21. Oktober 2018 | St. Stephan Gartz

„Suchet der Stadt Bestes!“

21. Oktober 2018 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt im Gottesdienst anlässlich der Verleihung der Bugenhagenmedaille an Wolfgang Banditt am 21. Oktober 2018 in der Kirche St. Stephan zu Gartz/Oder über Jeremia 29, 1.4-7.10-14

Liebe Gemeinde,

heute ist ein besonderer Tag: Wir verleihen die Bugenhagenmedaille an Wolfgang Banditt, einen evangelischen Christen, der hier aus Gartz kommt und hier in Gartz lebt und wirkt. Da legt uns die kirchliche Ordnung der Predigttexte diesen Text aus dem AT, aus dem Buch des Propheten Jeremia aus dem 6. Jahrhundert vor Christus vor. Er berichtet von Menschen, die weit weg von ihrer Heimat leben mussten. Was sagt uns dieser Text an diesem Tag, an dem wir die Bugenhagenmedaille an Wolfgang Banditt verleihen, den Kirchenmann und Lokalpolitiker?

Das sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte. So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt euren Töchtern Männer, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl.

Denn so spricht der Herr: wenn für Babel 70 Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.
(Jeremia 29, 1. 4 – 7. 10 – 14)

 

Liebe Gemeinde,

ob in der Heimat oder in der Fremde, für Menschen, die glauben, heißt das Lebensmotto: „Suchet der Stadt Bestes!“ Sicher, das Leben mutet uns einiges zu. Doch Gott meint es gut mit uns. Wenn wir manchmal hin- und hergerissen sind und innerlich verzagen, können wir uns daran festhalten, dass Gott „Gedanken des Friedens und nicht des Leides“ über uns hat.

Wie gut das tut, haben immer wieder, zu unterschiedlichsten Zeiten und in den unterschiedlichsten Situationen, Menschen erfahren, die nicht Aus noch Ein wussten. So erging es zum Beispiel vor mehr als 2600 Jahren einigen Tausend Judäern, die der babylonische König Nebukadnezar im Jahr 597 v. Chr. ins Exil nach Babylon verschleppt hatte. Babylon liegt im heutigen Irak. Wie lange würden sie in der Fremde leben müssen? Für das Volk Israel bedeutete das Leben in Feindesland mehr als ein Leben im unbekannten Ausland. Es glaubte an das Land Israel als Heiliges Land und an Jerusalem als Wohnsitz Gottes. Das Leben in Babel war für die Judäer ein Leben in Gottesferne.

Falsche Propheten versprachen damals den Judäern die baldige Rückkehr in die Heimat. Es sei doch alles nicht so schlimm. Aber worauf konnte man sich wirklich verlassen?

Sie „saßen an den Wassern zu Babel und weinten“ (Psalm137, 1). Da schreibt ihnen der Prophet Jeremia aus Jerusalem einen Brief. Er enthält eine erstaunliche Botschaft. Er fordert die Weggeführten im Namen Gottes auf, ihr Schicksal zu bejahen, sich in der Fremde einzurichten, Familien zu gründen und Häuser zu bauen. Es sind keine Flüchtlinge, es sind aus der Heimat Vertriebene. Sie sollen gemeinsam mit den Einheimischen das Land aufbauen. Integration ist das Ziel. Deswegen sollen sie das Beste suchen für die Stadt, ja sie sollen sogar für ihre Feinde beten.

„Suchet der Stadt Bestes!“ Von diesem 2500 Jahre alten Bibelwort aus der Feder des alttestamentlichen Propheten Jeremia wollen wir uns anleiten lassen, was denn „der Stadt Bestes“ ist und was wir zu bedenken haben, wenn wir für die Stadt und das Land dieses Beste wollen.

Das ist so ein toller Slogan, den könnten sich alle Politikerinnen und alle Politiker über die Tür ihres Büros hängen. „Suchet der Stadt Bestes!“ hat die Stadt Greifswald zum Motto der Stadt erklärt. Es wäre auch ein gutes Motto für die Arbeit in der Kirche, denn auch dort geht es um die gleichen Menschen. Es ist es durchaus im Sinne des Propheten, wenn alle der Stadt Bestes suchen. Es hat mir sehr imponiert, dass in der Weltsicht Wolfgang Banditts, etwas fehlt, wenn die Menschen nur das äußerliche Auskommen suchen, das materielle Wohlergehen, und nichts für ihre Seele tun. Um wirklich der Stadt Bestes zu suchen, geht es um die Leibsorge und um die Seelsorge, um Außen und Innen, um Leben und Glauben, um Welt und Gott. Wenn Gott fehlt, dann fehlt das Entscheidende.

