Seafarer´s Night
08. Juni 2023
38. Deutscher Evangelischer Kirchentag (DEKT) Nürnberg 2023: Wasser des Lebens – das ist das A und O, Predigt zu Genesis 1,2 und Offenbarung 21,6
Liebe Seafarer´s-Night-Gemeinde,
was für eine Fülle – an Gedanken, Informationen, Fragen, Musik und Menschlichkeit ist da jetzt an Bord dieses Kirchenschiffes. Danke, dass ich dabei sein und meine Stimme als Stimme der Seeleute erheben darf. Ich liebe diese Aufgabe, allemal an Tagen wie diesen. Weil so klar wird, dass es fürs „Fair übers Meer“ noch jede Menge Stimmkraft braucht.
Was mich besonders bewegt, ist eure Leidenschaft, das Thema in die Welt zu bringen – von der See aufs Land sozusagen. Was allein die Seemannsmission in Coronazeiten an Unterstützung für die Seeleute hinbekommen hat! Und wie anrührend ihr erzählt habt, was es mit einem Seemann macht, der auf den Wassern der Erde lebt und monatelang keinen festen Boden unter den Füßen hat. Als ich einmal in St. Pauli in Hamburg in die Seemannsmission kam, sah ich einen Seemann, wie er auf dem Minirasen von zweimal zwei Metern mit geschlossenen Augen barfuss und vor allem selig Boden und Natur spürte. Land-Stand nach 13 Monaten an Bord. Ehrlich, der ganze Mensch war größer als der Rasen, aber dieses Fleckchen reichte schon, um wieder ein Gefühl zu bekommen von Beständigkeit und Ruhe. Auch Seelenruhe – ohne das dauernde Vibrieren der Schiffsmotoren, die einem den Schlaf rauben.
„Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und überhaupt nicht geschlafen“, sagt denn auch der philippinische Seemann auf dem Containerschiff, das ich besuche – und man sieht es ihm an. Tiefe Augenränder und eine unglaubliche Müdigkeit; so geht es fast allen. Denn klar: 22 Mann (und eine Seefrau) Besatzung auf einem so großen Containerschiff ist nicht viel men- oder womenpower für all die Arbeit. Unter meinem Helm und in Signalweste falle ich glücklicherweise nicht weiter als Bischöfin auf, sondern bin Mitarbeiterin von ihm, Jörn, dem Seemannsdiakon. Der ist bestens bekannt und wird dankbar empfangen. Denn die Leute von der Seemannsmission bringen nicht allein wichtige Neuigkeiten und Telefonkarten. Sie können vor allem eines: zuhören. Kostbare Momente der Ruhe sind das inmitten dieser dauerlauten Schiffswelt.
Erschöpft und ölverschmiert setzen sich die Männer an den Tisch in der Messe. Sie fangen an zu erzählen. Kürzlich hat einer vier Finger verloren, als ein zerborstenes Stahlseil wie eine wütende Schlange über das Deck zischte. Solche Unfälle passieren wegen der chronischen Übermüdung nicht selten. Nach sechs Monaten mit vielen Überstunden und schlechtem Schlaf ist der Akku einfach leer.
Und so reden wir und reden. Eine willkommene Pause. Kaffee. Der Cooky hat was Süßes hingestellt. Und nicht nur Franzbrötchen kommen auf den Tisch, sondern auch Ängste und Einsamkeit: So weit weg ist die Familie! Da ist ein Kind geboren worden – der Vater ist auf See. Die Frau wird schwerkrank – der Ehemann ist auf See. Und bisweilen gibt es an Bord keinen, mit dem man in der Muttersprache darüber mal reden könnte. Deshalb ja ist Internet an Bord so wichtig.
