Über die Sehn-Sucht und Such-Lust nach Glück
01. Mai 2014
20 Jahre Bibelzentrum Schleswig, Predigt zur Apostelgeschichte 8, 26 ff.
Liebe Festgemeinde, liebe Schwestern und Brüder!
I
Gott sei Dank für 20 Jahre Bibelzentrum Schleswig: seit 20 Jahren ein Haus für die Heilige Schrift an diesem wunderbaren Ort – über die Schlei hinüber in Sichtweite Haithabu und das Memorial für den Heiligen Ansgar – den Apostel des Nordens: das Bibelzentrum mit seinen 20 Jahren also in der langen Linie der Schriftauslegung in dieser Region seit über 1000 Jahren. Und wie in der Geschichte von Philippus und dem Hofbeamten aus Äthiopien – „da ist (auch) Wasser“ – „was hindert´s, dass ich mich taufen lasse?“
Drüben am Ansgar-Memorial wird am Gedenkstein auf einen sehr alten Baum verwiesen, unter dem direkt am Selker Noor die Menschen getauft wurden – und „eine große Freude breitete sich aus“, wie dort steht. Wie beim Kämmerer unserer Erzählung: „er zog aber seine Straße fröhlich“…
Aus dem Wort Gottes, aus dem Verstehen dessen, was er uns sagen will, wächst die Freude an dem Leben, das Gott schenkt!
II
Liebe Gemeinde, für mich ist die Erzählung aus der Apostelgeschichte so etwas wie ein Evangelisches Bildungsprogramm par exellence:
Da ist zunächst der Engel des Herrn, der Philippus einen klaren Auftrag erteilt: „Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.“
Das Evangelium von Jesus Christus braucht Leute, die sich aufrütteln lassen von außen, vom Geist Gottes – und die dann nicht sitzen bleiben unter einem schattigen Baum oder in der Nische der Sakristei, sondern die hin gehen zu den Leuten auf die Straße. Ja, raus also, dorthin, wo man Leute trifft, die man gar nicht auf dem Zettel hat in seinem missionarischen Eifer, die aber eben auch schon etwas gehört hatten von dem guten Gerücht Gottes – und also von Gott selbst schon auf die Straße geschickt worden sind mit ihrer Sehn-Sucht und Such-Lust nach Glück. Und die das Glück finden können, indem sie Gott nahe sind – hier und in Barth, dem anderen Bibelzentrum. Und dass die, die suchen nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, nicht vergeblich und schon gar nicht allein unterwegs sind, und dass sie Orte finden wie diesen hier: das ist ein weiteres Glück!
Raus gehen auch aus der Metropole – hier Jerusalem – ab in die Provinz nach Gaza: Ab also hinein in den „ländlichen Raum“ – wie wir bei uns gerne sagen – dahin soll´s gehen! Immer im Vertrauen darauf, dass wir nicht auf eigene Rechnung predigend unterwegs sind, sondern gesandt als Zeuginnen und Bürgen für Gottes Evangelium an die ganze Welt – an alles Volk! Kirche ist so verstanden eine Bildungsinitiative ganz Barriere-frei und gedacht als Inklusion pur! Niemand soll ausgeschlossen werden von der Guten Nachricht; niemand soll sich ausgeschlossen fühlen, weil er angeblich keinen Stallgeruch hat, jeder und jede ist für Gott unendlich wichtig!
Ich mache solche Erfahrungen in den ersten Monaten meiner Amtszeit als Landesbischof, die mich vor allem durch das Land Mecklenburg-Vorpommern führen. Zu Menschen, die oft religiös unmusikalisch sind, die über viele Jahre nichts gehört haben, nichts lesen durften von der Guten Nachricht.
„Ich bin Atheist, Herr Bischof“, sagt mir ein Politiker, „mich hat noch keiner zum Glauben gebracht!“ Das ist eine Gesprächseröffnung, die uns tief hinein führt in die Heilige Schrift. Weil hinter der scheinbaren Abwehr sich auch Neugier verbirgt, Neugier auf das Fremde, das da in den Augen der anderen zu lesen ist und das man nicht versteht, weil die Sprache so fremd und das Buch so dick ist.
Oder: „Ich finde es total verrückt, dass Sie an einen Gott glauben, den Sie mir nicht beweisen können“, sagt ein anderer. Ich versteh das nicht. Und ich sage: ich würde verrückt werden, wenn ich nicht glauben könnte, dass da noch eine andere Hand zu Werke geht als all die Menschenhände…
Gott stellt uns an den Weg der unterschiedlichsten Menschen. Und er stellt unterschiedlichste Menschen auch an unseren Wegesrand, damit wir besser verstehen, worauf die Menschen bauen, worauf sie sich verlassen. Was sie unglaublich finden.
Für alle Wegesrand-Steherinnen und –Steher brauchen wir Orte wie diesen. Das Bibelzentrum Schleswig ebenso wie das andere Zentrum in Barth! Und Menschen, die darin sind und fragen: verstehst du? Wir brauchen doch dringend alle die vielen Philippi an unseren Wegen, die uns aufschließen die Kammern mit den Geheimnissen Gottes mit der Frage schon: verstehst du?!
