21. Juni 2015 | Auferstehungskirche in Oststeinbek/Havighorst

Rücksicht braucht jetzt Rückenwind

21. Juni 2015 von Kirsten Fehrs

3. Sonntag nach Trinitatis, Fahrradgottesdienst mit einer Predigt zu Sprüche 3, 13 ff.

Wohl dem Menschen, der Weisheit erlangt, und dem Menschen, der Einsicht gewinnt! Die Wege der Weisheit sind liebliche Wege, und alle ihre Steige sind Frieden. Sie ist ein Baum des Lebens allen, die sie ergreifen, und glücklich sind, die sie festhalten. Der Herr hat die Erde durch Weisheit gegründet und nach seiner Einsicht die Himmel bereitet. Kraft seiner Erkenntnis quellen die Wasser der Tiefe hervor und triefen die Wolken von Tau. Lass sie nicht aus deinen Augen weichen, bewahre Umsicht und Klugheit! Das wird Leben sein für dein Herz und ein Schmuck für deinen Hals. Dann wirst du sicher wandeln auf deinem Wege, so dass dein Fuß sich nicht stoßen wird.

He's got the whole world in his hand – eine wunderbare Art, liebe Fahrradgemeinde, in eine Predigt hinein zu swingen. Und das zu einem Bibeltext, der mein Fahrradtext geworden ist. Haben Sie die Sprüche der Weisheit noch im Ohr? Die "lieblichen Wege" und "Steige des Friedens", die uns zum "Baum des Lebens" führen können? Wenn wir Umsicht und Klugheit bewahren, so geht es weiter, dann werden wir sicher wandeln. Klingt doch fast, als wäre dieser Text auf einer Radtour entstanden! Hätte es zu Zeiten Salomos schon Fahrräder gegeben…

Interessanterweise redet die Bibel höchst selten vom Fahren – wenn, dann höchstens vom Fahren per Schiff. Eigentlich gibt es nur eine einzige Geschichte, die von einem Landfahrzeug handelt – das ist die Erzählung vom Kämmerer aus Äthiopien, der mit seinem Wagen dahinfährt und dabei laut in der Bibel liest. Aber dieser Pferdewagen war damals das, was heute vielleicht ein Porsche wäre oder ein großer Mercedes. Also ungeeignet als Lesung für einen Fahrradgottesdienst…

Ansonsten gehen in der Bibel fast alle Menschen zu Fuß. Und sind immer in Bewegung. Das Volk Israel, wir erinnern uns, ging durch die Wüste, 40 Jahre, es ist definitiv ein wanderndes Gottesvolk. So auch Jesus – immer unterwegs von einem Dorf zum anderen bis nach Jerusalem. Immer zu Fuß, gelegentlich auf einem Esel, manchmal auf einem Schiff. Nicht zu vergessen die Apostel, Paulus zum Beispiel, ein Weltreisender in Sachen Verkündigung. Das Reisen allerdings ging unendlich viel langsamer voran als heute. Begegnungen auf der Straße waren noch echte Begegnungen, mit der Möglichkeit sich ins Gespräch zu vertiefen, buchstäblich über Gott und die Welt.

Und diese ereignisreiche Langsamkeit gab es ja lange auch bei uns, bis ins 19. Jahrhundert hinein. Dass wir heute so pfeilschnell durch die Gegend sausen, in der Regel motorisiert, ist ja eine vergleichsweise neue Er-fahrung. Und es hat alles verändert – unsere Städte, unsere Gesellschaft, unsere Umwelt, uns selbst. Die Grenzen unserer Möglichkeiten haben sich weit in den Himmel verschoben. Immer größer die Reichweite und schneller das Tempo. Wir können unser Leben so frei und flexibel planen wie kaum eine Generation vor uns. Kurz: All das, was wir heute Internationalisierung und Globalisierung nennen, gäbe es ohne moderne Verkehrsmittel nicht.

