31. Mai 2012

Vortrag von Bischöfin Kirsten Fehrs zum Jahresempfang der Evangelischen Stiftung Alsterdorf am 31. Mai 2012

31. Mai 2012 von Kirsten Fehrs

Einleitung Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Impuls soll mein Vortrag sein. Und als ich nach einem Impuls für den Impuls fragte, wurde mir der Claim von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf nahe gelegt. Ob ich mich nicht damit beschäftigen könnte – und ich muss sagen: Das hat mir riesige Freude gemacht. Ich danke also insofern nicht nur für die Einladung zu diesem „Sommer“empfang, sondern besonders für die Gelegenheit, Ihrem Impuls den meinigen zur Seite zu stellen. Denn Sie haben wunderbare Begriffe gefunden, die eine auf den ersten Blick ungeahnte Tiefe gewinnen, wenn man sie mit Bildern des Lebens verbindet. Und genau dies möchte ich mit meinem Vortrag tun.

„Menschen sind unser Leben“: Diese Überschrift haben Sie sich für Ihre Arbeit und für Ihr Selbstverständnis gegeben. Und ich gebe zu, im ersten Moment habe ich etwas gestutzt. Natürlich, das ist doch selbstverständlich, habe ich gedacht. Der Mensch steht im Mittelpunkt diakonischen Handelns. Und genau deshalb steht es da, meine ich. Denn es führt einen dazu, weiter zu fragen. Biblisch verdichtet in diesem schönen Psalmwort: Was ist der Mensch, Gott, dass du seiner gedenkst? Und weiter gefragt: Was ist der Mensch, dass wir seiner gedenken, wie Gott es will? Was ist er oder sie, dass wir ihn und sie liebkosen und behutsam pflegen, loslassen und auffangen, ihn gehen lassen und aufrichten, ihn fragen, woher er kommt und wohin er kommen will? Der Slogan führt dazu, das Selbstverständliche neu zu befragen. Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wahr zu nehmen und diese Verschiedenheit schön zu finden.

Also noch einmal ganz neu drauf geschaut: Was ist der Mensch?
Ein Kind, ich weiß nicht, woher, hat dazu einen sehr weisen Text verfasst. Und diese Einsichten mag ich Ihnen ob des grandiosen Humors einfach nicht vorenthalten…

„Der Mensch zerfällt in zwei Teile. Der Kopf geht vom Hut bis zum Hals, dann kommt das Oberteil. Das geht vom Hals bis zum Nabel. Der Nabel ist ein kleines Loch im Bauch, wo man den Dreck so schlecht rauskriegen kann. Dann kommt das Unterteil. Das geht vom Nabel bis zur Erde. Unten sind Füße befestigt.… Inwendig ist der Mensch hohl, damit Luft  rein kann und Essen und Trinken. ... Man hat dicke und dünne Menschen. Auch krumme und welche mit Schweißfüßen. Der Mensch ist über die ganze Erde zersplittert, auch in Amerika. … Es gibt gute und schlechte Menschen. Viele schlechte Menschen nennt man ein Menschengeschlecht. … Der Mensch hat vier Backen, zwei davon halten sich im Gesicht auf. …Der Mensch hat viele Eigenschaften. Wenn man ihn kitzelt, muss er lachen. Wenn man ihn ärgert, ist er grimmig, und wenn er krank ist, muss er ins Bett. Die Hauptsache am Menschen ist der Kopf. Darum hat er ihn auch nötig. Wenn er zwei Köpfe hat, nennt man ihn siamesische Zwillinge. Der Teil, wo die Augen schwenkbar gelagert sind, nennt man Gesicht. … Der Mensch kann alles. Häuser bauen, Klavier spielen, Holz klein machen, Zeppelin bauen. Er kann sogar mit den Ohren wackeln. … Wenn der Mensch groß ist nimmt er sich eine Frau die er liebt. Er muss dann irgendwo hin, das nennt man Standesamt. Dort bekommt er einen Schein, damit kann man Kinder wie mich kriegen. Und dann ist der Mensch glücklich!“ (Quelle unbekannt)

Da kann man nur sagen: Lückenloser lässt sich die Vielfalt menschlicher Existenz kaum darstellen. Und wie eine Ouvertüre tippt dieser Text all Ihre fünf Leitbegriffe an, die in ihrem Zusammenspiel geeignet sind, das Ganze des Menschlichen zu beschreiben:
Selbstbestimmung, Haltung,  Buntheit, Augenhöhe und eben Lebensfreude!
Nun denn:

