12. März 2017 | St. Georgenkirche Parchim

Vertrauen ist der Schlüssel zu freiem, mutigem Leben

12. März 2017 von Andreas von Maltzahn

Reminiszere, Predigt im Festgottesdienst zum Reformationsjubiläum der beiden Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinden St. Marien und St. Georgen

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

frei müsste man sein, so haben Nora und Markus es eben gesagt. Aber da ist so viel Druck, Stress, Funktionieren-Müssen. Nora und Markus, mit eurem Gespräch habt Ihr uns mitten hinein versetzt in das Thema, um das es heute geht: um unser Leben, wie es frei und glücklich sein könnte. Ihr habt uns erzählt, wie es aussieht und zugeht in euerm Leben: gute Noten schreiben müssen, gut aussehen, alles können – all das hat auch mit uns zu tun. Wir Erwachsene bekommen vielleicht keine schriftlichen Zensuren mehr, aber auch wir kennen den Druck, der ausgeht von dem Beurteiltwerden. Manchmal sind es andere, die über uns urteilen. Manchmal sind wir es selbst. Die Frage, wie wir bestehen können angesichts all der Herausforderungen – diese Frage kennen wir nur zu gut:

Wie kann ich z. B. bestehen in meinem Beruf? Leistungsansprüche setzen uns mehr und mehr unter Druck. Man kann versuchen, durch noch intensivere Arbeit vor sich selbst und anderen zu bestehen. Doch Rechtfertigung des eigenen Lebens  durch Arbeit – dieser Weg führt eher in die Überforderung als zu innerem Frieden. Menschen, die so leben, gleichen einer Kerze, die von beiden Seiten brennt. Wie kann ich bestehen in Partnerschaft und Familie? Auch hier begegnen uns vielfältige Ansprüche: Längst geht es nicht mehr nur darum, den Alltag zu meistern und die Familie durchzubringen. In der Liebe wollen wir nicht weniger als die Erfüllung unseres Lebens finden. Wir möchten gute Väter und Mütter sein und den Kindern vielfältige Entwicklungschancen bieten. Wir wollen in der Partnerschaft achtsam miteinander umgehen und uns selbst dabei nicht verlieren. Der Erwartungsdruck, unter dem Männer und Frauen in Partnerschaft und Familie stehen, ist enorm. Kein Wunder, dass viele Beziehungen darüber kaputtgehen!Wie kann ich bestehen vor dem allgemeinen Anspruch, das eigene Glück machen zu müssen? Der Volksmund sagt doch: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Na klar, das Gelingen unseres Lebens hängt auch von uns ab. Aber wehe uns, wenn dieser Spruch ganz und gar wahr wäre! Er enthält ja nicht nur ein Versprechen; er trägt in sich die furchtbare Drohung: Was immer dir widerfährt, zum Guten oder Bösen – du hast es dir selbst zuzuschreiben. Du bist selbst ‚schuld‘. Du hast es ‚verdient‘. Du bist dazu verurteilt, aus deinem Leben etwas zu ‚machen‘, als wären die wesentlichen Dinge des Lebens nicht allesamt Geschenk. 

Wie kann ich bestehen? Anders gefragt: Was rechtfertigt mein Leben? Wie kann es gelingen, dass wir unser Leben bei all unserem Mühen nicht doch verfehlen?

Die Frage, die Martin Luther umgetrieben hatte, war ähnlich: „Wie kann ich bestehen – vor Gott, vor seinem Gericht?“ Lange Zeit hatte er versucht, auf dem Weg frommer Übungen und guter Werke seinen Stand vor Gott zu finden. Trotz allen Eifers führte ihn dieser Weg religiöser Leistungsbereitschaft nur tiefer in die Verzweiflung. Er spürte: So sehr ich mich auch vervollkommne – es kann nie genug sein. Auf diesem Weg werde ich meines Heils nicht gewiss.

