Corona-Auswirkungen

Seelsorge geht auch "en passant"

Ein kurzes Gespräch, eine kleine Aufmunterung: In der Corona-Zeit verlagert sich die seelsorgerische Tätigkeit in den öffentlichen Raum. Trost und Zuwendung erfahren die Menschen "en passant" – etwa über den Gartenzaun, bei einem Spaziergang oder auch im Supermarkt.
Ein kurzes Gespräch, eine kleine Aufmunterung: In der Corona-Zeit verlagert sich die seelsorgerische Tätigkeit in den öffentlichen Raum. Trost und Zuwendung erfahren die Menschen "en passant" – etwa über den Gartenzaun, bei einem Spaziergang oder auch im Supermarkt.

05. Februar 2021 von Antje Wendt

Was heißt es, Seelsorge unter Corona-Bedingungen zu leisten? Wie hat sich die Arbeit verändert, seit die Krise immer weniger Kontakte zulässt? Zwei Pastoren und eine Pastorin der Nordkirche erzählen aus ihrem Berufsalltag und davon, wie sie Trost auch auf der Straße oder im Supermarkt vermitteln.

Vor der Pandemie bestand das  "klassische" Seelsorge-Format in einem vertraulichen Gespräch unter vier Augen mit jemanden, der in einer Lebenskrise steckt. Heute findet diese Form der Seelsorge kaum noch statt. Ersetzt wird sie durch die Seelsorge "en passant", wie Pastorin Kerstin Hansen-Neupert es formuliert. Das kann ein seelsorgerisches Gespräch an der Käsetheke des Supermarktes sein oder eines "über den Gartenzaun hinweg", so beschreibt es Pastor Michael Jordan. 

Kleine Ermutigungen auf der Straße

Auch Pastor Marcus Friedrich erlebt es so. Wichtig sei, dass schon vorab ein Kontakt vorhanden war – dann kann aus dem Smalltalk auch schnell ein Gespräch über persönliche Nöte werden. Die Corona-Krise hat daran grundsätzlich nichts geändert, doch die Wege zu den Menschen sind anders. Wie wichtig es ist, Zuwendung und Verbundenheit zu erfahren, darin sind sich alle einig.

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Pastor Marcus Friedrich spricht mit Leuten auf der Straße, aus dem Auto heraus. Es gehe um eine Ermutigung und "Kontaktpflege mit Gott" sagt er. © Screenshot: Capt’n Capture

Wenn Pastor Marcus Friedrich aus dem Pastorat am Südermarkt in Flensburg tritt, blickt er auf einen der lebendigsten Orte in Flensburg. Und auf einen mit den stärksten Kontrasten. Nur wenige Meter von den Cafés und Boutiquen entfernt treffen sich Obdachlose, Drogenabhängige, Gestrandete. Marcus Friedrich formuliert es als Vorteil, dass er in dieser städtischen Lage wirksam werden kann.

"Es ergeben sich viele Gespräche mit Leuten, denen ich auf der Straße begegne, oder aus dem Auto heraus", sagt er. Erst neulich rief ihm jemand hinterher: "Danke, dass du mich angesprochen hast!". Seelsorge ist für Marcus Friedrich fließend: Es geht um Ermutigung und Zuspruch, um die "Kontaktpflege mit Gott", aber auch um die konkrete Versorgung, beispielsweise eines Obdachlosen, der jetzt mit Corona im Krankenhaus liegt und ihn gebeten hat, ihm Kleidung und Getränke zu bringen. 

Zuwendung gelingt besser in Präsenz

"Seelsorge geschieht beiläufig, mit Menschen, die mich bereits kennen, auf Basis einer Beziehung, die schon da ist", erklärt Pastor Friedrich. "Dass explizit ein seelsorgerisches Gespräch gewünscht wird, geschieht selten." Er würde gerne noch mehr aufsuchende Arbeit machen, beispielsweise bei den Kaufleuten, die hier ihre Geschäfte haben.

In der physischen Begegnung sei mehr Empathie möglich, mehr Zuwendung spürbar, ist seine Überzeugung. Seine Erfahrungen mit digitalen Medien beschäftigen ihn. Kürzlich hat er in einer größeren Video-Konferenz ein Gemeindemitglied nicht erkannt und damit Bestürzung hervorgerufen. "Wie sehr wir Anteilnahme und Begegnung benötigen, dass nehme ich aus dieser Zeit mit", sagt Pastor Friedrich.

Gespräche in Alltagssituationen

Kerstin Hansen-Neupert ist seit fast zehn Jahren Pastorin in der Kirchengemeinde Hütten in Schleswig-Holstein. In dieser Zeit hat sie sich immer wieder als "Öffnerin" gesehen.

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Kerstin Hansen-Neupert ist Pastorin in der Kirchengemeinde Hütten.© privat

"Menschen, die mich kennen und die bei mir etwas loswerden möchten, sprechen mich überall an – Gründe können Gefühle, Erlebnisse oder Gedanken sein, bei denen es sich gut anfühlt, sie nicht bei sich zu behalten. Das Umfeld, in dem das geschieht, ist nahezu egal".

