21. Mai 2017 | Flussschifferkirche

„Schiff Ahoi in Magdeburg“

21. Mai 2017 von Kirsten Fehrs

Gottesdienst und Reisesegen für die Flussschifferkirche

Liebe Flusi-Gemeinde!

Was habe ich diese Geschichte vom Zächaus geliebt, immer schon, und gerade als Kind. Denn die Botschaft ist ja so sonnenklar, wie der heutige Tag: Jesus hat ein Herz für kleine Leute. Sie, die sich immer anstrengen müssen, um von anderen Menschen gesehen zu werden. Die auf Bäume klettern, sich auf Zehenspitzen stellen, High-Heels tragen und Armani-Anzüge, die winken und rufen und laut singen, damit man sie wenigstens hört. Und die manchmal im Schatten der Großen krumme Dinger drehen, wie der Zachäus, der irgendwann dann auch innerlich klein geworden ist und neidisch und geizig wohl auch.

Bis, ja, bis Jesus ihn sieht. Wie er da so sehnsüchtig nach Anerkennung auf seinem Baum hockt, sehnsüchtig auch danach gut sein zu dürfen und Größe zu zeigen. Jesus entdeckt all das und sagt nur: Komm! Und Zachäus  steigt eilends herunter und nimmt  ihn auf mit Freuden. Und macht dann prompt alles, um sich zu ändern. Denn das ist das Größte an der Liebe: sie bewegt einen so sehr im Herzen, dass man sich um eines anderen willen felsenfest vornimmt, ein besserer Mensch zu werden. Dafür ist Jesus gekommen. Um all die zu suchen und glücklich zu machen, die sich oft so verloren fühlen. Weil man sie nicht sieht in dem, was sie geben könnten.

Die „Flusi“ ist für mich genau dies: im besten Sinne eine Kirche für die „kleinen Leute“. Eine Kirche, die alles – auch sich selbst – in Bewegung setzt, um die zu suchen, die man in dieser reichen Stadt und diesem geschäftigen Hafen allzu schnell übersieht und überhört - wie die Binnenschiffer. Ich stehe bewundernd davor, was Ihr alles hier in dieser Gemeinde auf die Beine oder besser auf die Planken stellt. Wie ihr die Menschen in ihren Schiffen aufsucht, die nicht von sich aus hierher kommen können. Wie ihr mit ihnen Existenzangst teilt und Sorgen, aber auch Freude, Freundschaft und – mag sein – auch mal ein Feierabendbier. Und wie ihr Gastfreundschaft pflegt – im Café und hier im Gottesdienst: indem ihr jedem Menschen die Hand reicht, um an Bord zu kommen. Indem ihr vom ersten Moment an  Frieden gebt und Gemeinschaft und einen Ankerplatz bei Gott.

Erst vor kurzem, am 1. Mai haben wir hier einen Gottesdienst gefeiert mit den Gewerkschaften. Ist dies ja auch eine Kirche, die die Menschen an ihrem Arbeitsplatz aufsucht. So oft wurde ich bei der anschließenden Kundgebung angesprochen auf diesen besonderen Ort und darauf, dass man so berührt war von dieser Unmittelbarkeit. Der Nähe, die man hier spürt. Untereinander. Und mit Gott. Und erleben wir es nicht gerade live und in Farbe: Hier geht es gar nicht anders, als angesehen zu werden. Es würde geradezu anstrengen, einander NICHT anzugucken. Es ist dies eine Kirche, in der man schaut von Angesicht zu Angesicht. Und deshalb vergisst keiner, der jemals hier war, diesen Ort. Mit seiner buchstäblichen Mit-Menschlichkeit und deshalb auch Wahrhaftigkeit, mit der Gott zur Sprache kommt.

Die Flussschifferkirche ist also mehr als eine waschechte und einmalige Hamburgensie mit Hafenromantik und La Paloma ohé. Sie ist die gute Botschaft auf Reisen. Und so heißt es nun: Schiff ahoi in Magdeburg. Mit hoffentlich ner Handbreit Wasser unterm Kiel, (gar nicht so einfach im Moment). Der Kirchentag wartet! Am Mittwoch beginnt er – oder besser: beginnen sie. Sind es doch letztlich neben Berlín sieben kleine Kirchentage in Halle, Leipzig etc  und klar: Magdeburg. Lauter Kirchentage auf dem Weg, was sag ich: Kirche in Bewegung, was würde besser passen im Jubiläumsjahr der Reformation!