Viel zu wenig weiß die Welt davon. All das, was ihr so eindrücklich erzählt habt: wie hart und gefährlich die Arbeit an Bord sein kann und wie einsam. Wie schlecht oft die Bezahlung ist. Wie belastend die Lebensbedingungen im immerlauten, anstrengenden Schiffsbetrieb, der nie still steht, ob Tag, ob Nacht, nie richtig Feierabend und weit weg von den Liebsten. Viel zu wenig weiß man davon, dass diese auf Globalisierung ausgerichtete Welt ohne Seeleute nichts wäre.
Was können wir konkret tun? So lautete eben eine Frage. Meine Antwort: Überall davon erzählen! Weitererzählen, dass 90 Prozent aller Güter per Schiff über die Ozeane zu uns gebracht werden. Dass es ohne Seeleute keine Waren und gähnend leere Regale gäbe. Und dass wir allen Grund haben, dankbar und solidarisch an ihrer Seite zu stehen und unsere Stimme für faire Bedingungen, bessere Bezahlung und gute Versorgung – mindestens in den Häfen – zu erheben. So wie es Clara als Ärztin tut. Die Seemannsmission natürlich. Aber auch etliche Reeder, die sich wirklich verantwortlich für ihre Seeleute fühlen.
So wichtig das alles ist, jetzt ist die Zeit für mehr – mehr Fairness. Es muss sich strukturell und international etwas ändern. Es braucht generell eine wirksamere Seeleute-Fürsorge, vor allem verbindliche Tarife, Arbeitsschutz und international bessere Standards für die Lebensbedingungen an Bord und in den Häfen.
„Fair übers Meer“ erfordert ein gezieltes Hinschauen und unsere Nächstenliebe konkret. Und die entspringt einer tiefen Sehnsucht nach einer menschengerechten, besseren Welt. Die Bibel hat dafür ein sprechendes Bild: Dürsten nach Gerechtigkeit.
Dürsten, Durst – das ist ein starkes Bedürfnis. Wer Durst hat, kann nicht warten. Da muss man trinken, sonst vergeht man, früher oder später. Und so liegt in der Stillung des Durstes eine unerhörte Energie der Veränderung. Eben: „Energy-Drink“. Deshalb spricht Gott: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“So steht es wunderbar im allerletzten Kapitel der Bibel, der Offenbarung.
„Ich will dem Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“ Umsonst. Einfach so. Nicht im Sinne der Vergeblichkeit, weil man ja tatsächlich vor der Komplexität unseres Themas heute kapitulieren und einknicken könnte. Nach dem Motto: Es ist alles umsonst, was wir tun. Nein, umsonst meint hier eine kraftvolle Zusage: Gott gibt gratis. Zuallererst Wasser. Für alle, reich oder arm. Das ist die Verheißung von der Schöpfung an: So viel du brauchst, um zu leben. Wasser ist eben nichts weniger als Lebenselexier.
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer. Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“ So lauten die ersten Verse unserer Bibel. Das Wasser, es war schon immer da. Im Wasser liegt der Anfang allen Lebens. Ohne Wasser existierten wir nicht. Und – so fügt es dann der fast letzte Vers der Bibel dazu – Wasser ist die Quelle aller Kraft, Wüstenzeiten durchzustehen. Wasser ist A und O, und deshalb nichts weniger als Menschenrecht!
Ich komme ja richtig aus dem Norden, bin als Dithmarscherin mit Wasser aufgewachsen ohne Ende. Von oben, unten, vorn, hinten – Wasser in Sturmfluten, im Keller dann auch, Regen beim Fahrradfahren und immer nasser Wind von vorn. Dass Wasser ein unerhörter Reichtum ist, das ist uns ja erst in den letzten Jahrzehnten richtig deutlich geworden. Ja, dass es so kostbar ist, dass darum Kriege geführt werden.
Und deshalb dürsten Millionen Menschen in dieser global zusammenhängenden Welt, die uns nicht nur die Nächsten sondern auch die Übernächsten ans Herz legt. Sie dürsten in zahllosen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eben nicht allein nach dem – sauberen! – Wasser des Lebens, sondern nach Gerechtigkeit. Denn es ist doch alles andere als gerecht, um nicht zu sagen absurd, wenn ein Nestlekonzern das wenige wasserreiche Land in Äthiopien kauft, so dass die Bevölkerung keinen Zugang mehr zu ihren Brunnen hat und stattdessen Nestlewasser aus Plastikflaschen kaufen muss!
