24. Dezember 2019 | Hauptkirche St. Michaelis Hamburg

„Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg“

24. Dezember 2019 von Kirsten Fehrs

Heiliger Abend, Christvesper, Predigt zu Lukas 2,15-20

Kanzelgruß

Liebe Festgemeinde!

„Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.
Führ uns zur Krippe hin, zeig wo sie steht.
Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.
Stern über Bethlehem, führ uns zum Kind.“

Dieses moderne Weihnachtslied mag ich, vor allem seit ich es genau dort in Bethlehem im Heiligen Land habe live erleben dürfen. Als wir nämlich auf dem Pilgerweg nach Bethlehem waren, im heißesten Oktober aller Zeiten, viele katholische Bischöfe von der deutschen Bischofskonferenz gemeinsam mit vielen evangelischen Ratsmitgliedern aus Deutschland – Sternstunden der Gemeinsamkeit. Diese Reise ins Heilige Land hin zu unseren Wurzeln wurde für uns alle ein Weg nach innen – zu uns, unserer Lebens- und Glaubensgeschichte. Und wir merkten: Mit jedem Kilometer kamen wir uns näher. Katholisch hier und evangelisch dort? Ach was, Christen waren wir auf dem Weg zu einer neuen Freundschaft und neuem Zusammenhalt. Und als wir dann in Bethlehem ankamen und in der Geburtskirche standen, genau dort, wo dieses zarte Gotteskind einst die Welt aus den Angeln hob, da hat es uns ergriffen und singen lassen: „Ich steh an deiner Krippen hier.“ Bei 30 Grad im Schatten. Nie werde ich vergessen, dass uns alle gemeinsam schwitzend und innig verbunden das Gefühl überkam: Wir sind angekommen. Wir sind zu Hause.

Weihnachten – da kommt man nach Hause. Da will man zusammen sein, Sternstunden der Gemeinsamkeit erleben. Es ist diese ganz besondere Zeit im Jahr, in der wir das Vertraute suchen, das Gefühl von Zugehörigkeit – mit Eltern, Großtanten und Geschwistern, mit Zuneigung und Zimtstern, mit dem Weihnachtsbaum, bitte geschmückt wie immer – auch wenn früher mehr Lametta war. Und so gehen viele auf Reisen samt Kind und Kegel, und folgen je ihrem eigenen Stern hin zur ganz eigenen Familienkrippe. Allemal in dieser Zeit der Globalisierung, in der ja die Hälfte der Menschheit sonstwo in der Weltgeschichte unterwegs ist, wird er immer wichtiger, der Ankerplatz der Liebe.

Für viele Familien ist das wunderschön, man zehrt von solch Sternenmomenten, ja, manchmal ein ganzes Jahr. Doch schwierig, wenn man nicht zueinander kommen kann. Wenn die Distanz zu groß ist. Oder Streit einen trennt und der Kontakt abgerissen ist. Oder – Weihnachten fühlt man dies besonders schmerzhaft – wenn jemand gestorben und unerreichbar geworden ist.

Weihnachten – da sehnt man sich nacheinander. Mir ist das noch einmal neu deutlich geworden bei der Aufzeichnung der Sendung „Gruß an Bord“ vor ein paar Tagen. Sie kennen sicher diese Sendung oder haben von ihr gehört? Schon seit 66 Jahren sendet der Norddeutsche Rundfunk jeden Heiligabend just um diese Zeit Weihnachtsgrüße in alle Welt, die von Seeleuten auf hoher See und in fernen Häfen gehört, ja, regelrecht ersehnt werden. Das ist eine solche Intensität von Gefühlen, liebe Gemeinde, über drei Stunden fliegen die wunderbarsten Liebesbotschaften übers Meer, tränenrührend. So etwa, als die Eltern neben mir am Tisch ins Mikrofon zittern: „Wi hebbt di leev, mien Jung. Un treck di de warmen Strümp an!“ Oder die schwer verliebte Verlobte, die den Schatz tatsächlich erst in einigen Monaten, kurz vor der Hochzeit, wird umarmen können: „Ich liebe dich, und komm bloß bald, wir haben noch soviel vor. Dein Sternchen.“

