21. Juni 2019 | Große Kirche Aplerbeck

Vertrauen wagen! Ohne Wagnis kein Glaube und keine Freundschaft

21. Juni 2019 von Kirsten Fehrs

Seafarers‘ Night, Deutscher Evangelischer Kirchentag in Dortmund 2019, Predigt zu Mk 16,14-15

Predigttext – Übersetzung für den Kirchentag in Dortmund 2019

14 Zuletzt, als „die Elf“ zu Tische lagen, zeigte Jesus sich ihnen. Er hielt ihnen vor Augen, dass sie kein Vertrauen hätten und verhärtet seien, weil sie denen nicht vertrauten, die ihn als Auferstandenen gesehen hatten. 15 Und er sagte zu ihnen: „Geht in die ganze Welt und verkündet die Freudenbotschaft der ganzen Schöpfung.“

 

Liebe Seafarers-Night-Gemeinde,

wenn ich in meiner Bischofskanzlei in der Hamburger HafenCity das Fenster öffne, dann höre ich die Möwen schreien und die Schiffshörner tuten. Aus dem Hafen dröhnt immer mal wieder dumpfes Gepolter, in der Luft liegt die Feuchtigkeit der Elbe. Man könnte meinen: Als Hamburger Bischöfin ist man mittendrin im maritimen Leben. Aber ich muss gestehen: So richtig begriffen habe ich die Seefahrt erst, seit ich in diesem Jahr mein neues Amt als „Stimme der Seeleute“ angetreten habe. Und ehrlich: Ich liebe es! Besuche im Seemannsclub Duckdalben, Karaoke in allen Lebenslagen, Gespräche mit Reedern und Kapitänen und natürlich Bordbesuche auf Containerschiffen – herrlich inkognito mit Helm und Sicherheitsweste, da ging ich bei den Mannschaften locker durch als Praktikantin von Seemannsdiakon Jörn Hille oder Fiete Sturm. (Ernsthaft, so heißt er, das ist kein Künstlername.)

Was da alles zu lernen ist, habt Ihr auf eindringliche Weise eben deutlich gemacht: Dass über 90 Prozent des gesamten Welthandels per Schiff transportiert werden, dass die Regale in den Geschäften definitiv leer wären, würde es die Seeleute nicht geben. Dass die Arbeit nicht nur hart, sondern auch sehr gefährlich sein kann. Dass es auf einem riesigen Containerschiff nur 22 Mann Besatzung gibt, die über Monate hin chronischen Schlafmangel haben, weil es auf dem Schiff dauerhaft laut ist – und dann noch diese Einsamkeit … Wer weiß das alles schon?

Einleuchtend, dass die Leute von der Seemannsmission immer so dankbar empfangen werden. Denn sie bringen nicht nur Sim-Karten für die Telefone zu einem reellen Preis, sondern auch Nervennahrung wie Schokolade. (Stellen Sie sich vor, im Seemannsclub Duckdalben „verticken“ sie in einem Monat eine Tonne Schokolade.) Und sie bringen ein offenes Herz und offene Ohren zum Zuhören. Sie genießen einen unglaublichen Vertrauensvorschuss, ganz gleich, woher die Seeleute kommen, ob aus Indien oder von den Philippinen, ob aus Russland oder Südafrika.

Und wenn ich nun die Seefahrt auf zwei Begriffe bringen sollte, dann auf diese: Globalisierung und Vertrauen. Das sind zwei urchristliche Themen, die uns auch in unserem Predigttext begegnen. „Geht in die ganze Welt und verkündet die Freudenbotschaft der ganzen Schöpfung.“ Frühe Globalisierung ist das. Ist doch das frühe Christentum vor allem in den großen Hafenstädten verbreitet worden: Korinth, Alexandria, Ephesus – da zog ein neuer und frischer, ja geradezu revolutionärer Glaube in den multikulturellen Metropolen des Römischen Reiches ein. Gleichberechtigt in ihrer Würde sind alle, ob Sklave oder Freier, ob Grieche oder Jude – alle sind eins in Christus. Darin habt Vertrauen! Bis heute. Und so wirken denn unsere Botschaft, unsere Seelsorge, unser Engagement nicht durch eine mächtige Institution oder durch ein gewichtiges Amt. Sie wirken durch das ehrliche Wort und die glaubwürdige Tat eines jeden/einer jeden von uns. Und sie wirken dann, wenn wir selbst aus dem Vertrauen heraus leben.

Genau das ist es, was Jesus an seinen Jüngern kritisiert: Ihr vertraut zu wenig. Nicht, dass sie ihm nicht vertraut hätten. Nein, sie haben den Frauen nicht vertraut, die ihn als erste auferstanden gesehen hatten. Sie haben den beiden Jüngern nicht vertraut, die nach Emmaus gegangen sind. Vertrauen, das heißt ja: Man lässt sich ein und hört mal zu. Auch wenn es so unerhört, so unglaublich ist. Es heißt ja nicht umsonst: Vertrauen wagen. Ohne dieses Wagnis kein Glaube, keine Freundschaft, keine wahre Begegnung, ohne Vertrauen keine Horizonterweiterung. Vertrauen und Hinausgehen in die ganze Welt, das gehört zusammen!