Wasser, ihr habt das vorhin so toll dargestellt, ist elementar und hat zugleich zerstörerische Kraft. Wer am Wasser wohnt, weiß davon. Und allemal wer auf den Wassern wohnt. Wenn die Seeleute von Wasserwänden erzählen, die über einen hineinbrechen, da Gnade dir Gott. „Fear not, I will pilot thee“, so lautet ein beliebter Shanty. „Hab keine Angst, ich lotse euch durch“, könnte man es übersetzen. Ich lotse euch durch die Monsterwellen und Lebensstürme, durch Krankheit und Einsamkeit, sagt Gott.
Mich beeindruckt immer, welch große Rolle der Glaube für viele Seeleute spielt. Klar. Gerade weil sie etwas wissen von Unwettern, havarierten Schiffen, von Ängsten und vom „nassen Tod“. Sie empfinden tiefe Demut und zeigen mir ihr Tattoo: Kreuz, Anker, Herz. – Glaube, Hoffnung, Liebe. Sie beten mit der zerlesenen Bibel, knien auf Gebetsteppichen oder vor ihrem Hindu-Schrein. Das ist etwas Besonderes: Religionen in ihrer Vielfalt leben in Frieden – auf dichtestem Raum.
In all dem liegt eine große Dankbarkeit für das Leben, und die Fähigkeit Vertrauen zu können. Vertrauen als eine Kraft, die nicht aus uns selbst herauskommt und die über uns hinausreicht – ob sie nun von Allah, Gott oder Buddha geschenkt wird. Denn der Kapitän an Bord kann zwar steuern und sich kümmern, aber einen Sturm, den kann er nicht stillen.
Und ob wir‘s glauben oder nicht – ohne diese Seeleute, tapfer, müde, dürstend nach Gerechtigkeit, ohne sie wäre unser aller alltägliches Leben gar nicht in dieser Fülle und Entfaltungsmöglichkeit denkbar. Und so kommt es auf uns an, liebe Geschwister, dass wir nicht müde werden, sondern „Hoffen. Machen.“
Und ich denke an euer Engagement in diesem Gottesdienst, ja eure Leidenschaft, und bin froh, dass es euch gibt. Die ihr alles tut, dass sich etwas ändert. Mehr „Fair übers Meer“ sagen wir also mit euch, und gehören solidarisch an die Seite der Seeleute. Jetzt ist die Zeit. Hinzuschauen. Deutlich zu werden. Sich natürlich klar für Seenotrettung auszusprechen – das ist doch unser gemeinsames, dringendes Anliegen! Jetzt ist die Zeit, mit ganz eigener Stimme laut zu werden, damit sie endlich gehört wird.
Im Seemannsclub Duckdalben kann man diese ganz eigene Stimme der Seeleute auf wunderbare Weise vernehmen. Ganz hoch im Kurs steht da nämlich als Freizeitvergnügung Karaoke. Es gibt dafür sogar einen Extraraum. Denn die Seeleute singen nicht nur – nein: Sie brüllen aus rauen Kehlen ihre Sehnsucht hinaus. Keine Shantys, eher Rod Stewart: „I am sailing.“ „O Lord, to be near you, to be free.”
Frei sein und Gott nah, gewürdigt und aufrecht, das ersehnen sie – und wir doch auch. Wir, die wir ja alle in diesem einen Boot sitzen, das sich Erde nennt. Und die wir gerade jetzt im Kirchen-Schiff beieinander sind, weil die Kirche genau so ein Ort ist, an dem wir darauf hoffen können. Auf Freiheit, Gottesnähe, auf das Wasser des Lebens, das jeder Mensch bekommt. Umsonst! Jetzt – und alle Zeit.
Amen.