30. Oktober 2016 | Dom St. Nikolai zu Greifswald

Verstehst du auch, was du liest?

30. Oktober 2016 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 40 anlässlich der Einführung der Lutherbibel 2017 für den gottesdienstlichen Gebrauch

Liebe Gemeinde!

In diesem Gottesdienst wird die neue Revision der Lutherbibel in den gottesdienstlichen Gebrauch genommen. Die Nordkirche schenkt aus diesem Anlass allen ihren Gemeinden eine Altarbibel. Damit soll das Wort Gottes in der bestgeeigneten Übersetzung für Gottesdienste und Gemeindearbeit zur Verfügung stehen. Einige Kostproben dieser Übersetzung haben wir ja eben in verschiedenen Lesungen gehört. Aber entscheidend ist ja nicht, dass wir eine Bibel haben, in der wir lesen, sondern auch, dass wir verstehen, was wir lesen. Verstehst du auch, was du liest? Genau diese Frage stellt schon in der Bibel ein Verkündiger des Wortes Gottes einem reiselustigen Israelfahrer.

[Lesung des Bibeltextes]

Er hatte etwas erreicht in seinem Leben, aber dafür hatte er auch bezahlen müssen. Er war der Finanzminister der Kandake, der Königin aus dem Sudan geworden. Aber alles, so dachte sich der Minister, kann man im Leben nicht auf einmal haben.

Die Sudanesen waren damals schon geprägt von einem Urheberglauben. Sie wussten: Von nichts kommt nichts. Das, was ist, muss einen ewigen Urheber haben. So waren sie gut vorbereitet auf den Glauben an den biblischen Schöpfergott. So gab es wohl auch nicht wenige, die sich von den Leuten auf der Nilinsel Elephantine und in anderen jüdischen Kolonien, die lebhaft einluden zum jüdischen Glauben, anstecken ließen. Der Glaube an den jüdischen Gott war für sie faszinierend. Ein Gott, der nicht nur die Welt erschaffen hatte, sondern der auch noch zu seinen Menschen redete. Durch Einzelne, begonnen mit den Erzvätern und Erzmüttern, wie Abraham und Sarah, über Mose bis hin zu den Propheten schenkte dieser Gott seinen Menschen Orientierung. Darüber wollte der Finanzminister mehr wissen. Er hörte vom Zentrum des jüdischen Glaubens, von Jerusalem und seinem Heiligen Tempel und bekam mit, wie jüdische Menschen und Gottesfürchtige wie er sich auf den weiten Weg nach Jerusalem machten, um dort einmal eines der großen Feste des Judentums mitzufeiern.

Der Weg nach Jerusalem war weit. 3.000 km musste der Finanzminister zurücklegen. Das war schon eine große Entfernung, aber ließ sich in seinem Fall noch etwas abmildernd bewerkstelligen, weil er dazu den Dienstwagen, den Reisewagen, benutzen durfte. Und doch war ein so weiter Weg in der damaligen Zeit eine große Mühe.

Dann war er im Tempel gewesen. Es war schon bewegend zu sehen, wie die Menschenmassen dort zusammenkamen, um Gott zu feiern. Die heilige Musik, die Gebete und die Lieder nahmen Gefühle auf, die der Mann aus Afrika kannte. Aber was ihn am meisten anrührte, war der eigentliche Tempelgottesdienst, bei dem täglich Opfer gebracht wurden. Auf einem Altar konnten Menschen durch die Priester Gott Opfer bringen. Dadurch wurden die Brüche im Leben erträglicher. Wer versagt hatte und Schuld auf sich geladen, konnte hoffen, dass Gott ihm wegen seines Opfers diese Schuld vergeben würde. Der Finanzminister wollte Gott gern lieben, aber er spürte diesen großen Abstand zwischen sich und Gott. Er wagte Gott kaum anzusprechen, kaum das, was ihn wirklich bewegte, Gott zu sagen. Manches, was er in Ausübung seines hohen Amtes getan hatte, würde wohl Gott nicht gefallen. Konnte das Opfer auf dem Tempelaltar diesen Abstand zwischen Mensch und Gott verringern? Konnte man dadurch auch wieder mehr Selbstachtung gewinnen? Er wusste es nicht.

Und so fuhr er schon angerührt, aber auch traurig wieder nach Hause. Als Andenken hatte er sich eine Schriftrolle gekauft. Es war eine Schriftrolle mit den Worten des 2. Jesaja. Nun saß er in seinem Reisewagen und las und der Mann hatte Recht gehabt. Das, was er las, erfreute den Finanzminister aus Äthiopien. Und er liest weiter. Und er liest laut – denn so las man damals, wenn man verstehen wollte. Und er liest immer wieder die Schriftrolle, die er in Jerusalem erstanden hatte. Und er liest in dieser Schriftrolle beim 2. Jesaja auch etwas von einem Gottesknecht, der Gott ganz treu war – und von Treue wusste unser Finanzminister auch etwas – der erniedrigt wurde – und von Erniedrigung wusste der Afrikaner sehr viel – und den Gott als sein Werkzeug benutzt hat. Er liest, wie dieser Gottesknecht stellvertretend für andere Schuld übernimmt, damit die Vielen das Leben haben. Und als er bei ihm liest: „Der Gottesknecht wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt. Niemand wird über Nachkommen über ihn berichten können, denn sein Leben auf der Erde wurde ihm genommen.“, da spricht ihn plötzlich jemand an. Besser, er hört eine Stimme. Woher kam diese Stimme, denn er saß doch alleine in seinem Wagen, vielleicht mit einem Knecht. Und die Stimme fragt ihn: „Verstehst du denn, was du da liest?“ Und er sieht, wie diese Stimme zu einem Mann gehört, der neben dem Wagen herging und seinem lauten Lesen zugehört hatte. „Verstehst du denn, was du da liest?“

Aber wie kommt man mit einem fremden Menschen ins Gespräch? Phillippus stellt diese Frage und die war ganz schön frech. Aber das war seine Geistesgegenwart gewesen, dass der Geist Gottes ihm diese Frage auch eingab. Denn das war ja gerade das Problem, dass dieser gebildete Mensch nun las, hoffte und suchte, aber nicht genau wusste, ob er auch verstand. Und so antwortet der Finanzminister ebenso schlagfertig: “Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?“ Und dann bittet er unseren Philippus aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.

