30. Mai 2022 | Hauptkirche St. Michaelis, Hamburg

Vokationsgottesdienst

30. Mai 2022 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Genesis 12,1-4

Liebe zu Vozierende, also: liebe Lehrerinnen und Lehrer,

liebe Familien, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Festgemeinde,

endlich! Endlich feiern wir ihn: Ihren Vokationsgottesdienst. Ich freue mich von Herzen, dieses besondere Ereignis mit Ihnen zu teilen und Sie kennenlernen zu dürfen. Einige von Ihnen sind ja bereits anderthalb Jahre im Schuldienst; das muss für Sie ein herausfordernder Einstieg gewesen sein, so ganz anders als geplant und erhofft. Umso schöner ist es, dass wir heute im Michel alle einen Moment innehalten und alle segnen, die, die schon unterwegs sind und die, die gerade loslegen.

Und so ist dieser besondere Gottesdienst auch eine Gelegenheit, meine große Anerkennung loszuwerden dafür, was Sie tagtäglich leisten – nicht allein indem Sie Schüler:innen unterrichten, sondern mit ihnen ja auch innerlich einen Weg gehen und sie stärken, trösten und sich intensiv auseinandersetzen. Sie haben meinen vollen Respekt und ehrlich – gerade in diesen Zeiten, in denen eine Krise die andere jagt, ist es alle Hochachtung wert, dass und wie Sie für unsere ganze Gesellschaft diesen wertvollen, persönlichen Einsatz leisten. Eben indem Sie denen Aufmerksamkeit und Begleitung schenken, die in der Pandemie in besonderer Weise gelitten haben und ja immer noch mit den Folgen kämpfen: die Kinder und Jugendlichen. Und indem Sie deren Fragen, Zweifel und Ängste ansprechbar machen, ihre Nöte erkennen und manch aufgewühlte Seele auffangen.

Gerade im Religionsunterricht ist das wohl so. Als ich kürzlich in der Wichernschule war, um den Schüler:innen zuzuhören und mit ihnen gemeinsam über den Ukrainekrieg zu sprechen, ist mir noch einmal deutlich geworden, wie tief dieser Krieg die Jugendlichen berührt. Noch gar nicht erholt von der einen großen Krise, bewegen sie Ängste vor einem Krieg auch hier bei uns. Was wird werden, fragten sie. Was oder wer hält einen fest? Wie ist das Böse zu verstehen? Warum dieses Leid? Wie kann ich Hoffnung bekommen und die Träume von einer besseren – und klimagerechteren Welt nicht verlieren? Aber auch dies war ihnen wichtig, an mich zu adressieren: dass die Wahrheit einen frei macht. Dass Lüge und Demokratie nicht zusammengehen. Und wie wertvoll Nachbarschaft und Flüchtlingshilfe sind. Und dass der größte Sinn in der Liebe liegt.

Sie werden dies alles genau kennen. Im Religionsunterricht geht‘s ums Ganze, ums ganze Leben. Um die existentiellen Fragen. Um die Dinge hinter den Dingen mit all den Schönheiten und Wundern, Rätseln und Traurigkeiten. Und so ist es gerade in diesem Fach – und allemal mit dem interreligiösen Ansatz Hamburgs – eine riesige Herausforderung, die Schüler:innen eben nicht allein kundig zu machen, religionskundig. Es geht nicht allein darum, was diese oder jene Religion für Traditionen und Brauchtümer pflegt. Sondern auch darum, was sie glaubt und bekennt, was ihre je eigene Wahrheit ist und was sie für das Leben austrägt. Fürs wirkliche, fürs ganze Leben.

Nicht umsonst eine Vokation – die ich nur vordergründig als Unterrichtserlaubnis verstehe. (Mir klingt das ehrlich gestanden viel zu behördlich, zu sehr nach Institution.) Nein, in dem Verb vocare spiegelt sich die Vielfalt. Berufen zu sein, steckt darin, mit aller Freiheit, was dies für Sie ganz persönlich bedeutet oder auch nicht bedeutet. Berufen, um zu locken, zu reizen, herauszufordern. Vozierende oder auch: Provozierende sind wir. Von Christus herausgerufen, alte Wege zu verlassen und neue zu finden. Allemal in einer säkularen Welt, in der die meisten nur noch einen gebrochenen Zugang zur Religion haben. Dennoch ist, so glaube ich, die Segenssehnsucht bei jungen Menschen groß. Die Sehnsucht nach Schutz und seelischem Obdach.

Und so haben Sie als Religionslehrer oder Religionslehrerin nicht nur mit dieser Vielfalt zu tun (allein das ja didaktisch nicht gerade eine Fingerübung), sondern auch mit einer großen Verantwortung. Vielleicht ist Ihnen manchmal durch den Sinn gegangen, ob Sie das wirklich wollen? Religion unterrichten, gar berufen sein? Einen Segen zur Vokation? Zumal Sie uns ja vielleicht als Institution Kirche kritisch gegenüber stehen?