Sagt auch Thomas Drope vom Kirchentags- Landesausschuss. Und so hat er es sich auf Ihrer Homepage auch schon ein wenig bequem gemacht und sich bedankt, dass die Flusi den Weg auf sich nimmt und Flagge zeigt für Gott in dieser manchmal so verlorenen Welt. Da gibt es ein schönes Foto von ihm samt orangefarbenem T-Shirt und Motto-Plakat. Ein klassischer Kirchentags-Hingucker, diesmal ganz wörtlich. Die Plakate sind ja übrigens immer schwer umstritten (ich kann mich an keines erinnern OHNE Geräusch). Wie? Diese großen Kulleraugen einer Comicfigur – ernst gemeint?!

Ja, ernst gemeint.  „Du siehst mich“ – diese drei Worte spiegeln genau dieses Gottesbild wider, das  den Zachäus selig macht. Unser Gott  ist ein Gott von Angesicht zu Angesicht. „Du bist der Gott, der mich sieht “ –  so heißt es genau im Buch Genesis. Ausgesprochen werden diese Worte von einer Frau in einer nicht gerade beneidenswerten Situation. Hagar  ist schwanger von Abraham. Jedoch ist sie eben leider nicht seine Frau, sondern seine Magd oder genauer noch die seiner Frau Sarai. Die wiederum in großer Trauer ist, weil sie keine Kinder bekommen kann. So viele Nöte, die die Frauen klein und eng machen – auch in ihren Herzen. Liebesgeizig sozusagen. In knappen Versen erzählt uns das 1. Buch Mose in diesem Kapitel die dramatische Geschichte dieser Leihmutter, mit der man einen ZDF-Mehrteiler bestücken könnte. Und dann dieser zentrale Satz: „Du bist ein Gott der mich sieht.“

Ein Satz – und so vielschichtige Gefühle. Hagar beschreibt damit ihr Dilemma und gleichzeitig ihren Ausweg daraus. Ihr Dilemma: Sie fühlt sich von nichts und niemandem gesehen als die, die sie ist. Sie wird benutzt, gekränkt, angefragt, beneidet.  Aber keiner sieht sie. Sie hat buchstäblich kein Ansehen. Keiner würdigt sie in ihrer individuellen Persönlichkeit als Mensch. Abgesehen davon, dass sie in einer Zeit lebte, als es um die Würdigung der Frauen schlecht bestellt war, spiegelt sich hier genau diese menschliche Grunderfahrung wider: Nicht gesehen zu sein, ist echte Wüstenzeit.

Gott aber, der ganz und gar Andere, der hört und sieht die Hagar. Eine geflüchtete Frau  in der Wüste. Mit all ihren Nöten. Ihrer Wut. Er sieht sie – endlich. Und endlich hat Hagar eine Chance, auf sich selbst anders zu blicken. Aus Zweifel wird Zu-ver-sicht. Auf ein neues Leben.

Diese alte Geschichte versteht viel. Mag sein auch von uns. Von unseren Wüstenzeiten. Fluchten. Davon, wie wir uns missachtet gefühlt haben und verletzt. Wie wir uns dann abgeschottet haben und zu anderen gesagt: Ach, bleib doch, wo du bist! – Übrigens nicht nur etwas, was wir persönlich erleben, sondern derzeit auch gesellschaftlich und europäisch: Abschottung. Bleibt doch, wo Ihr seid!