Der Stadt „Bestes“ ist ihr – um das hebräische Wort zu benutzen – „Schalom“. Das meint die Ausgewogenheit aller Lebensumstände, Wohlergehen, Gesundheit, Glück, ungestörtes Zusammenleben, Frieden und Ruhe. Schalom, Salam, das ist bis heute in Israel und in den arabischen Ländern der alltägliche Gruß. Dahinter steht die Erfahrung: Man erreicht nichts, wenn man das Leben und die Menschen nicht beieinander hält. Die Gestaltungskraft wächst, je größer das Gemeinsame ist. Das geistige Erbe des verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Versöhnen statt spalten.“ Er ist heute aktueller als ehedem.

Der Stadt Bestes zu suchen setzt zunächst voraus, sie als den von Gott zugewiesenen Lebensort anzunehmen

Zunächst fühlten sich die verschleppten Juden in Babel überhaupt nicht wohl. Sie hatten den Eindruck, sie waren hier am falschen Platz. Von ihrer Heimat im Lande Israel waren sie gewohnt, dass Bürgergemeinde und Glaubensgemeinde übereinstimmten. Da konnte man von den gleichen Grundüberzeugungen ausgehen und so die Gesellschaft gestalten. Hier aber tritt zum ersten Mal eine Situation ein, die heute der Normalfall geworden ist: Bürgergemeinde und Glaubensgemeinde sind nur noch zum Teil deckungsgleich. Wir müssen über die uns tragenden Werte reden und versuchen, möglichst alle, wenigstens viele mitzunehmen, damit sie die gleichen Werte bejahen, die unsere Gesellschaft tragen: Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Freiheit, alles Werte, die in der Bibel eine große Rolle spielen. Von diesem Gespräch über die Grundlagen unserer Gesellschaft ist keiner ausgeschlossen, solange das Gespräch zivilisiert geführt wird.

Der Prophet Jeremia schreibt an seine Landsleute in Babel: „Setzt euch für das Gemeinwesen ein. Entdeckt doch das Schöne und Positive. Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“ (V. 11.). Wir haben diese Zusage, dass Gott auf seine Weise seinen Leuten Zuversicht gibt. Der Gott, dessen sanfte und geschichtsumwälzende Kraft sowohl damals in Babylon, wie auch 1989 hier in Deutschland in der friedlichen Revolution erfahren wurde, dieser Gott liebt es, Zukunft und Hoffnung zu schenken.

Dabei geht Gott ganz behutsam seine Wege. In der Regel greift er nicht auf übernatürliche Weise ein, sondern er verändert zuerst unsere Einstellung.

Eine kleine, aus dem Leben gegriffene Geschichte. Vor einigen Jahren traf das Schicksal eine junge Familie hart. Die Mutter – Anfang 30 – erkrankte an Brustkrebs. Sie kämpfte um ihr Leben. Die Familie hoffte und betete um Heilung. Aber nach zwei Jahren war der Kampf verloren. Die Mutter starb. Wie sollte es weitergehen? Eins der Kinder, 6 Jahre alt, verweigerte das Nachtgebet: „Zu einem Gott, der meine Mama so sterben lässt, will ich nicht beten.“ Die Familie erfuhr viel Hilfe, aber eine richtige Hoffnungsperspektive fehlt. Einige Zeit später lernte der Vater eine junge Frau kennen. Sie mochten sich, aber die junge Frau hatte sich ihre Zukunft anders vorgestellt, als einen Witwer mit drei kleinen Kindern zu heiraten. Zusammen lasen sie in der Bibel. Da stießen sie auf diesen Brief Jeremias an die Weggeführten in Babel und waren angerührt von dem Wort: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (V. 11) Sie ließen sich gemeinsam von Gott Zukunft und Hoffnung schenken und wählten diesen Vers zu ihrem Trauspruch. Auf ganz natürliche Weise findet Gott so Wege, Leid in Hoffnung und Zukunft zu wandeln. Entscheidend ist nicht, was wir tun, sondern dass Gott zur rechten Zeit sein Mut machendes Wort schenkt.

