Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir
17. Juni 2015
Ansprache in der Andacht zum Auftakt der ersten ordentlichen Generalversammlung der Evangelischen Bank eG
Liebe Gemeinde, sehr geehrte Schwestern und Brüder,
gern bin ich zu Ihnen gekommen. Die Evangelische Bank ist auch meine Bank seit vielen Jahren, obwohl sie erst etwas über ein Jahr alt ist. Hinter dem Firmenschild Evangelische Bank steckt ja auch die gute alte EDG, meine EDG, die auch mein Geld verwaltete und mit einem fröhlichen handgeschriebenen „Mensch, Deine Bank!“ mir und anderen Menschen jahrelang entgegenkam.
I
Wenn zwei Banken fusionieren, dann ist das natürlich zunächst eine Meldung im Wirtschaftsteil der Zeitungen wert: Es geht um Bilanzen, Synergieeffekte usw. Aber bei einer Fusion geht es immer auch um mehr als nur um wirtschaftliche Eckdaten. Es kommen zwei Institutionen zusammen, die ihre je eigene Geschichte und Kultur mitbringen. Und immer, wenn zwei zusammenkommen, sich zusammentun, dann bringen sie auch ihre Familien mit, Verwandtschaft, all jene, die zu ihnen gehören: die Starken und die Schwachen, die Schnellen und die Zögernden. Und immer begleiten Ängste und Sorgen solche Zusammenschlüsse: Wo werden wir bleiben, unseren Patz finden? Werde ich auf der Strecke bleiben? Wird das Große noch genauso vertraut sein wie die Kleinen? Was wird werden mit meiner Geschichte?
Wir haben das erlebt als Nordkirche: Zusammengekommen sind drei ehemals selbständige Landeskirchen: Nordelbien, Mecklenburg, Pommern. Drei ganz und gar unterschiedliche Kulturen. Zwei Landeskirchen mit einer vierzigjährigen Geschichte innerhalb der ehemaligen DDR, eine westliche, große Kirche mit der Metropole Hamburg und den ländlichen Räumen Schleswig-Holsteins. Ost und West, Groß und Klein…
Wir haben versucht, die unterschiedlichen Kulturen so zusammenzubringen, dass die nicht gleichgemacht werden, sondern leben dürfen im Neuen. Die Unterschiede als Reichtum zu erleben, nicht als Störung, das ist eine der Herausforderungen bei Fusionen. Einander wertschätzen. Und wir sind seit nun drei Jahren unterwegs. Immer noch die Verschiedenen. Aber nun als ein Corpus unterwegs. Noch nicht gänzlich eins. Aber schon sehr viel stärker als gedacht am Anfang. Vertrauen zueinander gibt es nicht durch Verträge – so wichtig die sind. Vertrauen wächst, und das braucht Zeit. Braucht Neugier füreinander, für das ganz Andere. Das gilt für Menschen. Das gilt für Institutionen. Das gilt auch für Banken.
Unser Zutrauen damals im Fusionsprozess ist gewachsen nicht durch juristische Verfassungsformulierungen, sondern immer dann, wenn wir einander unsere Geschichten erzählten – dann wächst Vertrauen, Zutrauen, das Gefühl, eins zu sein.
„Mensch, deine Bank!“ – Darin klingt an, dass es um eine ganz persönliche Beziehung geht. Jedenfalls für die unter uns, die sich noch an Zeiten erinnern, als es noch keine Geldautomaten gab, kein Online-Banking, sondern Schalter, Überweisungsträger mit Kohlepapier dazwischen, richtigen Stempeln. Und viele erinnern sich an die Bank, die das erste Auto finanziert hat: an das Herzklopfen, wenn man den Berater aufsuchte, dessen Überlegenheit sich schon damals im feinen Zwirn Ausdruck verschaffte.
Meine EDG besuchte ich, als ich Vikar war, in Kiel im „Raiffeisenhaus“ gegenüber dem Hauptbahnhof. Ein kleiner Schalterraum, mit netten Mitarbeitenden besetzt. Eine Dame mit sehr ernstem Gesicht und unglaublichem, Furcht und Respekt einflößenden Schlüsselbund schritt, nachdem ein entsprechendes Formular ausgefüllt war, zur Tat: Sie öffnete das mit dicken Panzerglasscheiben gesicherte „Paradies“, Ort der Sehnsucht, Herberge des Bargeldes. Und dann zählte sie mit freundlichem Ernst das erbetene Geld vor. Oft war ich dort, später in anderen, immer größer werdenden Domizilen. Immer aber war ich gern gesehen. Und nie war ich nur ein Kunde, sondern immer: Mensch!