Zunächst dazu: Ich bin von Herzen dankbar, dass Sie sich so entschieden haben und dass es Sie gibt. Denn wir brauchen Sie – Sie als Persönlichkeit und Ihr pädagogisches Knowhow, Ihre Expertise, Ihr vielfältiges Engagement, das oft weit über das hinaus geht, was zu erwarten oder zu fordern ist.

Wir brauchen Ihre Lust daran, mit den Erwachsenen von morgen heute die Zukunft zu gestalten. So viel Qualifikation ist hier im Raum versammelt; die Vokation würdigt dies. Zugleich zeigt der biblische Befund: Gott beruft nicht allein die Qualifizierten. Er qualifiziert auch die Berufenen. Und das gibt noch einmal eine ganz neue Perspektive! Denn Jakob war ein Betrüger. Petrus war impulsiv. David hatte eine Affäre. Noah betrank sich. Jona lief von Gott weg. Paulus war ein Verfolger. Miriam war eine Tratschtante. Martha machte sich immer schon zu viele Sorgen. Gideon war unsicher, Thomas ein Zweifler. Sarah war ungeduldig. Moses stotterte. Zachäus war klein. Abraham war alt. Und Lazarus tot. Gott qualifiziert auch die Berufenen!

Ja, Abraham war alt – 75 Jahre, als er ins gelobte Land aufbrach. Wir haben davon eben in der Lesung gehört. 75 Jahre! Allerdings muss man sagen: Angesichts seiner Ahnen mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 330 Jahren war er geradezu im besten Mannesalter.

1Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft in ein Land, das ich dir zeigen will. 2Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“

Und Abraham geht tatsächlich. Aber er geht nicht, weil er es genauso will. Sondern weil Gott ihn beruft und berührt. Nicht er selbst, Gottes Wort bricht auf, was Abraham innerlich festhält: Diese Angst nicht zu genügen. Es nicht zu schaffen.

Sehr lebensnah, oder? Kennen wir ja alle auch. Da bannen uns äußere und innere Barrieren: die Sorge, ob man diesen Stress durchhält. Oder ob man die Schüler:innen erreicht. Oder eigener Liebeskummer. Trauer. Immer noch die Last durch die Pandemie. Geh da heraus, sagt Gott. Geh und sieh zu, dass du Land gewinnst. Du hast so viel zu geben! Du bist gesegnet und dein Leben wird ein Segen sein. Dein Leben! Das heißt ja: Der Segen bleibt. Vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug. Er trägt durch. Der Segen bleibt, wenn der Mensch wird, wächst und vergeht. Der Segen bleibt, wenn der Mensch träumt, zweifelt und denkt, wenn er liebt und begehrt, wenn er rennt und hinfällt, wenn ihm Hören und Sehen vergeht – der Segen bleibt.

Also: Geh, mach dich auf. Und Abraham geht. Er vertraut, dass Gott noch viel für sein Leben bereithält. Und so ist es ja denn auch: Die Geschichte erzählt, wie Sara hochbetagt schwanger wird und einen Sohn zur Welt bringt. Und sie erzählt damit vor allem, dass uns die Geburt von etwas Neuem zu allen Lebzeiten zutiefst bewegen, ja, rühren kann vor Hoffnung. Und sie erzählt, wie das Leben nach vorn gelebt werden will. Deshalb dieses Wort: Ich will dich segnen und du sollst für andere ein Segen sein. Es ist ein Beziehungsgeschehen, das hier gezeichnet wird und das deutlich macht: Gottes Segenskraft bewegt und stärkt mich ganz persönlich, aber nicht, damit diese Kraft bei mir allein bleibt, sondern damit der Segen ausstrahlt und weiter wirkt, von mir an andere weitergegeben wird und sich teilt und teilt.

Und so werden Sie also heute gesegnet, liebe Lehrerinnen, liebe Lehrer. Möge dieser Segen Gottes Ihnen allen dabei Wegzehrung und Stärkung sein, das wünsche ich Ihnen von Herzen. Er möge Sie aufrichten, wenn Zweifel Sie niederdrückt. Ihnen Freude schenken in dem, was Sie tun – denn Sie tun Großartiges. Sie werden Ihren Schülerinnen und Schülern so viel Segen zu geben haben, dass er wiederum weiter getragen wird an die Nächsten und wieder an die Nächsten. Ein weltumspannendes Segensnetz.

Das sind doch Aussichten? Weites Land und tiefe Kraft – und ich schaue euch an und bin gewiss: Der Himmel bist du! Damit Friede werde, höher als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
30.05.2022
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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