So hat er auch in Jesus Christus gehandelt. Man wartete auf einen Erlöser, auf einen Messias, der die Welt verändern sollte. Gott sollte die Welt durch diesen Retter wie durch ein Wunder umgestalten. Aber dann kam der Messias ganz anders. Er kam nicht herrlich und gewaltig, sondern als ein ganz normaler Mensch. Jesus Christus hat eine neue Gottesbeziehung und eine neue Menschenliebe verkündet und dadurch die Einstellung verändert. Durch diese Einstellungsänderung werden wir fähig, selbst Veränderungen zu bewirken und das Beste für unsere Stadt zu suchen. In Gottes Licht werden wir fähig, durch unser Tun einen Beitrag zum Aufbau des Landes zu leisten: „Häuser zu bauen, Gärten zu pflanzen, Familien zu gründen.“ So werden Gottes Gedanken des Friedens und nicht zerstörerische Gedanken von Rechtsextremen zum Zuge kommen. Gott braucht Menschen, die sich von seiner Wirklichkeit bestimmen lassen, damit er die Wirklichkeit dieser Welt verwandeln kann.

Der Stadt Bestes zu suchen, heißt, für das Wohlergehen der Gemeinschaft zu sorgen

Wir leben in einer Welt des großen Irrtums. Man hatte uns ja einreden wollen, Wirtschaft und Wohlstand funktionieren nur so, dass jeder seinen eigenen Nutzen suche, dann hätten alle das, was sie brauchten. Man nennt diese Wirtschaftsform „Kapitalismus“, „die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, deren treibende Kraft das Gewinnstreben Einzelner ist“ (Fremdwörterduden). Aber das ist zutiefst unchristlich. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe gehören nämlich mit in das Wirtschaftssystem hinein. Deswegen sollten wir bewusst wieder von einer sozialen Marktwirtschaft reden. Es ist besser, 2 % Rendite und viele Arbeitsplätze zu haben, als 10 % Rendite und wenig Arbeitsplätze. Die Logik ist falsch. Sie lautet nicht: „Wenn es mir wohl geht, dann geht es auch der Stadt wohl.“, sondern umgekehrt: „Wenn es der Stadt wohl geht, dann wird es auch euch wohl gehen“ (V. 9). Christliche Ethik denkt für das Ganze. Wenn es dem Ganzen gut geht, dann wird es auch mir gut gehen.

Darum sollten wir uns ausrichten an diesem wunderbar einfachen und doch so tiefsinnigen Wort Gottes: „Suchet der Stadt Bestes! Wenn es dem Land gut geht, dann werden alle davon profitieren. Und – darüber können wir im Rückblick auf 28 Jahre deutsche Einheit uns freuen - die Wirtschaft ist in den letzten Jahren nach schweren Zeiten so gewachsen, dass die Menschen in diesem Land es auch spüren. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Lebensverhältnisse haben sich verbessert. Trotzdem bleibt noch vieles zu tun. Es gibt Regionen in unserem Land, wo die Menschen sich nicht nur abgehängt fühlen, sondern etliche auch abgehängt sind. Um das in den Blick zu nehmen, gibt uns das Bibelwort die richtige Orientierung für all unser Machen und Tun: „Suchet der Stadt Bestes!“ Für alle.

Dazu kommt noch eine andere Dimension:

Für die Stadt das Beste zu suchen, bedeutet, für sie zu beten

Hier begegnen wir einer neuen, vielleicht einigen unbekannte Dimension. Wir haben als Menschen die unglaubliche Möglichkeit, im Gebet und im Gottesdienst bei Gott für die Menschen einzutreten. Mit unseren Kräften allein ist es nicht getan. Gewiss, wir können wahrscheinlich mehr tun, als wir uns selber zutrauen. Wir können viel bewegen, wenn wir uns in Übereinstimmung mit dem Gotteswillen wissen, aber unsere Möglichkeiten kommen doch auch immer wieder an ihr Ende. Gott schenkt uns noch ein weiter gehendes Mittel. Er gibt uns Anschluss an seine ewigen Kräfte. Wir dürfen das, was uns bewegt, in Worte fassen und die Nöte und Sorgen, die uns auf dem Herzen liegen, Gott selbst vortragen.

Hier in diesem Land ist unser gemeinsamer Lebensort, hier ist Heimat. Hierhin hat Gott Wolfgang Banditt und uns alle gestellt. Hier sollen wir gemeinsam für dieses Land und füreinander einstehen und beten. Dadurch will Gott uns und unser Miteinander verwandeln. Hier will er uns allen Zukunft und Hoffnung geben „Suchet der Stadt Bestes!“ In der Ausrichtung auf dieses Ziel wächst das, was eine Gesellschaft zusammen hält.
Amen.

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