Natürlich: Geld ist eben nicht irgendeine Ware, mit der gehandelt wird. Es ist in unserer Welt ein Gestaltungsmittel, auch ein Ausdruck von Wertschätzung. Dass Geld die Welt bewegt – das ist auch ein gefährlicher Satz, einer, der zu Machtausübung einlädt, zu Größenwahn rufen kann. Und so geschieht es ja auch oft genug. Darum ist die Verantwortung einer Bank gegenüber den Einzelnen und gegenüber der Welt so groß: dass Sie mit dem, was ich mir erarbeitet habe, gut umgehen – das traue ich Ihnen zu. Und dass Sie gute Sachen mit dem Geld machen, das Sie sich bei mir leihen – das ist mein Zutrauen, aber auch meine Abhängigkeit. Dazu ist es gut, dass man sich kennt, dass man weiß, wo und wie meine Bank tickt, was sie plant, was sie sich vornimmt – aber auch, was sie ausschließt. Und: worauf sie baut.
Gleich nach dieser Andacht werden Sie sich mit Zahlenkolonnen, Bilanzen und dem Jahresbericht beschäftigen, aber eben erst nach dieser Andacht. Das drückt aus, dass Sie von etwas anderem herkommen als Zahlen und Fakten. Dass etwas anderes am Anfang ihres Handelns steht. Verschiedene Kulturen sind zusammengekommen. Aber da gibt es einen Rahmen, eine Bezugsgröße, die Ihnen gemeinsam ist: das Wort Gottes, seine Gebote und sein Evangelium sind Leitgrößen Ihres Handelns. Sie sind Teil des Leibes Christi. Sie als Evangelische Bank sind Teil der Kirche, so wie ein diakonisches Unternehmen es auch ist, das gut aufgestellt sein muss, und das auch kann, weil es von woanders herkommt: vom Glauben, von Gottes Wort, das uns Kraft und Maßstäbe gibt, und von dem einen Auftrag, das Evangelium zu verkündigen in Wort und Tat. Dem fühlen Sie sich verpflichtet. Das steht in ihrem Leitbild auf der Homepage. Dort heißt es: „Christliche Werte leiten uns in unserem Handeln. Wir pflegen einen vertrauensvollen, wertschätzenden und offenen Umgang mit unseren Mitgliedern, Kunden und Mitarbeitern. Ein respektvolles und ehrliches Miteinander ist für uns selbstverständlich. Wir gehen achtsam mit uns selbst, dem Anderen und der Umwelt um. Hilfsbereitschaft und Solidarität sind unsere Basis für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit.“ Das macht Sie zu einem „ganzheitlichen Finanzpartner im kirchlichen, diakonischen und sozialen Netzwerk sowie für alle Menschen, die sich mit diesen Werteansätzen identifizieren“ heißt es weiter.
Das setzt Sie unter besondere Maßstäbe, unterscheidet Sie von anderen Banken und verlangt von Ihnen im Umgang mit ihren Kunden oder unter dem Gesichtspunkt ökologischer Verantwortung, andere Wege zu gehen. Dieser Herausforderung wollen Sie sich stellen. Das spricht deutlich aus dem Jahresbericht 2014.
Der Weg, den sie einschlagen, hat zu tun mit Gemeinschaft. „Gemeinsam mehr erreichen“ ist das Leitwort Ihres Berichts und wohl auch die Maxime ihrer Fusion gewesen. Sie greifen damit in leicht veränderter Form einen Wahlspruch auf von Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) – dem „Banker der Barmherzigkeit“, - der an prominenter Stelle auch in ihrem Bericht steht: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“
Wohl niemand hat in Deutschland eine größere Wirkung als Anreger genossenschaftlicher Projekte aus christlicher Motivation entfaltet als dieser Mann. Raiffeisen war von 1845 bis 1865 Bürgermeister in verschiedenen Gemeinden im Westerwald. Dort linderte er die soziale Not der ländlichen Bevölkerung durch die Einrichtung von Darlehnskassen und Genossenschaften. Nach seiner Pensionierung entfaltete er eine rege publizistische Tätigkeit, um für seine Idee zu werben, Armut durch Gemeinschaft, durch solidarisches Handeln zu bekämpfen.