Das Antlitz der Erde allerdings hat gelitten. Enorm gelitten. The whole world leidet unter unserer Grenzenlosigkeit. Gut 650.000 Kilometer asphaltierte Straße gibt es allein in Deutschland. 18 Prozent des Treibhausgases Kohlendioxid stammt aus dem Landverkehr. Dennoch wächst weltweit die Motorisierung. Sie ist in ihrer Dimension zu einem riesigen Problem geworden. Menschlicher Erfindergeist stand halt viel zu lange viel zu eindimensional im Dienst des „stärker – schneller – weiter“. Wir wissen es längst: diese Art von technischer Intelligenz allein steuert unser Leben in eine Sackgasse.

Dumm, das. Fatal auch. Es ist Zeit, klüger zu werden, sagt der Predigttext. Weisheit ist das Ziel. Sie ist das Zentrum des Textes. Und zwar Weisheit nicht nur verstanden als Wissensmacht. Sondern als Herzensklugheit. Das Herz nämlich schlägt nie nur für mich selbst. Sondern doch besonders verliebt für den anderen. So führt Weisheit zum Frieden, sagt der Text: Indem sie den Blick auf's Ganze richtet, auf die anderen, die Natur, die Tiere, die Weite. Weise betrachtet gibt es also nie den einzelnen, auch nicht das einzelne Verkehrsmittel, sondern nur den bewegten und herzbewegenden Gesamtzusammenhang.

Ohne Weisheit, so sagt es unser Text, ist alles nichts. Immerhin hat Gott selbst die Erde durch Weisheit gegründet. Er hat durch weise Erkenntnis die Himmel bereitet, lässt die Wolken regnen, die Wasser hervorquellen und grandiose Lebensfreude dazu. Die Natur bildet Gottes weisen Plan ab – davon waren die Menschen überzeugt, die vor mehr als 2.300 Jahren diese Verse aufgeschrieben haben. Wir sollen uns nämlich stets, an Fahrradgottesdiensten besonders, erinnern, warum wir die Schöpfung bewahren sollen. Nicht allein, weil Gott sie geschaffen hat, weil sie ihm gehört und weil er sie unserer Generation nur geliehen hat. Nein – Gott hat alles in einen guten Zusammenhang gestellt, den wir doch bitte erfassen möchten! Denn es ist ja nicht etwa verboten, die Erde zu bebauen, auch nicht, neue Verkehrsmittel zu erfinden. Oder Straßen zu bauen. Aber das kluge Augenmaß gilt es zu halten, um die gute Schöpfung zu bewahren und immer wieder Ausgleich herzustellen. Und das gelingt nur, wenn wir uns wenigstens bemühen, Gottes Weisheit zu verstehen.

Zum Glück geschieht das. Klimaschutz steht inzwischen, Gott sei Dank, ziemlich weit oben auf der Agenda der Politik. Und auf der Agenda der Nordkirche, versteht sich, sowieso. Immer mehr Menschen erkennen, dass unser Lebensstil nachhaltiger werden muss. Klimafreundlicher. Auf gut Deutsch: bescheidener. Die Jugendlichen sagen es, allen voran. Auf ihrer Klimakonferenz vor einem Jahr haben sie sich eindrücklich und höchst kreativ mit dem "Genug" auseinandergesetzt. Suffizienz ist das Zauberwort. Sie sagen: Wir haben doch wahrlich alle genug – um gut zu leben. Und: Es ist genug – mit der seufzenden Kreatur.

Just (termingerecht zu unserem Vorhaben heute) hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika "Laudato si" dieses "Stöhnen der Schwester Erde" beeindruckend beschrieben. Und er ruft uns auf, "die Werkzeuge Gottes des Vaters zu sein, damit unser Planet das sei, was Er sich erträumte, als Er ihn erschuf, und seinem Plan des Friedens, der Schönheit und der Fülle entspreche".

