicht, ein zarter, schwacher Körper - das weckt spontan väterliche oder mütterliche Gefühle, wenn unser Herz nicht völlig verroht ist. Und genau darauf setzt Gott. Deshalb kommt er als Kind. Er will nicht Furcht wecken, er will Liebe gewinnen.
Wir wissen heute: Wer Menschen bewegen will, muss sie "positiv motivieren". Auf Einsicht und Verantwortungsgefühl vertrauen und daran appellieren. Können wir nicht auch so das Geheimnis des Advents verstehen? Gott kommt als Kind, weil er nicht kommandieren, sondern motivieren will. Damit wir frei, aus eigener Einsicht und eigener Verantwortlichkeit die Schwelle überschreiten. Damit wir für das Zarte, für Wahrheit und Güte eintreten. Ein Baby kann niemanden zwingen. Aber es kann durch sein Wesen und sein Lächeln unser Herz anrühren und unsere Liebe zum Leben wecken und stärken. Und ist das nicht tatsächlich das A und O? Der einzige Weg, wie eine zerfallende, aus den Fugen geratene Welt wieder erneuert werden, buchstäblich „renoviert“ wie dieser schöne Dom, und wieder ins Lot kommen kann?
Liebe und Großmut kann niemand befehlen. Aber sie können geweckt und bestärkt werden. Manchmal durch ein Baby, durch den Sohn oder die Tochter, die uns geschenkt werden und unser Leben vollkommen verändern. Genauso will auch Gott bei uns ankommen und unser Leben verändern - jetzt, im Advent, und überhaupt alle Tage, bis ans Ende der Zeit.
Also wenn du es satt hast, immer nur in der Horizontalen zu leben, wenn du nicht nur Oberfläche willst, sondern Tiefe, Echtheit, Erfüllung in deinem Tun und Treiben - dann öffne auch die innere Tür, auf der diese Worte stehen: Glauben - Hoffnung - Liebe. Und vergiss nicht: Diese Tür geht nach innen auf, zu deinem eigenen inneren Leben. „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe.“ Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbei gekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Werke des Lichts.
Amen