Nicht nur junge Liebe, auch alte Sehnsucht und altes Heimweh schwingen dabei mit. Viele hören diese Sendung seit Jahrzehnten, während sie unterm Tannenbaum sitzen. Und dann sind da auf einmal auch eigene Traurigkeiten berührt, eigene Trennungen, die einem das Leben zugemutet hat, gar schon im Krieg und Kalten Krieg. Gerade im Alter kommen diese Erinnerungen hoch. Umso wichtiger ist so eine Sendung mit all den Liebesgrüßen, die große Meere überwinden, aber auch manchen Schmerzensgraben.

Denn es geht um Hoffnung. Genau das geschieht Weihnachten, liebe Gemeinde, ein heller, unübersehbarer Stern geht auf, inmitten der Dunkelheit, einer, der in die Zukunft weist. Ein Stern der Liebe, der sagt: Ich denk an dich. Ein Stern, der uns locken will loszugehen, hin zum Leben, hin zum kleinen Friedefürst in der Krippe. Und der strahlt ausnahmslos jedem entgegen, unerhört freundlich. Ochs und Esel, Hirte und König, Kind und Seemann. Aller Welt, allen Völker der Erde ein Wohlgefallen! singen die Engel dazu. Friede soll werden. In der Welt und in deinem Herzen.

Und – so höre ich Weihnachtsskeptiker fragen – ist das wirklich realistisch? Schaut euch um in dieser Welt, über die Meere hin, überall – universal – Krieg, Terror, Zertrennung. In Syrien, dort wo Quirinius Statthalter war: Seit fast neun Jahren beklagen wir den Krieg mit vier Millionen Flüchtlingen im eigenen Land! Im Libanon brennt die Luft, im Jemen hungern die Menschen, und auf Lesbos, liebe Gemeinde, welche Inhumanität spielt sich da vor unseren Augen ab! Seit Monaten ja schon. All die Kinder in den Flüchtlingslagern, die elendig unter Kälte und Unterernährung leiden. Hier ist doch Europa mit seinem Sternenkreis wirklich in der Pflicht.

Doch diese Staatengemeinschaft ist sich leider in humanitären Fragen oft uneins. So kann sie sich – als Friedensnobelpreisträgerin – auch nicht auf eine gemeinsame, vernünftige, staatliche Seenotrettung einigen. Doch Gleichgültigkeit, liebe Gemeinde, Gleichgültigkeit und „Friede auf Erden“ passen nicht zusammen. Wäre es angesichts des fast 75-jährigen geschenkten Friedens nicht mehr als dran, alles zu stärken, was die Welt zusammenhält?

Genau darum geht‘s in dieser alten Weihnachtsgeschichte. In ihr geht es ums reale Leben. Und um das, was zusammenhält. Da ist ein unverheiratetes Paar, das Heimat sucht. Und just in Kälte und Fremde bekommt die junge Frau ein Kind, in einer Zeit, in der Angst vor der Zukunft die Menschen umtreibt. Und plötzlich geht dieser Stern auf. Er weist auf das kleine Kind, Gottes Liebesbotschaft an uns. Zärtlich ist es und weltbewegend, in seiner Würde unverletzbar vom ersten Atemzug an. So doch wie jedes Kind auf dieser Welt. Schaut da hin, sagt der Stern. Es gibt allen Grund sich neu auszurichten. Allen Grund, wieder mit einem Kompass unterwegs zu sein, der heißt: Menschenfreundlichkeit und Friedensdienst. Denn allem Volk ist der Heiland geboren.

Wir sind eine Weltfamilie, sagt der Stern, wir gehören zusammen, so unterschiedlich wir sind. Der Stern geht über allen auf, im Norden wie im Süden, im Nahen Osten wie im reichen Westen. Wir alle sind umspannt vom großen Firmament des Himmels, der in dieser Heiligen Nacht auf die Erde kommt. Nur wenn wir begreifen, ja, leben, dass wir eine Weltfamilie sind, die in der Lage ist, über Meere und Gräben hinweg Liebesgrüße zu senden und Brücken zu bauen, hat der Weihnachtsfrieden Gottes eine Chance.