Er hatte Zeit seines Lebens enge Beziehungen zu protestantischen Gruppen und Freundschaften mit evangelischen Geistlichen gepflegt. Dies gilt für die Kindheit und Jugendzeit, die er in einem religiös orientierten Freundeskreis verbrachte, und auch für seine spätere Tätigkeit als Bürgermeister in verschiedenen Gemeinden. Dort stand er im engen Kontakt mit den evangelischen Pfarrern, die seine sozialreformerischen Aktivitäten aktiv unterstützten: den Aufbau von Wohltätigkeitsvereinen, die Einführung von solidarischen Darlehenskassen und andere genossenschaftliche, gemeinwohlorientierte Projekte. Das war „Sozialer Protestantismus“, der zur Tat schritt. Raiffeisen war durch eine Frömmigkeit geprägt, die auf eine ,,praxis pietatis" zielte, ein verantwortliches Handeln aus biblischem Glauben heraus.
„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“. Genau das war das Vertrauen, das der 139. Psalm zum Ausdruck bringt, das Raiffeisen trug, auch durch schwere Krisen hindurch: den frühen Tod seines Vaters und den ebenso frühen Tod seiner Ehefrau. Das trug und trieb ihn.
„Jeder hat etwas, das ihn antreibt“. Mit diesem Slogan werben heute die Volks- und Raiffeisenbanken. Das ist doch etwas weiter weg von ihrem Erfinder. Eine Leerformel ist das. Oder eine Gleichung mit einer Unbekannten – in die kann man alles einsetzen: Mich treibt an „x“ – das mag mein Ehrgeiz, meine Gier, meine Frau sein – was auch immer. Bloß niemandem zu nahe treten, bloß niemanden vergraulen. Alles offen lassen. Das ist typisch für die heutige Welt. Glauben ist Privatsache.
Raiffeisen sah das anders. Für ihn führte der Glaube in gesellschaftliche Verantwortung. Und er wusste genau, was ihn antrieb: Der Gott der Bibel, der in Jesus konkret wird, nicht groß und abstrakt, sondern zum Anfassen da ist. Da ist einer, der lebte wie wir, der aß und trank und feierte. Und da ist auch einer, der ließ die – angebliche – Realität nicht so, wie sie ist. Jesus veränderte sie. Machte etwas mit ihr. Er akzeptierte Außenseiter, richtete Gedemütigte auf, sprach Armen und Rechtlosen Würde und Recht auf Einkommen zu. Und er nahm sie alle in die Gemeinschaft mit sich auf.
II
„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“. Dankbar dürfen wir sein, dass Gottes Liebe und Barmherzigkeit Hand und Fuß hat in dem Menschen Jesus. Zuversicht spricht daraus, dass Gott sich immer finden lassen wird, in Worten, die trösten und befreien. In der Geschichte Jesu. In seinem Tod und seiner Auferweckung von den Toten, in die wir hineingenommen sind, damit wir darauf vertrauen können: Im Leben und im Sterben sind wir in Gottes Hand geborgen.
Einmal sagte mir einer: Ich finde es irgendwie verrückt, damit zu rechnen, dass da ein Gott am Werke sein soll, den niemand sehen und beweisen kann. Ich sage: Ich würde verrückt werden, wenn ich nicht damit rechnen könnte, dass da noch eine Hand ist, die größer ist als meine; würde verrückt werden, wenn tatsächlich alles allein in menschlicher Hand läge.
