31. März 2012

Rede auf dem Rathausmarkt zur Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Bombardierung auf Lübeck 1942

31. März 2012 von Kirsten Fehrs

„Klopf, klopf - Lübeck ist weltoffen“

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, 
was für ein deutliches Zeichen gegen Rechts ist das heute hier! Nicht allein, dass wir hier in beeindruckender Weise der Mahnung zum 70. Jahrestag des Bombardements auf Lübeck gedenken, sondern es ist auch gelungen, gegen den Aufmarsch von Rechtsradikalen heute eine so vielfältige und große Protestkundgebung auf die Beine zu stellen. Danke allen, die an diesem großartigen Programm des Initiativ-Kreises „Lübeck ist weltoffen“ mitwirken (Dank stellvertretend für alle an: Frau Peters-Hirt, Kempke, Zetsche und Pröpstin Kallies). Das Programm mahnt und erinnert u.a. mit historischen Stadtspaziergängen an Deportation und Pogrom und Bombennacht. Danke sage ich allen, dass Sie gekommen sind und sich selbst als Zeichen mitgebracht haben. Junge und Alte, Geschäftsleute, Mitglieder von Gewerkschaften, Parteien und Vereinen, aus der jüdischen und den muslimischen Gemeinden und aus unseren Kirchengemeinden. Die Gemeinsamkeit hat große Kraft - und in diesem Zusammenhang möchte ich meinen Dank und Respekt ausdrücklich auch denen aussprechen, lieber Bürgermeister Saxe, die sich in Lübeck für ein Verbot dieses sogenannten „Trauermarsches“ eingesetzt haben. Ich akzeptiere, aber bedauere es auch - und mit mir Kirchenleitung, Synode und Bischofskollegium der Nordelbischen Kirche -, dass das Oberverwaltungsgericht dem nicht folgen konnte. Zumal es gerade in diesem Jahr eine parteiübergreifende Verständigung gibt, ein gemeinsames Zeichen zu setzen. Ein gemeinsames Nein der Demokraten gegen Rechts – wie gut ist das!
Christinnen und Christen schätzen das Recht auf Meinungsfreiheit als hohes und in der Geschichte bitter erkämpftes Gut – umso mehr sind wir aufgerufen, unsere Stimmen gegen jene zu erheben, die die Meinungsfreiheit für Hassparolen missbrauchen. Wir müssen unsere Stimmen erheben gegen sie, die die Menschenrechte mit Kampfstiefeln treten. Die blind sind für die Lehren der Geschichte und nach wie vor die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verherrlichen. Demgegenüber müssen wir wachsam sein – und gegenhalten gegen eine menschenverachtende Ideologie, die sich wieder schleichend in unserem Land auszubreiten scheint.
Die Aufdeckung der Morde durch die „Zwickauer Zelle“ hat auf unheimliche Weise deutlich gemacht, wie verbreitet rechtsextremes Gedankengut ist. Schleichend kommt die braune Ideologie in die Wohnzimmer unseres Landes, wenn wir nicht dagegen halten. Schleichend kommt sie in der der Form von so genannten Argumenten, die die Schuld für gesellschaftliche Missstände immer bei anderen sehen: bei den Fremden, den Schwachen, den Politikern, dem System. Schleichend kommt die braune Ideologie daher mit der Behauptung, endlich die Wahrheit zu sagen und Lügen wegräumen zu wollen. Aus der Geschichte und der Gegenwart wissen wir aber: Das kann unwahrer nicht sein! Jedes Jahr erfahren wir aufs Neue: Der so genannte „Trauermarsch“ der Rechten verleugnet ganz bewusst den Zusammenhang der Bombardierung Lübecks vor 70 Jahren. Er leugnet den Luftangriff der deutschen Wehrmacht auf Coventry, der der Bombardierung vorausging und großes Leid auch über diese englische Stadt gebracht hat!
Das Ziel der alten wie der Neonazis ist es, Angst und Hass zu schüren. Sie schrecken dabei auch nicht vor Gewalt zurück. Direkte Gewalt. Die Aufdeckung der NSU-Terrorzelle hat gezeigt, dass wir es mitnichten nur mit Verwirrten, sondern auch mit Mördern und Schwerstkriminellen zu tun haben. Dagegen ziehen wir heute hier in Lübeck auf die Straße. Auch die, die eher selten demonstrieren. Doch heute ist klar: Das müssen wir tun! Wir müssen die Stimme erheben, denn Schweigen heißt dulden. Und wer Nazis duldet, macht sie stark. Nein, sagen wir. Gewaltfrei und phantasievoll sagen wir Nein! zu Rechts. Sagen Nein! zu Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, zu Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. 
Als Kirche glauben wir an den Segen und die Verheißungen des einen Gottes von Juden, Christen und Muslimen. Bei allen Unterschieden sehen wir uns in einer Gemeinschaft mit der jüdischen Gemeinde und mit den muslimischen Gemeinden hier und anderswo. Ja! Sagen wir deshalb zu einem friedlichen Zusammenleben der Religionen in unserem Land.
Als Kirche setzen wir uns ein für Migrantinnen und Migranten aus aller Welt. Wir wollen, dass Verfolgte in unserem Land Asyl erhalten, das Fremde bei uns ihr Zuhause finden können. Ja! Sagen wir deshalb zu einer menschenfreundlichen und weltoffenen Stadt. Ja sagen wir zu interkulturellem Dialog, zu einer toleranten Gesellschaft, die die Meinungsvielfalt achtet, weil sie sich ihrer Geschichte bewusst ist. Ja! Zu einem weltoffenen Lübeck!
Dafür stehen wir heute hier, gemeinsam: nicht nur gegen Rechts und ihre menschenverachtende Ideologie, sondern für hanseatische Weite, für Toleranz und Freiheit. Aufrecht, gerade, frei und gewaltfrei – wir stehen für eine Kultur der Vielseitigkeit, deren Mutter Courage heißt, das kann man gar nicht häufig genug betonen.

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