Die befreiende Antwort auf seine Fragen fand Luther dann in der Bibel. Er entdeckte im Evangelium wieder:

‚Ich muss keine Angst haben vor Gott. Aus eigener Kraft kann ich zwar nicht bestehen. Aber das muss ich auch gar nicht: Ich kann bestehen im Vertrauen darauf, dass Gott mich bejaht – so wie liebevolle Eltern ihre Kinder ohne Vorbedingungen lieb haben. Im Vertrauen auf Gottes Güte ist alle Angst, nicht zu genügen, grundlos. In der Hingabe Jesu an uns Menschen ist das deutlich geworden. Ich muss mein Leben nicht rechtfertigen.‘ 

Wenn das nicht hochaktuell ist: Unser Wert als Mensch ist nicht abhängig von Leistung! Unsere Würde ist gottgeschenkt! Wir müssen unser Lebensrecht nicht erst erarbeiten – in Schule und Beruf, Partnerschaft und Familie. In Gottes Augen entscheidet kein Tun, kein Werk, nicht einmal das Lebens-Werk über den Wert eines Menschen. Seine Würde, der Sinn insgesamt seines Lebens, ist leistungsunabhängig.

Auch Scheiternde verlieren nicht ihren Wert, ihre Würde in den Augen Gottes. Die vertrauende Beziehung zu Gott lässt Menschen bestehen – vor sich selbst, vor den Ansprüchen des Lebens, vor Gott. Im Brief an die Christengemeinde in Rom heißt es:

„Nach reiflicher Überlegung kommen wir zu dem Schluss, dass Menschen auf Grund von Vertrauen gerecht gesprochen werden – ohne dass schon alles geschafft wurde, was die Tora fordert.“  (Röm 3,28, zitiert nach der Bibel in gerechter Sprache)

Vertrauen ist der Schlüssel zu freiem, mutigem Leben – Vertrauen zu Gott!

Sie hier in Parchim besitzen ein wertvolles Erbe – hat doch Parchim in der Reformationsgeschichte Mecklenburgs eine wichtige Rolle gespielt. Dabei vollzog sich der Wandel nicht frei von Konflikten: In der Zeit des Übergangs war die Stadt gespalten – in St. Georgen feierte man schon evangelischen Gottesdienst, während in St. Marien zunächst noch der alte Glaube seine Heimstatt behielt. Durch Menschen wie  Rektor Caspar Lönnies und später Johann Riebling, dem ersten evangelischen Superintendenten Mecklenburgs, machte die Reformation wichtige Fortschritte. Mut war gefragt – und das Vertrauen, dass Gott einen gut durch alle Veränderungen begleiten würde.

Die befreiende Botschaft fiel auf fruchtbaren Boden: Die Menschen waren gespannt auf das, was sie nun in ihrer eigenen Sprache von Gott hörten. Sie spürten: Es gab Wege aus der Angst in die Freiheit! Es brauchte sogar zusätzliche Gottesdienste, weil der Hunger nach Gottes Wort so groß war. Eine wichtige Rolle spielte auch die Kirchenmusik. Wo man früher lateinischen Messen gelauscht hatte, konnte man nun deutsche Lieder mit eingängigen Melodien selber mitsingen.

Wege aus der Angst in die Freiheit galt es auch 1989/90 zu suchen und zu beschreiten. Auch in diesen Jahren war Mut gefragt – und das Vertrauen, dass Gott einen gut durch alle Veränderungen begleiten würde. Auch hier waren die Parchimer Kirchen Orte der Erneuerung – zunächst St. Marien, dann auch St. Georgen. Und die gekommen waren, erlebten, wie die biblischen Lesungen direkt zu Herzen gingen, weil sie wie für diese besondere Zeit geschrieben schienen. Aber noch war man unsicher, wie weit man gehen durfte. Sollte man sich mit seinem Protest auf die Straße trauen? Da trat am 25.Oktober 1989 Pastor Hartmut Kuessner vor die Versammelten und sagte:

„Ich wünsche und fordere eine gezielte, gewaltlose, stille, schweigende Demonstration auf der Straße. Wann? Morgen um 17 Uhr. Wo? Von der Hydraulik bis zum Rat des Kreises. Ich habe 6 Losungen, 6 Forderungen:

Nichts beschädigen!
Niemanden verletzen!
Schlagstöcke weg!
Freie Grenzen, d.h. Freizügigkeit wie in der eigenen Haustür!
Freie Wahlen, d.h. Demokratie, Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, Schutz der Minderheit!

Neuer Parteitag, d.h. Eingestehen der Fehler und Verbrechen und konstruktives Bündnis mit allen und konstruktive Zusammenarbeit mit allen!