Menschen, die mich kennen und etwas loswerden möchten, sprechen mich überall an.

"Seelsorge en passant" nennt sie diese Gespräche, und es ist ihr wichtig, sich dann auch die Zeit dafür zu nehmen. Viel seltener rufen Menschen sie an oder verabreden sich für ein Gespräch. Dann, so Pastorin Hansen-Neupert, sei der Druck bei dem Betroffenen schon riesig.

200 Briefe pro Monat

In der Corona-Zeit hat sie gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen viele Briefe verschickt, an die älteren Menschen in der Gemeinde, an die Gesichter, die sie aus dem Gottesdienst kennt, aber auch an die weniger kirchen-affinen Menschen der Gemeinde, die sonst kaum greifbar sind. 200 Briefe pro Monat waren das, weiß sie zu berichten. Sie sagt: "Mit den Briefen möchte ich in Kontakt bleiben und Glauben vermitteln, damit er stützt und trägt, durch Trost, Zuwendung und Ermutigung." Viele positive Antwortbriefe zeugen davon, dass dies entsprechend wahrgenommen und gesehen wird.

Außerdem ist die Hüttener Kirche seit dem Ende der Präsenzgottesdienste eine offene Kirche. "Die zahlreichen brennenden Kerzen zeigen mir, dass die Kirche sehr oft von Menschen aufgesucht wird. Und aus dem Smalltalk, der sich dort mit Kirchenbesuchen ergibt, wird nicht selten eine tiefere, offene Begegnung. Wenn man so selten Menschen trifft, wird jede Begegnung noch wichtiger und besonderer. Trotzdem vermissen wir unsere Präsensgottesdienste." 

Ein Engel für die Hosentasche 

Durch Corona sei sie in der Situation gewesen, auch kurzfristig und sehr flexibel alles umzustellen und neue Wege einzuschlagen. "Instagram als neues Medium wäre ich ohne Corona nicht angegangen", berichtet Pastorin Hansen-Neupert. Dafür sei vorher keine Zeit gewesen. Ein Projekt, das ihre FSJlerin auf die Beine gestellt hat, ist ihr sehr ans Herz gewachsen: An der Pforte der Hüttener Kirche hängen Segenskarten zum Mitnehmen. "Diese Karten sind wie ein Talisman oder ein Engel für die Hosentasche. Ich glaube, sie können den Menschen in dieser Zeit Halt geben."

Ehrlich fragen und zuhören

„Wie geht es dir?“ Wenn Pastor Michael Jordan aus Eckernförde diese Frage stellt, ist sie offen und ehrlich gemeint. „Es kommt darauf an, dass die innere Haltung spürbar ist“, sagt er. Zum Beispiel, wenn er zum Telefonhörer greift und Menschen anruft, die Geburtstag haben. "Das sind die über 80jährigen", erläutert er. "Die Menschen freuen sich, dass ich auf sie zukomme". Manchmal ergeben sich längere Gespräche.

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Pastor Michael Jordan bemüht sich auf verschiedenen Kanälen um die Menschen in seiner Gemeinde. Auf allen zähle ein offener und ehrlicher Umgang. © Privat

"Es sind immer wieder die Menschen, mit denen ich verbunden bin, mit denen sich Gespräche entwickeln. Doch die Art der Verbundenheit ist ganz unterschiedlich. Das können alte Freundschaften, aber auch Kontakte über die digitalen Kanäle sein – ich muss nur erst einmal auf dem Radar der Menschen gelandet sein." 

Es ist mir wichtig zu vermitteln: Du bist ein geliebtes Kind Gottes.

Seelsorge ist für ihn alles, was den Menschen auf der Seele liegt. Deshalb gehören viele dieser Gespräche für ihn zur Seelsorge, ob am Telefon oder während der "Sprechzeit" auf dem Kirchplatz. "Im Herbst und Advent standen wir Pastorinnen und Pastoren an den Markttagen vor unserer Kirche und hatten Zeit. Dieses Angebot wurde sehr intensiv wahrgenommen. Dabei war natürlich nicht jedes Gespräch gleich Seelsorge. Doch neben den Gelegenheitsgesprächen fanden so auch manchmal Sorgen zu uns. Und wir haben gespürt, dass sich die Menschen über dieses Angebot gefreut haben.

Kontakt-Hürde ist über soziale Medien geringer

Es ist mir wichtig, dass ich mich den Menschen zuwende und ihnen vermittele "Du bist ein geliebtes Kind Gottes". Daneben sucht Pastor Jordan auch den Weg zu den Menschen über die sozialen Medien. Die Schwellen über die sozialen Medien, den Kontakt zu ihm aufzunehmen, seien niedriger.

"Mir wird zunehmend klarer, wie wichtig es ist, dass wir digital unterwegs sind," sagt er. Und er erzählt von einer Pflegekraft, die über die sozialen Kanäle einmal loswerden konnte, wie es ihr derzeit erginge und richtig ‚Dampf ablassen‘konnte. Oder von einem Bekannten, der die Bitte an ihn richtete, für einen an Corona-erkrankten Freund zu beten. "Bei alledem freue ich mich aber auch darauf, wenn wir uns wieder real begegnen können."

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