Und, auch das wissen wir genau, es wird ja nicht besser, wenn man wegsieht. Doch dazu braucht man einen anderen. Einer, der diese Verschlossenheit aufbricht. Der oder die quasi die „inneren Schleusen“ öffnet und die Augen dazu. Der sagt: „Und nun lass dich anschauen: Wie geht‘s dir denn wirklich?!“ Und die dann mit dem Herzen zuhört – und versteht. Deshalb ist es so wichtig eine Kirche zu sein von Angesicht zu Angesicht. Die erkennt, was die  Menschen unserer Zeit umtreibt. Dass sie aufgewühlt sind von Existenzangst und Unrecht, dass sie diese Kriege nicht verstehen und bösen Streit und Gott manchmal auch nicht. Dass sie in ihrem Liebesleid und Trauer nicht wissen wohin und dass sie mit Schwäche kämpfen und Krankheit. Aber auch dass ihr Glück sie dankbar macht, jeden Tag. Dass sie die Freiheit lieben, nicht nur auf dem Meer, und nirgends anders sein wollen als in diesem ihrem Lebenshafen. Und wenn man sich dann all das gegenseitig anvertraut, gibt es auf einmal einen Moment, wo die Verlorenheit aufhört. Wo man ihn gefunden, den Ausweg. Und dann sagt man zum Abschied: Ahoi, man sieht sich. Und jeder weiß, das stimmt. Denn wir leben im Gnadenraum Gottes, der dich sieht.

Luther, der ja in diesem Kirchentagsjahr nicht wirklich fehlen darf, hatte für diese innere Bewegung ein wunderschönes Bild: „Ein menschliches Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meere, welches die Sturmwinde von allen vier Himmelsrichtungen hin und her treiben: von hierher stößt Furcht und Sorge vor zukünftigem Unglück; von dorther fährt Gram und Traurigkeit über gegenwärtiges Übel; von da weht Hoffnung… auf zukünftiges Glück; von dort bläst Sicherheit und Freude über das jetzig Gute. Solche Sturmwinde aber lehren... das Herz öffnen und es von Grund ausschütten.“

Das Herz ausschütten – ich glaube, es gibt viele Menschen, die sich danach sehnen. Die auf ihren Bäumen hocken und in ihren Etagen, die ein wenig einsam und unnahbar darauf hoffen, dass einer sagt: Komm! Du hast so viel zu geben. Wertvoll bist du, Mensch. Eben: Wunderbar gemacht.

Wir haben, liebe Gemeinde, Gottes Ansehen längst, von allem Anfang an. Weil Gott selbst weiß, wie es ist, nicht gesehen zu werden. Dazu zum Abschluss eine kleine Geschichte, die Martin Buber aufgeschrieben hat. „Rabbi Baruchs Enkel Jechiel spielte einst mit einem anderen Knaben Verstecken. Er verbarg sich gut und wartete, dass ihn sein  Gefährte suche. Als er lange gewartet hatte, kam er aus dem Versteck; aber der andere war nirgends zu sehen. Nun merkte Jechiel, dass jener ihn von Anfang an nicht gesucht hatte. Darüber musste er weinen. Er kam weinend in die Stube seines Großvaters gelaufen und beklagte sich über den bösen Spielgenossen. Da flossen Rabbi Baruch die Augen über, und er sagte: „So spricht auch Gott: Ich verberge mich, aber keiner will mich suchen.“

Ich finde es wunderbar, dass immer wieder Menschen losfahren und aufbrechen, um Gott zu suchen. Sie, die hoffen und glauben und lieben – und ihn finden. In Hamburg und auf Kirchentagen. So also: Ahoi, liebe Flusi. Bittschön wirklich in Magdeburg! Denn ihr seid ein Segen.
Amen.

Reisesegen

 „La Paloma“, das heißt: Die Taube. Sie ist ein Sinnbild des Friedens und nicht umsonst das Symbol des Heiligen Geistes. Er will uns einen über die Grenzen von Nationen, Sprachen, Kulturen hinweg. In seinem Geist des Friedens sollen wir unseren Weg gehen. So

Möge Gott euer Schiff lenken,
dass ihr nicht bedrückt werdet durch Sturm und Angst,
und dass ihr heil wieder nach Haus kommt.
Gott durchdringe euer Herz, dass ihr die Weite spürt und den Geist des Friedens.
Er halte flach die Wellen und zeige euch das nahe Ufer.
Er sei eure Zukunft und er sei euer Licht auf See und in eurem Leben.
So segne euch der barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

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