16. April 2017 | St. Johannis-Kirche Neubrandenburg

Von Ostern her Kraft finden, dem Leben zu dienen

16. April 2017 von Christian Meyer

Predigt zu Joh. 20,11-18 im Ostergottesdienst

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

Das Osterevangelium des Johannes steht ganz im Zeichen Maria Magdalenas – der Frau, die Jesus so viel zu verdanken hatte. Krank an ihrer Seele war sie gewesen. Jesus hatte sie da herausgeholt: Er sah in ihr nicht die Besessene. Er sah in ihr Maria.

Nun war sie ans Grab gelaufen und hatte es leer gefunden. Ganz allein stand sie da, voller Trauer. Nicht nur den geliebten Menschen hatte sie verloren – ein ganzer Lebensentwurf war zu Bruch gegangen: Mit ihm waren sie umher gezogen, hatten vom Reich Gottes geträumt – ach, was sage ich, „geträumt“! Gelebt und erlebt hatten sie es an seiner Seite. Unglaubliche Dinge waren geschehen – Menschen waren heil und gesund geworden unter seinen Händen und Worten.

Aus und vorbei, alles durchkreuzt durch das grauenvolle Sterben! So steht sie da und weint. Durch den Schleier ihrer Tränen sieht sie in der Grabeshöhle zwei Engel, Boten Gottes. Aber Maria ist noch ganz gefangen vom Unwiderruflichen: Jesus ist tot. Keine Hoffnung blitzt da auf: „Weggenommen, weggetragen“ – das ist alles, was ihr in den Sinn kommt angesichts des leeren Grabes. Wer heute meint, die Anhänger Jesu hätten ihre Auferstehungshoffnung so lange in die Realität hineinprojiziert, bis sie glaubten, dem Auferstandenen begegnet zu sein, der hat hier zu erkennen: Nichts war da von solcher Hoffnung – nur Verzweiflung, nur bittere Tatsachen. In ihrer Trauer erkennt Maria Magdalena nicht einmal ihren geliebten Jesus – sie hält ihn für den Gärtner: „Hast du ihn weggetragen?“

Aber dann, auf einmal erkennt sie ihn – nicht, weil sie ihn besser sieht, nicht am Klang seiner Stimme, sondern weil er sie bei ihrem hebräischen Namen ruft: „Mirjam!“ In diesem einen Wortes leuchtet die Geschichte auf, die sie mit diesem Mann erlebt hat – und sie weiß: Er ist es! Er, der schon immer in ihr die Maria gesehen hatte, wo andere nur die Besessene vor Augen hatten. Es ist der Rabbi, der Meister, der Lehrer, der so spricht.

Es ist wie in den Tagen der Kindheit: Da hat man sich am Strand verlaufen und findet nicht mehr zurück. Ein furchtbares Gewimmel von Menschen, aber kein vertrautes Gesicht ... Namenloses Entsetzen steigt auf, Panik ... bis endlich die Stimme der Mutter einen beim Namen ruft, und man weiß: ‚Jetzt ist alles gut.‘

Schwestern und Brüder, solch einen Gott glauben wir, der uns kennt und uns zusagt:

„Fürchte dich nicht.
Denn ich habe dich erlöst.

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.
Du bist mein."

Mirjam erkennt den auferstandenen Christus, und alles in ihr sehnt sich danach, ihn zu umarmen, ihn wenigstens zu berühren. Doch Jesus entzieht sich ihr: „Halte mich nicht fest! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“

Eben noch unverhoffte Nähe – nun Abstand, der geachtet werden soll: Die Begegnung mit dem Christus bleibt in der Schwebe, die Wirklichkeiten durchdringen einander:

- Es ist Jesus, der Vertraute – und doch ist er nicht der Alte. Auferstehung ist Verwandlung: Man kann sich nicht so begegnen wie bisher – eine neue Beziehung will wachsen.

- Liebe sehnt sich nach Dauer, nach Verweilen, aber Maria muss verstehen: ‚Du darfst mich nicht festhalten wollen. Meine Bestimmung ist der Weg zu Gott. Und dieser Weg ist auch eure Bestimmung.‘

Vielleicht kennen wir das aus unserer Beziehung zu Gott: Da hast du gefragt, gesucht, gezweifelt, gehofft – und endlich: Ein Moment der Erfüllung! Ein Verstehen! Ein Gefunden-Haben! Ein Stück Gewissheit! Du möchtest halten, festmachen, nie wieder los lassen, aber das geht nicht: Gott kannst du nicht ‚haben‘ – nach der Art: „Wunderbar – hier lasst uns Hütten bauen! Hier richten wir uns ein mit ihm!“

Mit Gott leben heißt, unterwegs zu sein. „Nachfolgen“ ist ein Bewegungswort. Es gehört zu Gott, sich uns immer wieder auch zu entziehen. So bleiben wir wach und lebendig in unserer Beziehung zu ihm, erliegen nicht der Macht der Gewohnheit, lassen nicht Gott, den Lebendigen, zum ‚stummen Diener’ verkommen.

Doch gerade der sich entziehende Gott ist es, der in unser Leben kommt, dem wir begegnen können. Maria erlebt genau dies: Der unverhofft nahe Christus entzieht sich ihr und verweist sie auf den Weg, den sie alle – Jesus, Maria, die Frauen und Männer um Jesus – vor sich haben, den Weg zum Vater. Das macht Maria zur Botin. Sie geht zu den andern und sagt ihnen, was ihr widerfuhr.