III
Liebe Gemeinde, Evangelische Bildung heißt Bildung mit und in der Heiligen Schrift, der Bibel! So wie hier der Äthiopier in den Schriften des Propheten Jesaja liest – so sind Judentum und Christentum Religionen, die um die lebendige und immer wieder neu sprudelnde Quelle der Schrift wissen, in der Gottes Wort hinter und zwischen den aufgeschrieben Worten verborgen da ist. Die Bibel als Gebrauchsbuch, die Bibel als Lebensbuch – die Bibel als Quelle der Inspiration, die dann lebendig wird und scharf, wenn sich eben nicht nur jeder für sich über den Text beugt, sondern eben auch mehrere Menschen zusammen – daher die Frage: „Verstehst du auch, was du liest?“ Hier geht es um Verstehen in einem lebendigen Dialog; hier geht es nicht um das Haben oder das Besser-Wissen, sondern um das Finden von Wahrheit, die trägt im Leben und im Sterben; hier geht es um Bible-sharing, bei dem sich der begrenzte Horizont meines Denkens und Verstehens erweitert in der Begegnung mit Gottes Wort und ebenso in der Begegnung mit dem Bruder oder der Schwester, die sich ebenfalls über der Schrift beugt. Und: Je bunter die Schar der Lesenden, desto besser! Und die Schar der Lesenden wird größer und bunter dadurch, dass die Bibel den Menschen in ganz unterschiedlichen Zugängen und Medien präsentiert wird – wie ein roter, süßer, leckerer Apfel, auf den man so richtig Lust bekommt – um ein Bild Martin Luther zu verwenden.
Und genau das, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Freunde und Freundinnen des Bibelzentrums in Schleswig tut ihr ja seit dem Beginn dieses Unternehmens hier: Da wird in der Ausstellung die Geschichte der Bibel möglichst anschaulich präsentiert; da wird gespielt mit der Fremdheit und damit mit der Faszination des Fremden, mit dem Geheimnis des historisch fern Gerückten; da wird mit erlebnispädagogischen Elementen und mit Kunst in Haus und Garten die Bibel lecker gemacht den Leuten; da wird mit Computerspiel und Druckerpresse gearbeitet – ja auch das Jesusboot nicht zu vergessen. Nun, wer weiß, was Euch noch alles so Kreatives und Nützliches einfällt – nur Mut, habt keine Angst, die Bibel und damit die Verkündigung des Evangeliums ist aller Mühen wert! Von Herzen sage ich Dank Ihnen und Euch für alle Initiativen der letzten 20 Jahre, für allen Einsatz auch mit den Mühen der Ebene, für alle Schul- und Konfirmandengruppen usw., die dieses Haus und seinen Schatz von Euch gezeigt bekommen haben! Ich sage Dank den Initiativen von damals um Dietrich Heyde herum, der immer schon geträumt hat von einem Lern- und Lehrhaus nach jüdischem Vorbild, ein Haus, in dem man sich über die Heiligen Schriften beugt, aus ihnen Kraft zu ziehen für das Leben in der Welt, das eben nicht von der Welt ist. Und Dank den Bibelgesellschaften hier in Schleswig-Holstein und in der Nordkirche, die sich hier engagieren. Dank allen Sponsoren und Stiftungen und Einzelpersonen, die sich engagiert haben und engagieren. Und Dank auch für allen kleinen „Grenzverkehr“ mit unseren dänischen Schwestern und Brüdern hier in Südschleswig oder auch in Nordschleswig, die ja auch hier zu Gast sind und diesen Ort als Lern-Ort für sich nutzen! Und Dank für den frühen Nordkirchlichen Brückenschlag zwischen Schleswig und Barth.
Nun ist die Ausstellung erneuert und ganz neu gestaltet. Na klar: Es hat sich verändert, entwickelt das Lernverhalten, das Wissen um die Bibel. Die Menschen, die fragen, sind andere geworden – mit anderen Fragen und anderen Zugängen. Und mit anderen Seh- und Hörgewohnheiten. Das Wort Gottes findet sich zurecht in all den verschiedenen Medien. Das eine Wort, das lebendige, in Christus Fleisch gewordene: es bleibt, unverwechselbar.
IV
Und, liebe Gemeinde, wenn das alles sich so ereignet hat auf der Straße und in diesem Haus mit Namen Bibelzentrum Schleswig – wer will schon sagen, wie oft und wie intensiv es sich ereignet hat, dass eine oder einer von sich sagen kann: „ich ziehe meiner Straße fröhlich“.
Auch das gehört zum Evangelisches Bildungsprogramm par exellence: Es wird erarbeitet und durchgeführt mit aller Empathie und Professionalität – aber eben auch mit Demut! Denn: Der Erfolg, das, was „hinten rauskommt“, wie man so schön sagt, das haben wir zum Glück nicht in der Hand! Da sind am Ende eben nicht nur Erbsen zu zählen und Erfolgskurven zu malen – auch keine Tauf-Quoten sind das Maß aller Dinge! Evangelisch von Kirche zu reden, heißt eben auch noch etwas anderes als Mitgliedergewinnung oder Kundenbindung! Evangelische Kirche ist zum Glück auch darin Kirche der Freiheit, dass sie groß denkt von Gott und seinem Wirken, dass sie nicht fixiert ist auf allzu menschliche Messgrößen. Kirche ist Kirche der Freiheit indem sie im besten Sinne verschwenderisch umgeht mit dem Schatz, der ihr anvertraut ist: Wir haben schlicht keine Zeit, Gott zu verschweigen; wir haben schlicht keine Zeit, die Bibel unter der Bank verstauben zu lassen. Sondern: Wir kosten die Zeit aus, die wir haben, um für Jesu Sache unterwegs zu sein auf der Straße zu Land und zu Wasser; um zu reden von der Hoffnung, die in uns ist; um zu reden von Gottes Zukunft für seine Welt! Allein diesem Auftrag wird auch das Bibelzentrum Schleswig weiter treu bleiben, da bin ich sicher. Also, liebe Schwestern und Brüder, zieht eurer Straße fröhlich! Amen.