Unterwegs auf dem Nordseeküsten-Pilgerweg: Wind, Weite und Wolken
07. August 2023
Der Nordseeküsten-Pilgerweg führt von Lunden in Dithmarschen bis an die dänische Grenze. Bei einzelnen Abschnitten von knapp 20 bis 28 km benötigt man vier bis sechs Tage für die Strecke. Wer sich aufmacht, braucht vor allem eines: Geduld. Ich habe meine Geduld auf die Probe gestellt.
Etappenziel: Kirchturm
Die Reize dieses Pilgerwegs erschließen sich mir erst spät, denn der erste Eindruck von der Landschaft bleibt während der gesamten Strecke vorherrschend: sehr flach und sehr weit. Die Wege durch die grüne Gegend werden von mit Schilf bewachsenen Gräben gesäumt und unzählige Windräder stehen wie futuristische Wälder auf den Ebenen. Doch der Blick nach vorne eröffnet zumeist schon das kommende Etappenziel, die Kirchturmspitze des nächsten Ortes.
Himmel, Land und Meer
Solange der Weg durch die Köge hinter den Deichen führt, begleiten mich nur Schwärme von Staren, Kiebitzen, Gänsen und Krähen. Das ändert sich ein wenig, als ich mich den Deichkronen nähere. Hier weiden Schafe und Lämmer auf dem endlos erscheinenden Vorland. Selbst für geübte Wanderer oder Pilgernde ist es eine echte Herausforderung, etliche Kilometer auf dem Deich Richtung Norden zu wandern und dabei dem Wind und dem Wetter ausgesetzt zu sein. Doch der Blick über das Wattenmeer eröffnet mir auch die Sicht auf die besondere, spröde Schönheit der Küstengegend, die mich an die schlichten Worte der Genesis erinnern. Vielleich sah es so aus, als Gott den Himmel, das Land und das Meer erschuf.
Wolkenspiele
Das Wetter kann hier an der Küste sehr schnell wechseln. Kräftiger Wind peitscht mir gerade noch den Regen ins Gesicht, und im nächsten Moment scheint die Sonne vom blauen Himmel und bringt den Asphalt zum Dampfen. Der weite Horizont gibt dann die Sicht frei auf ein immerwährendes Spiel der Wolken. Das Wasser zeigt sich eher selten, weil die Küstenlinie entweder weit weg hinter dem Deich liegt – oder gerade mal wieder Ebbe herrscht.
Entdeckungen
Ganz unerwartet wechseln sich mit der gewohnten Kargheit malerische Abschnitte ab. Dann gehe ich vorbei an schmuck zurecht gemachten Reetdachhäusern, die sich hinter dem Deich vor dem ewigen Wind wegducken oder ich entdeckt kleine bewachsene Fischteiche, den sogenannten Wehlen, mit Wasserlilien und Weidenröschen im Uferbereich. Diese Teiche sind von früheren Deichdruchbrüchen zurückgeblieben und bestehen mittlerweile aus Süßwasser. Entdeckungen wie diese sind meine kostbaren Schätze, die zum Weitergehen motivieren.
Tönning, Husum, und Bredstedt sind die größeren Orte auf dieser Pilgerstrecke. Hier kann man kleine, von Touristen belebte Straßen entlangwandern, alte Stadthäuser bewundern oder ein Fischbrötchen auf die Hand kaufen. Wirkliche Kleinode sind die Dörfer am Weg mit ihren winzigen Katen und Häusern oder hübschen alten Kirchen, zum Beispiel in Oldenswort, Schobüll, Bordelum oder Bargum.
Heide statt Deich
Ab Breklum ändert sich der Charakter der Landschaft deutlich. Das Meer bleibt jetzt gänzlich hinter uns zurück, leichte Anhöhen und Knicks stellen sich ein und alles wirkt lieblicher und einladender. Hinter Bordelum beginnt ein besonders schöner Abschnitt des Pilgerwegs. Er führt hier durch die Borderlumer Heide und gibt zauberhafte Blicke auf Moorlandschaften und Teiche frei. Dieses landschaftliche Kostbarkeit sollte man sich nicht entgehen lassen, zumal der weiche Heideboden eine willkommene Abwechslung zu den langen Strecken auf befestigten Asphaltstraßen ist.
Am Ende des Weges, nach insgesamt 95 gewanderten Kilometern, stelle ich fest, dass die besonderen Herausforderungen mich an Grenzen gebracht haben – besonders die einsamen, unendlichen, schnurgeraden und manchmal auch eintönigen Strecken. Dann gab es nur eins: einfach weitergehen, denn die nächste Entdeckung am Wegesrand wird kommen – garantiert!