Heute fahren die Wagen zu schnell. Die Leute lesen auch nicht mehr laut. Und die wenigsten lesen beim Autofahren. Und das ist auch gut so. (Manche lesen allerdings ihre Nachrichten auf dem Smartphone. Aber das ist eher schlecht!) Aber doch gibt es unter uns nicht wenige Gottsucher. Zumindestens gibt es viele, die von sich sagen: „Ich bin ein gelernter DDR-Bürger und habe all die Sachen über den Glauben nicht gelernt.“ Darum ist es gut, wenn wir uns bemühen, die Bibel in guten Ausgaben zur Verfügung zu haben, wenn es Bibelabende, Bibelwochen gibt und heute in vielen Gemeinden Glaubenskurse durchgeführt werden. Unter den Gleichgültigen und den Verächtern der Religion gibt es nicht wenige, denen einfach bisher die Gelegenheit gefehlt hat, sich auf eine ihnen zugängliche Weise mit den Inhalten des christlichen Glaubens auseinanderzusetzen. Die Gottsucher und die Glaubensinteressierten sind unter uns. Unsere vornehmste Aufgabe sollte sein, Gott zu bitten, sie uns zu zeigen, damit wir ihnen helfen können, die Bibel zu verstehen.

Von wem redete der Prophet, wer ist dieser Gottesknecht? Redete der Prophet von sich selber oder von jemand anderem? Aber wieso waren in seiner Rede auch Züge, die der Afrikaner bei sich selbst wiederfand? Überstieg das Schicksal des Gottesknechtes nicht alles, was sich in der Biographie eines einzigen Menschen ereignen konnte?

Philippus wusste, das war die ihm von Gott geschenkte Gelegenheit. Solche Situationen sind selten. Und er nutzte sie. Philippus predigte die gute Botschaft, wie unser Leben wertvoll wert, weil ein anderer, Jesus, es wieder wertvoll macht. Er erzählt, wie Jesus sich mit unserer Tiefe gemein gemacht hat, damit wir in seine Höhe kommen. Er lädt ein zu einem Glauben, in dem das Ungeheure geschieht und die persönliche Lebensgeschichte mit der Geschichte Jesu zusammengewoben wird und in der am Ende Jesus sein Leben in den Glaubenden weiterlebt. Und er hat wohl auch berichtet, dass der Einstieg in ein solches Leben die Taufe ist, denn sonst wäre die Rückfrage des Afrikaners kaum zu erklären: „Was hindert es, dass ich mich taufen lasse?“ Der Afrikaner hat das Bedürfnis zu diesem Jesus zu gehören. Denn er hat verstanden, nirgendwo auf dieser Welt kann ich Gott so nah kommen, als wenn ich auf Jesus schaue und sein Leben, Sterben und Auferstehen betrachte und dadurch mein Leben verwandelt wird. In der seinsorientierten Sprache der Alten wird Jesus deswegen Gottes Sohn genannt. Das meint: Wer Jesus sieht, sieht Gott. Und umgekehrt: Wer Gott kennenlernen will, der muss auf Jesus sehen. Darum ist der spätere Eintrag im Text der Apostelgeschichte sachgemäß, in dem Philippus sagt: „Wenn du mit ganzem Herzen glaubst, kannst du getauft werden“, und der Afrikaner  antwortet: „Ich glaube, dass Jesus Gottes Sohn ist.“

Die Taufe findet dann draußen statt – weil da gerade ein Fluss ist. Der afrikanische Finanzminister hat sich immer gewünscht, dass sein Leben wieder kostbar sein möge. Als er verstanden hatte, dieser Weg führt über die Taufe, da wollte er nur noch dies eine – getauft werden. Und er wird getauft, wie die Kirche seit den Anfängen tauft, Kinder und Erwachsene tauft.

Damit ist die Geschichte so gut wie zu Ende. Auf Philippus warten an anderer Stelle weitere Aufgaben. Der Afrikaner ist mit Freude erfüllt. Er zieht nun seine Straße fröhlich. Und wir? Wichtig ist, die persönliche Lebensgeschichte mit der Geschichte Jesu Christi zu verweben. Wenn dies gelingt, wächst der Wunsch, mit der Taufe der Verbundenheit mit Christus sinnenhaft Ausdruck zu verleihen. Wer getauft ist, zieht seine Straße fröhlich. Das wünsche ich uns auch allen, dass sie ihre Straße fröhlich ziehen.

Es beginnt manchmal mit dem Bibellesen. Aber gut ist es, wenn da Erfahrene sind, mit denen wir über das reden können, was wir nicht verstanden haben. Eigentlich besteht unser ganzes Leben darin, wie einmal ein von mir sehr geschätzter Alttestamentler, Gerhard von Rad, gesagt hat: „Lesen zu lernen und lehren zu lesen.“ Wir haben eine gute Bibelausgabe und es liegt nun alles daran, sie auch zu lesen und zu verstehen. Damit „wir unsere Straße fröhlich ziehen“ – schon jetzt und am Ende in das ewige Leben.
Amen.

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