31. März 2012

Rede von Bischöfin Kirsten Fehrs bei der Kundgebung am Ziegelteller

31. März 2012 von Kirsten Fehrs

Bündnis „Wir können sie stoppen“ gegen den „Trauermarsch“ der Neonazis

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
liebe Gleichgesinnte,
was für ein deutliches Zeichen gegen Rechts ist das heute hier! Ich freue mich, dass es gelungen ist, eine so große und vielfältige Protestkundgebung auf die Beine zu stellen – und das von morgens bis abends! So unterschiedlich wir sind, die wir hier stehen, mindestens in einem sind wir uns einig. Eine Stadt wie Lübeck, die dem Aufmarsch von Rechtextremen kein Zeichen entgegensetzt - ist für uns undenkbar. Gleichgültigkeit verbietet sich, weil eben nicht alles gleich gültig ist. So stehen wir hier für bunte Vielfalt - statt brauner Einfalt!
Danke sage ich ausdrücklich allen, die in den vergangenen Monaten dies alles vorbereitet haben (Applaus den Organisatoren – u.a. Bündnis „Wir können sie stoppen“) und danke allen, die sich an runden Tischen noch und noch (Initiative „Lübeck ist weltoffen“) zusammengefunden haben, um gemeinsam ein Zeichen zu setzen gegen Rechtsradikalismus in unserem Land, gegen braune Parolen, gegen Intoleranz, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.
Und ausdrücklich möchte ich auch denen danken, die sich hier in Lübeck für ein Verbot dieses so genannten „Trauermarsches“ eingesetzt haben. Ich akzeptiere, bedauere aber auch sehr (und mit mir Kirchenleitung, Synode und Bischofskollegium der Nordelbischen Kirche), dass das Oberverwaltungsgericht dem nicht folgen konnte. Zumal es gerade in diesem Jahr eine parteiübergreifende Verständigung gibt, ein gemeinsames Zeichen zu setzen. Ein gemeinsames Nein der Demokraten gegen Rechts – wie gut ist das!
Christinnen und Christen schätzen das Recht auf Meinungsfreiheit als hohes und in der Geschichte bitter erkämpftes Gut – umso mehr sind wir aufgerufen, unsere Stimmen gegen jene zu erheben, die die Meinungsfreiheit für Hassparolen missbrauchen. Wir müssen unsere Stimmen erheben gegen sie, die die Menschenrechte mit Kampfstiefeln treten. Wer so gegen Menschenwürde handelt, handelt gegen Gott; rechtsextremes Gedankengut ist mit unserem christlichen Glauben - aber auch mit dem anderer Religionen - nicht vereinbar: Und so halten wir ihnen hier und heute wie unser Bundespräsident entgegen: Euer Hass ist uns Ansporn. 
Ein Ansporn dazu, wach zu bleiben. Gegenzuhalten gegen die, die blind sind für die Lehren der Geschichte, die die Verantwortung von uns Deutschen für die Gräueltaten des Nazi-Regimes leugnen. Und das gerade im Angesicht von Palmsonntag, dem Tag, an dem der Bombennacht und der Opfer von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft gleichermaßen gedacht wird. Dieses Gedenken wollen und dürfen wir nicht den Rechten überlassen! Es ist unerträglich, dass Neonazis die Opfer der Bombardierung für ihre rechtsextremistische Propaganda instrumentalisieren. 
Dem sogenannten Trauermarsch muss der Marsch geblasen werden:
Hört auf mit Eurer Geschichtsverdrehung und Leugnung!
Hört auf, christliche und andere religiöse Überzeugungen zu diffamieren!
Hört auf mit Rassismus, Hass und Ausgrenzung!
Als Kirche stehen wir auf gegen rechtsextreme Tendenzen, weil jede Art von Menschenfeindlichkeit gegen AusländerInnen und Asylsuchende, gegen Fremdes, gegen Homosexuelle und Menschen mit Behinderungen – weil jede Form der Ausgrenzung unserer Grundüberzeugung widerspricht: der Überzeugung, dass alle Menschen als Gottes Geschöpfe ihre unbedingte Würde besitzen und unendlich wertvoll sind. Unsere Unterschiede sind eine Kraft, mit der wir allen Einheitsideologien entgegen treten können: Unser Kreuz hat keine Haken!Die Aufdeckung der NSU-Terrorzelle in Zwickau macht es erneut dringlich, dass wir der Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts Einhalt gebieten müssen. Doch dafür braucht es noch mehr als Demonstrationen. Wir alle müssen dafür sorgen, dass der offensichtliche Kampf um die Gedanken und Emotionen junger Menschen nicht von Rechtsextremen gewonnen wird. Wir brauchen eine Sensibilität für die, die sich nicht beachtet fühlen oder an den Rand gedrängt, für die, die mit Perspektivlosigkeit kämpfen und Isolierung. Wir brauchen ein offenes Klima, das keinen verloren gibt. Wir brauchen eine Bildungslandschaft, die die Fragen der nächsten Generation ernst nimmt und darüber reden lernt. Wir brauchen Stolpersteine – nicht allein auf der Straße, die wir gleich gehen-, sondern auch in den Köpfen der Menschen. 
Auf die eine wie die andere Weise: Stehen wir entgegen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, aufrecht, gerade, frei und gewaltfrei - stehen wir gegen rechts und damit für eine Kultur der Vielseitigkeit, deren Mutter Courage heißt.

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