Vom Fahrrad habe ich in der Enzyklika noch nichts gelesen, (obwohl Franziskus damit schwer unterwegs ist), aber ich bin sicher, dass es gemeint ist. Hat doch das Fahrrad den großen Charme, dass es sich passgenauer einfügt in Gottes Schöpfung als die meisten anderen Verkehrsmittel. Es verbraucht wenig Ressourcen, allenfalls in seiner Herstellung. Es ist leise. Das reimt sich immerhin auf weise.

Jedoch: Auch das Fahrrad ist immer nur so klug wie der Mensch, der darauf sitzt. Will heißen: Nicht nur das Fahrzeug ist entscheidend, sondern auch die Art, damit umzugehen. Am besten, liebe Geschwister, rücksichtsvoll! – Wir Deutschen neigen wahrlich schnell dazu, aus allem eine Bekenntnisfrage zu machen, sogar aus der Wahl unseres fahrbaren Untersatzes. Nach dem Motto: "Hier fahre ich und kann nicht anders." Woraus dann die Straßenverkehrsregel wird: "Ich habe Recht und deswegen Vorfahrt." Ich finde, liebe Geschwister, mehr Gelassenheit und Klugheit wäre wirklich unschädlich. Also: Rücksicht braucht jetzt Rückenwind!

Diese Einsicht der Rücksicht ist wirklich nicht neu. – Täglich wird man auf Hamburgs Straßen daran erinnert. Freilich, wie das geht mit der Rücksicht, ganz konkret, das habe ich ganz woanders erlebt. Davon möchte ich Euch und Ihnen zum Schluss erzählen:

Viele Wege führen nach Rom, heißt es bekanntlich. Aber viele Wege führen auch durch Rom, das konnte ich dort vor einigen Wochen live und in Farbe erleben. Denn auf diesen vielen Wegen sind unendlich viele Menschen unterwegs, im Auto, auf der Vespa und – man höre und staune – auch auf dem Fahrrad. Überraschend viele sogar.

Radfahren in Rom? Sollte man da nicht vorher sein Testament machen?– Doch ich lernte: Italien ist dabei, sich zu "entmotorisieren". Die Leute in den Großstädten schaffen ihre Autos ab. Vor zwei Jahren wurden in Italien erstmals mehr Fahrräder verkauft als Autos. Ein Grund ist die Wirtschaftskrise, aber ein anderer liegt einfach auf der Hand: In den engen Straßen Roms ist Dauerstau. Da ist man mit dem Fahrrad schneller als mit dem Auto. Die Verkehrsregeln nun sind dabei nicht wirklich wichtig – das wirkt zugegeben erst einmal beunruhigend. Aber in den drei Tagen, in denen ich dort war, wurde mir immer klarer: Der Verkehr läuft eigentlich viel entspannter als in Deutschland.

Wichtig ist hier nämlich vordringlich eines: dass alle wissen, dass alle vorwärts kommen wollen. Und zwar heil. Deshalb gibt es eine gemeinsame Achtsamkeit. Man rechnet mit allem und jedem. Kein "Augen zu und durch", sondern Blickkontakt. Kontakt vom Radler zum Taxifahrer, vom Trucker zum Fußgänger. Auch durch Gesten, höchst erfinderisch sind die. Und siehe da: Es funktioniert mit dieser Art Er-Findung. Man findet zu einer Verständigung, wie's gehen kann. Und zwar weise. Und gelassen.

Unsere Wege auf der Sternfahrt gleich führen nun nicht nach Rom, sondern über hoffentlich liebliche Wege in die Innenstadt. Mögen es Steige des Friedens sein! Auch ist's nicht so sehr critical mass heute, aber dennoch eine Gemeinschaft derer, die in Bewegung ist für eine Bewegung. Und die heißt: Lass die Weisheit nicht aus deinen Augen weichen, bewahre Umsicht und Klugheit. Für Fahrradwege und Gottes Wege des Friedens in dieser Welt.

Dafür lasst uns einstimmen in den "Fahrradchoral": Nun lasst uns gehn und treten… Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere bewegten Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

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