Gerade komme ich von meinem Besuch bei denen, die Heiligabend arbeiten müssen. Heute war ich bei der Polizei. Großartige Kolleg*innen leisten Dienst für unsere Stadt, nicht nur auf den Straßen, in Etablissements, Bahnhöfen. Sie helfen auch bei handfestem Familienkrach; da gibt‘s zu Weihnachten übrigens viele Einsätze. Und sie werden immer öfter gerufen von einsamen Menschen. Die den Tannenbaum nicht aufgestellt bekommen. Die ein Medikament brauchen. Die Polizeibeamten drücken ein Auge zu und verbuchen es unter Bürgernähe. Danke, sage ich ihnen dafür, danke auch einmal stellvertretend für alle Bürger*innen unserer Stadt. Danke für euren Dienst und den Dienst aller, die am Heiligabend arbeiten und das soziale Gesicht unseres Landes prägen, all die Pflegekräfte und Hospizmitarbeitenden, die Busfahrerinnen, Ärzte, die in den Radiosendern und in der Feuerwehr.

Wir brauchen euch. Wir brauchen sie, die Brückenbauer und Bürgernahen. Die sich kümmern, die Verantwortung übernehmen. Heute mehr denn je. Denn nicht nur das Weltklima ist erhitzt, völlig zu Recht hat die junge Generation dies ganz nach oben auf die Agenda gesetzt. Auch das gesellschaftliche Klima braucht „Klimaschutz“ bei all der zunehmenden Aggressivität. Damit man wieder anständig miteinander redet, eine Gesprächskultur zurückgewinnt, in der das Argument zählt und nicht die Lautstärke, eine demokratische Dialogkultur, die die andere Meinung auch einmal auszuhalten versteht.

Und zu dieser Kultur gehört es sicherlich bisweilen, Sternenklartext zu reden. Gegenüber Menschenverachtung und rechtsextremer Hassparole, gegen Antisemitismus. Ich finde, wir könnten da mutiger sein, liebe Gemeinde, und nicht immer fürchten, das Falsche zu tun oder zu sagen. Vielmehr gilt das Engelwort: „Fürchtet euch nicht!“ Fürchtet euch doch nicht, Menschenfreunde zu sein, wie Gott auch. Ihr habt so vieles in euch: Kraft, Weltoffenheit, Herz, Liebesgrüße. Also: Das Böse nicht stärker werden lassen, liebe Gemeinde, indem wir zu zaghaft das Gute vertreten.

Weihnachten ist mehr als der Rückzug ins Vertraute. Der Stern lockt uns auch, neue Annäherungen zu suchen und Dialog zu üben, gerade auch mit denen, die einem erst einmal nicht so nach der Mütze sind. Ich bin überzeugt, für den Frieden in unserem Land und unserer Stadt braucht‘s solchen Dialog, um Brücken zu bauen zwischen Generationen, zwischen politischen Lagern, den Konfessionen und Religionen.

Machen wir‘s also wie die Hirten, liebe Gemeinde, und folgen dem Stern über Bethlehem. Denn das hier ist eine besondere Nacht. Die Hirten jedenfalls gehen einfach los, lassen sogar ihre Schafe allein zurück, als hätten sie von Wölfen nie gehört. Nein, sie hören die Engel: Der Retter ist da, singen die. Ihr könnt ihn finden, den Frieden auf Erden. Also schnell, beeilen wir uns und entdecken – tatsächlich – den kleinen Friedenskönig. So unerhört freundlich schaut er uns an. Und wir wissen: Wir sind angekommen. Wir sind zu Hause.

Ich wünsche Ihnen von Herzen ein friedvolles, gesegnetes Weihnachtsfest, liebe Festgemeinde. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in ihm, Christus Jesus, Gottes Sohn.
Amen.

Datum
24.12.2019
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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