„Satt ist nicht genug“
27. November 2016
1. Advent, Predigt zur Eröffnung der 58. Aktion „Brot für die Welt“, Predigt zu Jeremia 23, 5-8
Gnade und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt!
Ein friedvolles, frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen, liebe Gemeinde! Denn heute beginnt das neue Kirchenjahr, es ist erster Advent! Einer der schönsten Tage im Jahr. Wir dürfen uns freuen: Jesus kommt! „Macht hoch die Tür“ – ist deshalb der eine Grundton dieses Tages. Tür auf, Freude reinlassen! Licht, Luft und Leben satt – Jesus kommt.
Das Evangelium, das wir eben gehört haben, erzählt ja genau dies: Erwartungsvolle, junge Menschen stehen vor dem offenen Stadttor in Jerusalem. Sie sind total begeistert, aufgeregt, schwenken Palmenwedel wie Fahnen. Echte Fans. Gleich kommt er. Der König der Könige. Der kann‘s, sagen sie. Jesus Christ Superstar. Er wird ihnen bringen, was sie sich ersehnen: Gerechtigkeit. Arbeit. Ja, überhaupt, dass sie endlich mal jemand sieht! Ihnen Ansehen gibt. Sie haben es so satt mit dieser dauernden Gewalt auf den Straßen, sie haben ihre Ohnmacht so satt und diese Despoten und ihren Hunger auch. Dieser Jesus aber, er wird es allen zeigen. Hosianna. Und Gloria dazu!
Und dann ist da zugleich dieser viel zartere, leise Ton. Advent ist auch die Musik der Nachdenklichkeit. Maria durch ein Dornwald ging – Kyrie eleis. Wunderschön eben gesungen von dem Schülerchor des Albert-Schweitzer-Gymnasium. Erbarme dich, Gott, singt Maria. Die junge Frau, schwanger und tatsächlich wohl erst 16 Jahre, fragt natürlich: Was wird werden? Um sie herum kann es ungastlicher nicht sein. Lauter Dornen. Das Friedenskind in ihr hat einen schweren Weg vor sich, das spürt sie. Tiefe Symbolik steckt darin: Der Frieden hat es schwer, immer wieder, auf die Welt zu kommen.
Und wir schauen euch zu, den Jugendlichen vom Tanztheater der Klosterschule St. Georg, und werden konfrontiert, auf enorm eindrückliche Weise: Die Welt ist so dermaßen friedensfern! Ihr fragt damit: Wer erwartet ihn überhaupt noch, den Frieden? Bei all den Kriegen. Nicht allein auf den Straßen El Salvadors. Sondern an so vielen Orten. Was da z.B. in Syrien passiert, in Aleppo werfen sie Fassbomben auf Kinder, guter Gott! Oder in Jerusalem heute. Wo der Streit die Menschen bis aufs Blut reizt.
Und eben: Wer erwartet noch den Frieden, oder dass sich wenigstens etwas zum Besseren ändert in El Salvador – in diesem kleinen Land in der Mitte Amerikas, über das keiner redet? Obwohl auch dort wie in vielen Ländern des Südens ohne Bomben täglich Tausende Menschen an der ganz alltäglichen Gewalt auf den Straßen sterben. Wir haben das eben durch das sagenhaft eindrucksvolle Theater nicht nur sehen, sondern richtig fühlen können. Was es gerade für junge Menschen bedeutet, dauernd zu kämpfen. Mit der Armut. Sinn- und Arbeitslosigkeit. Dem Gefühl, nichts wert zu sein. „They don´t care about us“ – Sie, die da oben, sie kümmern sich einen Dreck um uns, sagen sie. Und so schließen sie sich Jugendgangs an. Jetzt herrschen sie. Mit brutaler Gewalt. Kein Land auf der Welt hat eine höhere Mordrate. Furchtbare Folge einer langen Geschichte der Ausbeutung und der Unfähigkeit der heute Regierenden. Die Leidtragenden sind die Ärmsten der Armen in den Elendsvierteln, die erschossenen Jungen und Mädchen, ihre Schreie hören wir noch.
Aber auch das andere hören und sehen wir. Den Tanz derer, die sich nicht abfinden wollen. Das Aufbäumen von ihnen, die sich herausbewegen aus dem ewigen Kreislauf von Gewalt und dem Gefühl, immer nur das Opfer zu sein. Sie, die einen neuen Anfang suchen, die eine Idee davon haben, dass in einem auch etwas Gutes steckt – sie schreien ihre Sehnsucht heraus und ihre Klage, was alles nicht stimmt in diesem Land...
Und da, genau in dem Moment, wo sie sich gerade gemacht, und die Stimme erhoben haben, da haben die Dornen Rosen getragen, singt Maria. Nicht die Rosen Dornen, sondern umgekehrt, die Dornen haben Rosen getragen.