Für uns bedeutet das, dass wir in der Nachfolge Jesu einen universalen Auftrag haben. Wir stehen für eine Kirche Jesu, die sich weltweit stark macht für die Leisen, Zukurzgekommenen. Deshalb stehen wir ein für Fair-Trade. Und gerade in diesen Tagen stehen wir ein für den Frieden, der wieder einmal so bedroht ist. Denn was da im Golf von Oman passiert ist, liebe Geschwister, ist doch zutiefst verstörend, oder? Auch hier sind es die Seeleute, die als erstes zwischen die Fronten geraten. Da dürfen wir nicht schweigen in einer Seafarers Night! Wir müssen auch öffentliche Seelsorge sein. Seelsorge, die sich auseinandersetzt, um die Welt zusammenzuhalten. Seelsorge, die in unserer Weltgesellschaft hinhört und hinsieht, was nicht stimmt. Und das kann sie nur, wenn wir runterkommen von den Kanzeln respektive Bühnen.

Oder aber dies: einsteigen ins gemeinsame Boot und raufsteigen auf ein riesiges Containerschiff von 400 Metern auf einer wackeligen Reling. Wie heißt es im Psalm so schön? „Dass ihre Seele vor Angst verzagte, dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener …“ – für jemanden, der so höhenängstlich ist wie ich, ein echtes Gebetsanliegen … Es sind ja auch die inneren Stürme und Ungewitter, durch die Gott uns hindurchlotsen will.

„Die dann zum HERRN schrien in ihrer Not, und er führte sie aus ihren Ängsten und stillte das Ungewitter, dass die Wellen sich legten.“. Wie hoch aktuell das ist, haben wir vorhin vom Ratsvorsitzenden gehört. Unfassbar, dieses Europa, dessen Humanität in diesem Moment ins Bodenlose sinkt! 43 Menschen nicht aufzunehmen – was für ein Armutszeugnis eines Innenministeriums, angesichts all der deutschen Häfen, die die Schutzbefohlenen sofort aufnehmen würden, einschließlich Dortmund!

Seenotrettung nicht zu leisten, wie weit wollen wir noch sinken? Seenotrettung ist in die DNA der Seefahrt eingeschrieben. Als vorhin das durchdringende Warnsignal ertönte mit dem lauten Ruf „Menschen in Not!“, da ist es uns, glaube ich, allen durch Mark und Bein gegangen. Und so wie Reeder Braren eben sagte: bei den hohen Bordwänden, kaum Besatzung an Bord, keine Ärzte, Decken, zu wenig Wasser … Wie soll ein Containerschiff mehrere Hundert Schutzbefohlene aufnehmen? Und Ihr tut es trotzdem! Wir appellieren an Politik und Europa: Schickt vernünftige Rettungsboote ins Mittelmeer!

„Seawatch“ rettet. Mit besonderen Seeleuten, die einen großartigen Einsatz leisten. Es sind Freiwillige, die diesem grauenhaften Sterben und dem europäischen Versagen ihren Widerspruch entgegenhalten. Indem sie konkret etwas tun. Kürzlich begegnete ich einigen von ihnen. Sehr beeindruckende junge Menschen. Eine Frau etwa erzählte, dass sie extrem unter Seekrankheit leidet. Sich selbst so auszusetzen, physisch und psychisch, ohne Rücksicht und Vorsicht aufs eigene Wohlgefühl, sich und die eigenen Bedürfnisse dermaßen hintanzustellen – das ist nicht nur liebenswert und auch ein bisschen verrückt, es ist die Liebe zum Leben des Nächsten allem voran.

Darin dürfen wir nicht müde werden, liebe Geschwister. Nicht müde werden in unserem Mitgefühl und der Achtung vor dem Leben. Das ist unser Auftrag als Christ*innen und als Kirche – und wird mehr gebraucht denn je. In unserer Gesellschaft gerade in diesen Zeiten ist es die Rettung, dass wir wieder neu Vertrauen wagen und die Angst überwinden. Angst vor Flüchtlingen, Angst vor Wohlstandsverlust … – Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Sie macht in jeder Hinsicht eng. Nun, schauen wir einander an. Warum sollten wir nicht vertrauen? Vertrauen weitet Herz und Gedanken. Vertrauen macht uns zu freien Menschen. Aufrecht. Mit Würde. Und ganz eigener Stimme, die eine Freudenbotschaft zu verkünden hat – der ganzen Schöpfung.

Danke, dass Ihr da seid, Vertrauensboten in der Seemannsmission. Danke, dass wir gemeinsam feiern, singen, beten – und der Hoffnung ein Herz geben.
Amen.

Datum
21.06.2019
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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