Liebe Gemeinde, den Christus zu suchen ist die entscheidende Bewegung, aus der alles andere entsteht: So war es am Ostermorgen für Maria Magdalena. So ist es in unserem persönlichen Leben wie im Leben unserer Kirche. Nach Christus zu fragen, die Beziehung zu ihm nicht aufzugeben, sondern auf jeder Stufe unseres Lebens ihn neu zu entdecken, zu gewinnen, zu lieben – darauf kommt es an.

Auch die Erneuerung unserer Kirche wird im Suchen des Christus ihren Ursprung haben – oder es wird keine Erneuerung sein! Vielerlei wird von den Kirchen heutzutage erwartet: Werte sollen sie vermitteln, soziale Bindekräfte im Gemeinwesen stärken, gesellschaftliche Missstände anprangern, verantwortungsvolles Handeln im Namen einer letztgültigen Instanz anmahnen, in alledem glaubwürdig leben ...

Alles nicht verkehrt – wenn es denn daraus hervorgeht, Jesus, den Christus, zu suchen, und das mit Leben zu erfüllen, was er uns zugesagt hat: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Unter diesem befreienden Wort können wir erkennen:

Es geht nicht an, dass immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben, weil ihre Seele der zunehmenden Arbeitsverdichtung nicht gewachsen ist. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze für Menschen, die den üblichen Anforderungen nicht gewachsen sind. Sie sollen Aufgaben finden, die ihren Gaben und Kräften entsprechen, sie aufatmen lassen und ihnen erlauben, sich nach ihren Fähigkeiten einzubringen. Auch sie sollen leben.

Widerstehen wir den Versuchen, Menschen gegeneinander aufzuhetzen! Unsere Gesellschaft, auch Europa lebt von einer konstruktiven Streitkultur und von Zusammenhalt. Dafür braucht es auch unsere Gebete, damit Besonnenheit und Friedenfertigkeit an Kraft gewinnen. Bleiben wir zurückhaltend gegenüber einer Politik militärischen Eingreifens! Denn die Ursachen von Terror und kriegerischer Gewalt werden nicht auf diesem Wege überwunden. „Selig sind, die Frieden stiften“, hat Jesus gesagt und es uns vorgelebt.

„Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Für mich heißt das heute auch: Überprüfen und korrigieren wir die Abschiebepraxis in unserem Land!

Ja, wir kommen zurzeit nicht ohne Abschiebungen aus. Aber andere Bundesländer machen gute Erfahrungen mit intensiver Beratung zur freiwilligen Rückkehr: Das verringert Härten und spart sogar Kosten.

Nach meinem Eindruck brauchen wir auch dringend rechtliche Bleibe-Regelungen für Menschen, die schon jahrelang bei uns leben und sich gut eingefügt haben. Oft arbeiten sie in Berufen, in denen Fachkräfte gesucht werden.

Schließlich: Bei allem Verständnis für politische Sachzwänge – wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit als eine der Menschlichkeit verpflichtete Gesellschaft, wenn wir Länder wie Afghanistan zu sicheren Staaten erklären. Ich werbe für ein Aussetzen der Abschiebungen dorthin. Dabei weiß ich, dass es auch an der Haltung von uns Bürgerinnen und Bürgern liegt, ob politisch Verantwortliche den Mut zu solchen Schritten finden.

Christus zu suchen, in seinem Sinne zu leben und zu wirken – das kann sehr konkret werden. Manche von Ihnen werden eher an Anderes denken:

- an Menschen, die einem in der Familie oder zu besonderer Fürsorge anvertraut sind und unsere Nähe brauchen, oder
- an Christinnen und Christen, die in vielen Teilen der Welt unter Verfolgung leiden und auf unsere Solidarität angewiesen sind, oder
- an den Hunger in Afrika, gegen den wir etwas tun können ...

Was uns auch in den Sinn kommen mag – es ist gut, Christus für unsere Zeit verstehen zu wollen. Wir sind dazu in der Lage. Vor allem wird es uns gelingen, wenn wir uns durch Christus in die Liebe zu Gott führen lassen. Gott zu lieben – das vornehmste Gebot! Mehr noch – die schönste Sache der Welt:

- ihn besser und besser kennen zu lernen,
- ihn tiefer zu verstehen,
- sich bergen zu können im Frieden, den er schenkt,
- sich anstecken zu lassen von der Sehnsucht nach Gottes Reich und seiner Wirklichkeit mitten unter uns,
- zu wachsen im Vertrauen auf ihn, den einzig tragfähigen Grund, den Quell aller Lebendigkeit ...

Aus der Suche nach Christus heraus werden wir uns erneuern – wenn wir es lernen, uns ganz auf ihn zu verlassen: Uns dahin führen zu lassen, wo er uns braucht; beweglich zu werden für das, was sich Christus von uns erhofft, unter den Menschen, mit denen wir leben. . .

Zu alledem gibt uns Ostern die Kraft und die Freiheit. Nicht der Tod ist der Generalnenner unseres Lebens, sondern Gott, der uns Hoffnung schenkt. Maria Magdalena aber ging und verkündigte den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen“, und was er zu ihr gesagt hatte.
Amen.

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