Ich habe 5 Wünsche, die mich seit dem Frühjahr 1989 bewegen:

1.     Ich wünsche Freiheit für Vertrauen, Liebe, Hoffnung. Wir sind keine Nihilisten.
2.    
Ich wünsche Freiheit der Mitbestimmung. Wir sind keine Kinder und Unmündigen.
3.    
Ich wünsche Freiheit der Reisen und Kontakte. Wir sind keine Gefangenen.
4.    
Ich wünsche Bewahrung des biologischen Lebens. Wir sind keine Insekten.
5.    
Ich wünsche Bewahrung der Kultur. Wir sind keine Vandalen.

Solidarität hier und jetzt! Frieden hier und jetzt! Bewahrung hier und jetzt!“   

Für solche Worte war man früher für Jahre inhaftiert worden. Aber der Durst nach Freiheit ließ sich nicht mehr aufhalten. Am Tag darauf gingen die Parchimer auf die Straße. Alles blieb friedlich. Veränderungen wurden möglich.

Und heute?

Auch angesichts der Herausforderungen unserer Zeit ist es wichtig, dass wir uns nicht bestimmen lassen von Angst. Wo wir auf Gott vertrauen, werden wir frei, in seinem Sinne zu leben – die Seligpreisungen geben uns Orientierung:

Gerechtigkeit! Sie erfüllt ein Menschenleben. Tun wir, was in unserer Kraft steht – es wird unser Leben reich machen! Und dazu gehören auch Schulen, die allen Kindern gerecht werden, indem sie allen eine echte Chance bieten, ohne Angst die eigenen Talente zu entwickeln.

Barmherzigkeit! Üben wir uns in Barmherzigkeit – und wir werden erfahren, wie gut es uns selbst tut. „M 41“ – das Haus der Begegnung zwischen Einheimischen und Geflüchteten – ist ein gutes Beispiel dafür.

Frieden stiften! Das liegt Gott am Herzen. Weisen wir übles Gerede in die Schranken, das Menschen herabsetzt und Sündenböcke sucht! Bauen wir Brücken zueinander, wo Menschen sich verrannt haben in Hass und Feindseligkeit! Lassen wir uns bei den nächsten Wahlen nicht Europa nehmen! Denn bei allem, was an der Europäischen Union reformbedürftig ist – dieser Friedensordnung ist es zu verdanken, dass wir so lange keinen Krieg erleben mussten.

Frei müsste man sein, so haben Nora und Markus es vorhin gesagt. Am Ende dieser Predigt sage ich: Wir sind es! In Wahrheit, von Gott her sind wir frei! Im Vertrauen auf ihn behalten die Ängste nicht die Oberhand. Mutig können wir uns dem Leben stellen. Vertrauen ist der Schlüssel – Vertrauen zu Gott. Und wenn du diese Kraft noch nicht spürst, dann frag weiter! Dann such intensiver nach Gott! Entdecke die Bibel neu für dich und sprich mit anderen über deine Fragen und Zweifel! Es ist uns verheißen: Auf diesem Weg werden wir Frieden und Erfüllung finden.
Amen.

Veranstaltungen
Orte
  • Orte
  • Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Flensburg-St. Johannis
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Gertrud zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Michael in Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Petrigemeinde in Flensburg
  • Hamburg
    • Hauptkirche St. Jacobi
    • Hauptkirche St. Katharinen
    • Hauptkirche St. Michaelis
    • Hauptkirche St. Nikolai
    • Hauptkirche St. Petri
  • Greifswald
    • Ev. Bugenhagengemeinde Greifswald Wieck-Eldena
    • Ev. Christus-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Johannes-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Jacobi Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Marien Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai Greifswald
  • Kiel
  • Lübeck
    • Dom zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Jakobi Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien in Lübeck
    • St. Petri zu Lübeck
  • Rostock
    • Ev.-Luth. Innenstadtgemeinde Rostock
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock Heiligen Geist
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Evershagen
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Lütten Klein
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Rostock
    • Ev.-Luth. Luther-St.-Andreas-Gemeinde Rostock
    • Kirche Warnemünde
  • Schleswig
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig
  • Schwerin
    • Ev.-Luth. Domgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai Schwerin
    • Ev.-Luth. Petrusgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Schloßkirchengemeinde Schwerin

Personen und Institutionen finden

EKD Info-Service

0800 5040 602

Montag bis Freitag von 9-18 Uhr kostenlos erreichbar - außer an bundesweiten Feiertagen

Sexualisierte Gewalt

0800 0220099

Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche.
Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Telefonseelsorge

0800 1110 111

0800 1110 222

Kostenfrei, bundesweit, täglich, rund um die Uhr. Online telefonseelsorge.de

Zum Anfang der Seite