10. Dezember 2018 | Hauptkirche St. Petri zu Hamburg

Sauer am Tag der Menschenrechte

10. Dezember 2018 von Kirsten Fehrs

Der Andere Advent, Impuls von Bischöfin Kirsten Fehrs

Liebe Schwestern und Brüder,

das ist ja mal ‘ne Idee, dachte ich, dass der Andere Advent dieses Jahr in Geschmacksrichtungen aufgeteilt ist. Süß, sauer, salzig. In der vergangenen Woche ging es um süß. Und die saure Woche beginnt nun mit mir. Dabei bin ich gar nicht sauer. Außerdem stehen die Wochen vor Weihnachten doch vor allem für Süßes. Lebkuchen, Schokolade, Glühwein? Könnte man denken.

Doch traditionell ist ja der Advent gerade das Gegenteil von Genuss: Es ist eine Fastenzeit. Meint also: Verzicht und innere Einkehr. Damit man nachdenklich wird, was da in dieser Welt so alles nicht süß stimmt, sondern einen ziemlich sauer machen kann.

Gerade heute am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte. Genau 70 Jahre ist es her, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Paris verkündet hat. Die 30 Artikel der Erklärung gehören neben der Bibel zu den meist übersetzten Texten überhaupt. Sie beginnt wie folgt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Was für starke Worte, die ich tief verwurzelt finde in meinem Glauben. Menschenrecht ist von der Schöpfung her heilig, und das heißt: unantastbar.

Doch wie steht es um diese Menschenrechte heute? Vielen Millionen Menschen werden nach wie vor elementare Rechte vorenthalten. Recht auf Freiheit, Gesundheit, Bildung. Sie werden ohne Gerichtsverfahren eingesperrt und gefoltert. In vielen Ländern ist die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Und in so vielen Weltgegenden werden Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt. Das macht nicht nur sauer. Es ist eine Schande. Und was mir besonders sauer aufstößt: Weltweit sind die Menschenrechte in der Defensive, weil Nationalismus und religiöser Fanatismus zunehmen. Auch in Europa, auch bei uns.

Darum darf man in dieser Zeit auch mal sauer sein und Klartext reden. Darf Grenzen markieren – allemal wenn Grenzen in Europa dazu führen, dass Humanität und Anstand ins Bodenlose sinken. So wie es im Sommer geschah, als die Seawatch und andere Rettungsschiffe mit Hunderten von Flüchtlingen an Bord nicht anlegen durften. Unhaltbare Zustände, unhygienische Bedingungen, grausame Überlebenskämpfe und die Kriminalisierung der Helfenden – es hat gereicht! 16.000 Hamburger*innen sind spontan auf die Straße gegangen, Omas gegen Rechts, der Reeder ebenso wie Politiker*innen und Kirchenleute. Die Botschaft war: Wir dürfen nicht dulden, dass man Flüchtlinge auf See ertrinken lässt und auch nicht, dass sie in unserem Land angepöbelt und zusammengeschlagen werden. Oder wie es im Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

Es hat mich sehr berührt, bei der Demo zu erleben, wie vielen es aus der Mitte unserer Stadtgesellschaft unter den Nägeln brannte, zu zeigen: Wenn Menschenrecht untergeht, wenn Lüge und Fremdenfeindlichkeit, wenn Antisemitismus und rechte Gesinnung tatsächlich derart drohen salonfähig zu werden, dürfen wir das nicht unwidersprochen hinnehmen. So klar wurde es doch in diesen Monaten, dass unsere Demokratie überhaupt nicht selbstverständlich ist. Sie braucht Engagierte, jede und jeden von uns, die aufstehen und wahrhaftig Haltung zeigen.

Aber zugleich ist mir wichtig bei aller Nachdenklichkeit, dass wir uns nicht im Sauersein einrichten. Denn auch das gibt es – sich zu verlieben ins Elend und ins Scheitern und am Ende nur noch das Schlechte sehen können. Darum heißt es im Matthäusevangelium: „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten.“ (Mt 6,16)

Sauer sein, liebe Geschwister, darf kein Dauerzustand werden und nicht das Leben versauern. Mal sauer sein und deutlich werden, ok. Aber permanente Sauertöpfigkeit ist eher ein Merkmal der Fanatiker und der Populisten. Denn Säure ätzt und zersetzt, sie gibt keine Kraft. Doch das Fasten, der Verzicht auf Süße und Beschönigung, kann uns stärker machen. Darum sind wir aufgerufen, von Christus her für das Leben Protest einzulegen, andere zu ermuntern, mit Worten, mit Gebeten, mit Liedern. Immer wieder die Wahrheit gegen die Lüge zu setzen. Anzusingen gegen Hoffnungslosigkeit. Einzutreten für die Freiheit. Auch der Religionen. Denn diese Religionsfreiheit, liebe Gemeinde, diese unentwegte Übung der Toleranz ist ein so hohes Gut in unserem Land.

Dazu meine Schlussgeschichte – eine Mischung aus säuerlich und salzig. So nämlich schmeckt bester Schafskäse. Und genau den wollte meine Sekretärin kaufen. Sie war auf dem Rückweg von einer Demo, auf der sie gemeinsam mit 10.000 anderen 178 Merkel-muss-weg-Demonstranten fröhlich entgegen gepfiffen hat. Meine Sekretärin kam also bei ihrem türkischen Gemüsehändler vorbei und dachte: GG – günstige Gelegenheit. In dem Laden nun waren drei junge Türken gerade über ihr Smartphone gebeugt und debattierten: „Eh, Alter, wie viele waren es? Waren es mehr als die anderen?“ „Ja!“, schaltete sie sich spontan ein, „wir waren bestimmt 10.000 hier und 178 dort.“ „Super! Zehntausend! Alle für uns!“, sagte der eine begeistert. „Eh, Digger, das nächste Mal gehen wir auch hin“, sagte der andere. Und zu meiner Sekretärin gewandt: „Den Schafskäse schenke ich Ihnen. Danke, dass Sie auf der Demo waren!“ – und gibt ihr ausgesucht höflich die Hand. Echt süß, dachte sie. Und ging ihrer Wege – mit echtem innerem Frieden.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete, friedvolle Advents-und Weihnachtszeit, liebe Gemeinde, ganz nach Ihrem Geschmack.

Datum
10.12.2018
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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