Gottes Hand inmitten unserer vielen Hände, der rechten und der linken, inmitten unserer Behändigkeit und Unhandlichkeit – das ist die Quelle aller geistlichen Kraft und aller Glaubenszuversicht, wie Martin Luther sagt: „Hier siehst du, wie die rechte Hand Gottes das Herz aufrichtet und mitten im Tode tröstet...“
Gottes Hand ist es, die mich und unsere Gemeinschaft zusammenhält. Aber das ist kein Grund, dass wir unsere Hände in den Schoß legen. Im Gegenteil. Wir können und sollen Gott zur Hand gehen. Wir Christenmenschen haben einen Auftrag, eine Mission: Faltet die Hände zum Gebet! Und zugleich: Packt an! Das Beten und das Tun des Gerechten zusammen bringt uns in Bewegung hin zu Gottes Reich und zu seinem Frieden für die Welt.
III
Aber wie kann das geschehen in einer Welt ökonomischer Wertschöpfungsketten, die genauso komplex wie schwer zu steuern sind und in denen immer Gefahr besteht, dass der Einzelne bloßes Mittel zum Zweck wird. Gerade weil diese Prozesse durch betriebs- und volkswirtschaftliche Erkenntnisse effizienzorientiert gelenkt werden müssen, gerade deshalb muss genauso deutlich gemacht werden, dass die Welt der Wirtschaft kein ethikfreier Raum ist. Gerade weil alles ökonomische Handeln seinen Preis hat, muss immer wieder betont werden, dass jeder Mensch einen unveräußerlichen Wert besitzt. Darum muss miteinander verbunden werden, was wirtschaftlich sachgemäß und was gut für den Menschen ist. Aber wie lässt sich das ökonomisch Sachgemäße mit dem Menschengerechten verbinden? Wie kann unser Wirtschaften wirklich lebensdienlich sein?
Der große evangelische Wirtschaftsethiker Arthur Rich – ein Schweizer – also einer aus dem Land, wo der Kapitalismus gewissermaßen aus dem Geiste des Protestantismus geboren wurde durch Jean Calvin und seine Gefolgsleute, wie wir wissen durch Max Webers klassische Studie. Artur Rich hat den Zusammenhang, der uns gelingen muss, in einer klassischen Formel zum Ausdruck gebracht: „dass nicht wirklich menschengerecht sein könne, was nicht sachgemäß ist, und nicht wirklich sachgemäß, was dem Menschengerechten widerstreitet“. Um diese Verbindung müssen wir immer wieder ringen, müssen sie mit Unternehmern und Führungskräften diskutieren, genauso wie mit Mitarbeitern und Konsumenten – denn die Wirtschaft, im Guten wie im Schlechten, das sind wir alle, samt den Strukturen, die wir schaffen. Die sind aber kein von uns geschaffener Moloch, kein Leviathan oder Golem, der einmal erzeugt seinen eigenen Gesetzen gehorcht und statt beherrscht zu werden uns tyrannisiert. Nein, Wirtschaft, das sind wir alle zusammen mit den Wirtschaftsformen, die wir schaffen und auch wieder, so schwer es auch ist, verändern können. Wirtschaft – das ist eine Kulturleistung des Menschen, eine sehr hohe und eine sehr riskante. Das ist eine Herausforderung, gerade für Sie! Die müssen wir erfolgreich gestalten. Da reicht es nicht zu sagen: ich hab’s versucht – aber leider vergebens. Das müssen wir packen mit Gottes Hilfe.
IV
Zu den Risiken dieser „Kulturleistung Wirtschaft“ gehört unsere Neigung, den Markt und seine Mechanismen zu einer Ersatzreligion zu machen. „Freier Markt“, „globaler Markt“ – das sind in unserer Gesellschaft für viele unantastbare Sphären und das Vertrauen, was darin gesetzt wurde, war nahezu grenzenlos. Und wenn man diesen Bezirk heiligt (weil das Herz dran hängt) und vergottet, dann muss man sich nicht wundern, dass jene, die im Allerheiligsten dienen, sich selbst für heilig, unantastbar, unfehlbar, unbegrenzt halten und entsprechend handeln! Das ist deren Verantwortung, na klar! Aber: auch wir selbst haben sie so verkommen lassen, weil wir mit Ehrfurcht auf das Heilige zu schauen gelernt haben, auf den Bezirk, der sich unserer Vernunft und Einsicht entzieht, wie alles Heilige das tut.