Das ist das unerhört Wahrhaftige in unserem Glauben, liebe Gemeinde. Dass er die Verhältnisse umkehrt, ja, dass er aus der Umkehrung heraus denkt. Und genau deshalb sollen wir der Klage nicht ausweichen, sondern ihr laute Stimme verleiht. Denn nur dadurch kann auch die Hoffnung wieder wachsen. Die Hoffnung: das Grün bricht aus den Zweigen. Viel zu wenig reden und singen wir von ihr, wie ich finde. Die Menschen heutzutage – so verängstigt offenbar, warum auch immer in diesem sicheren Land?! – die Menschen heutzutage brauchen aber diese Klarheit, dass wir hoffen - und zwar gerade über uns selbst, über die Angst, diese furchtbaren Realitäten, die wir sehen können, hinaus! Hoffnung entsteht ja gerade nicht aus dem, was ich an begrenzter Vorstellung in mir habe. Ich kann meine Unsicherheit vor der Zukunft nicht durch mich selbst beschwichtigen. Hoffnung beginnt vielmehr dort, wo mein Horizont überboten wird. Durch die Zusage eines Höheren, der größer ist alle Vernunft. Einer, der einem Zuversicht gibt, ohne dass ich weiß, was kommen wird.
Hören wir deshalb Worte vom Propheten Jeremia, 3.000 Jahre sind sie alt.
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit
Jeremia spricht diese Worte in einer Zeit, als das Volk Israel am Boden zerstört ist. Nirgends können sie sicher wohnen. So aktuell ist das. Ihr Land ist durch Krieg zerstört, Jerusalem wie Aleppo ein Trümmerhaufen. Und das Exil ist ein Ort der Verzweiflung. Ungastlich. Nur Dornen, keine Rosen. Der Prophet hat dies Unheil vorausgesehen. Er hat alle gewarnt. War Spaßbremse und Spielverderber beim Poker mit dem schnellen Geld auf Kosten der Armen. Doch das alles sagt er jetzt nicht. Wer Kummer hat, kann keine Strafpredigt gebrauchen. Stattdessen sagt er: Es kommt die Zeit, da wird es euch besser gehen. Da wird es einen König geben, der Gerechtigkeit heißt. Er wird, so sprechen es die Propheten, sanftmütig sein. Friede ist sein zweiter Name. Nicht auf einem Thron wird er sitzen, sondern auf einem Esel reiten. Und diese Worte der Hoffnung halten die Ängstlichen und Heimatlosen tatsächlich aufrecht und sie kehren – happy end! – heim aus der Gefangenschaft, wie Jeremia es verheißt: Zu seiner Zeit werden sie sicher wohnen.
Und ich danke an all die Geflüchteten unserer Tage. Die, die sich aufs wütende Meer begeben, um irgendwo endlich wieder sicher zu wohnen. Ich denke an die jungen Menschen in El Salvador und dieses Leben in Bedrohung. Sie alle brauchen, dass wir der Verheißung unseren Glauben schenken. Mit tiefer Sehnsucht. Sehnsucht ist die eigentliche Grundmelodie des Advents. In ihr steckt große, immer neue Kraft. Denn wer sich sehnt, bleibt nicht stehen. Wer sich sehnt, will Veränderung, will, dass es besser, gerechter, einfühlsamer, friedvoller zugeht.
Deshalb singen wir von der Hoffnung, die in uns ist. Heute zu Beginn der 58. Aktionswoche von Brot für die Welt. Um wie damals in Jerusalem und heute in El Salvador zu sagen: Wir haben es satt – all die Gewalt. Wir sind hungrig nach Leben. Brot. Danach, der Gerechtigkeit aufzuhelfen aus ihrer Gebrochenheit.
Deshalb singen wir: Der Herr der Gerechtigkeit kommt. Die Liebe in Person. Die in unser Herz einzieht und macht, dass wir gar nicht anders können, als der Barmherzigkeit auf die Welt helfen. Der Herr ist unsere Gerechtigkeit. Einer, der für uns sorgt und erst recht für alle, die in den Staub getreten werden. Ein Gerechter. Einer, der aus dem Leiden erlöst. El Salvador. Das heißt zu Deutsch: Der Erlöser. Tatsächlich. Im Namen dieses geschundenen Landes klingt mit, dass es da eine andere Wirklichkeit gibt!
Und wirklich: Trotz aller Gewalt halten Christinnen und Christen in El Salvador daran fest, dass das Leben siegt. Brot backen statt Blut vergießen: Brot für die Welt unterstützt in diesem Jahr ein Projekt, das Jugendliche zu Bäckern und Bäckerinnen ausbildet. Und wir schlagen hier aus Hamburg eine Brücke nach dort. Ganz konkret im Tun - vor acht Wochen habe ich für dieses Projekt gemeinsam mit Konfirmanden 130 Brote verkauft vor St. Petri an der Mönckebergstraße, die Jungen und Mädchen hatten sie vorher gemeinsam mit Hamburger Bäckern gebacken. Und es war mehr als Backen, es war eine Brücke der guten Gedanken, der Gebete und der Lieder.
Es will gesungen sein, das Hoffnungslied. Voller Sehnsucht. Wie Jeremia. Maria. Die Jugendlichen heute. Und die Friedensstifter in El Salvador. Damit wir nichts und niemanden aufgeben, und sei er oder sie noch so bitter, noch so verzagt, noch so unzulänglich, noch so verletzt, noch so gestraft, noch so ungerecht. Wir singen das Hoffnungslied des Advents, denn es macht aufrecht, in fester Freude.
Jesus kommt. Und mit ihm der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.