Es gibt sogar eine eigene Liturgie dafür: Die Minuten in „Tagesschau“ oder „heute“, in denen live von den Börsen über den aktuellen Stand von DAX oder Dow Jones berichtet wird, haben fast Verkündigungscharakter bekommen und werden fast selbstverständlich mehr oder weniger bewusst von vielen Zuschauerinnen und Zuschauern hingenommen, ja, akzeptiert. Die kurzen Sequenzen live von der Börse, die Franz Zink und seinen Kolleginnen und Kollegen gehören, läuten den Abend ein wie die Glocken am Sonntag zur Kirche und symbolisieren: Da spielt sich etwas Bedeutsames ab, etwas, was die Gesellschaft, mein Umfeld, mein Leben bestimmt. Inhaltlich muss das gar nicht stimmen, die wenigsten werden in die Aktien investiert haben, die gerade einen Höhenflug erleben oder sich im freien Fall befinden. Doch diese Inszenierung des „Börsen-Thermometers“ hat natürlich ihre Wirkung – und die heißt: Hier passiert etwas, was dich angeht, was dich unbedingt angeht.
Das, was dich unbedingt angeht, hat der Theologe Paul Tillich auch die Erfahrung des Religiösen genannt. Und darum ist meine Kritik an solcher inszenierten Bedeutsamkeit des Marktes eine grundsätzliche, fundamentaltheologische Kritik an dem Wertekanon, der hier zum Ausdruck gebracht wird. Notwendig ist diese Kritik an der sich ausbreitenden, theoretischen und praktischen Reduktion des Menschen auf seine Identität als homo oeconomicus, auf ein Wesen, das sich in seinem Handeln einem auf Leistung und Gewinn fixierten Maßstab unterworfen hat. Und das darum anfällig ist für Einflüsterungen und Heilsversprechen aller Art. Wenn Geiz geil ist: dann ist Gier die einzig angemessene Lebensweise, die daraus folgt!
V
Christliches Engagement in der Wirtschaft, sei es als Wirtschaftspraktiker sei es als Wirtschaftskritiker, gründet auf einem anderen Menschenbild, beruht immer auf der fundamentalen biblischen Aussage: Gott schafft den Menschen zu seinem Bilde. Das meint: Gottebenbildlichkeit. Das heißt: Jede und jeder hat einen unverfügbaren Wert. Gerade weil die globalisierte Wirtschaft die Tendenz hat, alles zu ökonomisieren und über alles zu verfügen, müssen wir uns für den Einzelnen und seinen Wert, für seine Unverfügbarkeit einsetzen, müssen wir eintreten für Gerechtigkeit, Solidarität, friedliche Konfliktlösung und Bewahrung der Schöpfung. Vor Gott gilt noch eine andere Form der Wert-Schöpfung: die, die aus dem Teilen der Fülle wächst, die uns geschenkt und anvertraut ist!
Wir Christen sind Mitarbeiter Gottes an seiner Schöpfung. Und wenn wir von Gerechtigkeit und Solidarität in ihr sprechen, dann sind wir von einem Bild geleitet, von Gottes Bild dieser Welt, wie er sie will: Wo alle an einem, an seinem Tisch sind. Lebend von dem, was er gibt. Teilend das, was er schenkt. Es geht um das, was uns unmittelbar angeht, was unser Leben wirklich trägt und hält. Es geht um das, was wir brauchen, dessen wir bedürfen: Nähe zu Gott, Freude, Speise, Gemeinschaft bei ihm und untereinander. Jesus hat davon in Bildern erzählt, in Bildern vom Reich Gottes. Zum Beispiel vom großen Gastmahl, bei dem alle zusammenliegen. Alle. Nicht nur die Frommen , Fleißigen und Fitten. Alle. gerade und zuerst auch die Mühseligen und Beladenen, jene, die nicht fit für den ersten Arbeitsmarkt sind oder keinen qualifizierten Schulabschluss schaffen. Und Gott selbst ist der Gastgeber bei diesem Fest aller.
Gott lädt uns ein zu seinem Fest. Das ist ein Bild, ein starkes Bild für einen Begriff, der in dieser Zeit bei uns die Runde macht: „Willkommens-Kultur“! Das ist es, was wir brauchen in dieser brennenden, sehnsuchtsgefüllten Welt, die hungert nach Frieden und Gewissheit. Willkommens-Kultur, das ist so etwas wie Unternehmens-Kultur – jetzt aber für ganze Gesellschaft und mit Blick auf jene, die draußen vor der Tür stehen. Und Christen in der Nachfolge Jesu, die können das, die können Willkommens-Kultur leben. Weil es zu unserem Auftrag als Kirche, zu unserem Innersten gehört, weil wir uns so buchstabieren. Da, wo das Wort Gottes verkündigt wird, entsteht Gemeinschaft, die Fremde aufnimmt, sie beheimatet, weil sie diesen Auftrag zur Integration um Gottes Willen lebt. Da sind wir als Christen gebunden an Gottes Wort und nicht frei, Fremde nicht aufzunehmen – aber wir sind befreit, sie zu schützen. Dann bleiben wir Volks-Kirche, auch als Minderheit, weil wir dem ganzen Volk dienen, allen, die hier sind, hier ankommen – oft als Gestrandete. Das ist unsere Dienst-Leistung, unser Dienst an Jesu statt. Den wir so tun, dass er Menschen erreicht, sie berührt. Das ist die Wertschöpfung, die Jesus, die Gott von uns will, zu der er uns – das ist das Erste und Entscheidende – zu der er uns befähigt. Denn es gilt: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ So lässt Gott Vertrauen wachsen. Dieses Gottvertrauen, das Raiffeisen durch sein Leben trug – und antrieb, Dinge nicht so sein zu lassen, wie sie sind, so ungerecht, so verletzend, so Lebenschancen nehmend.
Ein Wirtschaftsethiker hat es in diesen Worten formuliert: Dinge verändern sich, wenn wir anfangen, „anständig Geld zu verdienen“. In dieser Doppeldeutigkeit von „anständig Geld verdienen“ kommt beides zusammen: ein realistischer Blick auf Ökonomie und das, was Menschen motiviert – und ernst zu nehmen, was Menschen wirklich brauchen. Darum geht es.
Wenn ich als norddeutscher Theologe mich frage: Was heißt das – anständig Geld verdienen? Dann fallen mir Thomas Mann und seine „Buddenbrooks“ ein. Genauer, der alte Konsul Johann und sein weiser Rat an die Nachgeborenen, die die Firma übernehmen sollen: „Mein Sohn“, so der Alte: „Sey mit Lust bei den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können.“
Wir wissen es aus dem Roman: Die Geschichte geht nicht gut aus! Thomas Buddenbrook und sein ökonomisches Alles-oder-Nichts-Spiel endet mit dem Wechsel auf das Korn, das noch auf dem Halme steht. Das Unglück kommt als Gewitter daher – alles geht verloren. Ein grandioses Scheitern – allemal! Eine Geschichte des Verfalls im großen Stil… Aber – spricht das alles gegen den Rat des alten Konsuls Johann: „Sey mit Lust bey den Geschäften bei Tage, aber mache nur solche Geschäfte, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können!“ Nein, doch wohl nicht – meine ich.
„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“. Dieses Wort von Dietrich Bonhoeffer bleibt Verpflichtung für uns alle: Auch kirchliche Unternehmen und kirchennahe Unternehmen wie die Evangelische Bank sind immer Teil der Kirche für andere! Sind dienende Kirche, diakonische Kirche. Eine Kirche, die die Menschen im Blick hat. „Mensch, Deine Bank!“ Das ist es. Bleiben Sie diesem Markenzeichen treu auch in anderem, größerem Gewand. Seien Sie Teil der Kirche, die für andere da ist, weil Gott für uns da ist. Man kann auch als Bank teilhaben an dem einen Dienst, den der Herr seiner Kirche auferlegt: dem der Verkündigung nämlich.
Gott zur Hand gehen, das heißt, das in die Hand zu nehmen, was getan werden kann, um Gerechtigkeit und Menschenwürde zu verwirklichen. Wir können Gott nur zur Hand gehen, wenn wir uns Gott in die Hand geben. Wenn wir Jesus Christus vertrauen und uns von ihm leiten lassen. Wenn wir fröhlich in Hoffnung sind, geduldig bei komplexen Fragen, bei komplizierten Bilanzen und voller Zuversicht, dass Christi Wort sich immer wieder bewahrheitet: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Amen.