(1) „Selbstbestimmung: Jeder Mensch soll über sein Leben selbst bestimmen können.“ 
- Bild: Babyfaust

Mein Bild aus dem Leben dazu: Die Faust eines Babys. Kraftvoll, energisch, instinktiv – und unglaublich faltig. Schauen wir sie uns an. Es ist, als würde unsere Lebensspanne von der Geburt bis zum Tod in eins „zusammen- gefasst“. Hier bin ich!, sagt die Faust. Von der Kindheit bis zum Alter symbolisiert sie Durchsetzungskraft, Willen, Bestimmtheit. Und all dies, so unser christliches Menschenbild, kommt nicht aus uns heraus.  Wir haben die Fähigkeit und den Auftrag, über uns selbst bestimmen zu können, zugesprochen bekommen. Als Ebenbilder Gottes sind wir frei, ermutigt zur Selbstbestimmung, heißt es im Römerbrief. Als Kinder Gottes. Was für ein Bild! Vom Mutterleib an geschaffen mit unzähligen Gaben sind wir belebt vom Atem, vom Geist Gottes und deshalb sind wir heilig. Unantastbar. Jede und jeder. Es ist der erste Artikel nicht nur des Grundgesetzes. Sondern unserer Religion.
Die Geschöpfe Gottes sind in ihrer Würde unantastbar. Nicht zur Zerstörung freigegeben. Wir sind Kinder Gottes, und deshalb frei von knechtendem Geist. Wir sind befreit davon, entwürdigend und abwertend zu sein, anderen oder auch mir selbst gegenüber.
Wir sind frei, weil Gott es ist, der jedem einzelnen Mensch seinen Wert verleiht – aus Gott selbst heraus, und das heißt: unabhängig von Geschlecht, Handicap, unabhängig von gesellschaftlichem Ansehen oder individuellen Vermögen. Inklusiv eben in jeder Hinsicht. Die Rechtfertigungslehre setzt die Barrierefreiheit Gottes fort: Nicht unsere Leistung, nicht was wir erwirtschaften und uns erarbeiten entscheidet über unseren Wert. Sondern Gott spricht ihn zu. Theologisch gesagt: Allein aus Gnade lebt der Mensch. Und diese Gnade ist maßlos, weit wie das Meer. Jeder einzelne Mensch ist deshalb mit seinen je eigenen Grenzen grenzenlos wertvoll, darauf angelegt, dies auch maßlos freundlich dem Nachbarn zu unterstellen und ihn entsprechend zu würdigen. 

Ich gebe zu, ein Perforceritt durch die wesentlichen Grundlagen christlicher und evangelischer Theologie. Doch sie sind wichtig für diesen Impuls, und deshalb hole ich nur an dieser Stelle etwas weiter aus.  Denn aus ihnen folgt: Selbstbestimmung ist immer auch Mitbestimmung. Der oder die Einzelne ist geschaffen für eine Gemeinschaft, die alle zu ihrem Recht kommen lässt. Auch das ist schon schöpfungstheologisch angelegt: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde und siehe er schuf sie als Mann und Frau. Nicht allein die Gleichheit, auch die Differenz, das Unterschiedlich-Sein ruht in Gott selbst. Und das verlangt nach Beziehung, nach Inklusion. Der Mann, die Frau wird zum Menschen im Verhältnis, im Gegenüber zum anderen. Identität entsteht aus dem Dialog. Und voilà: Im Dialog braucht es das Du,  dass ich „Ich“ sage. Selbst die Stimme erhebe. Eigenwillig. Interessiert. Als Frau. Als Mann. Als junger, als alter Mensch. Mit dem ersten Schrei und dem letzten Wort. 

Und dann schauen wir auf die Falten der Faust als Zeichen der Vergänglichkeit – und wie man manchmal das Bedürfnis hat, sich festzuhalten. Weil wir erfahren: Manchmal gibt es keine Worte mehr. Gerade im Umfeld der letzten Dinge des Lebens erreicht einen immer eine eigentümliche Stille. Die Unbeschreiblichkeit macht sprachlos. Das erledigt sich auch nicht durch wortreiche ethische Diskussionen. Letztere werden ja derzeit ausgiebig. geführt. Selbstbestimmtes Sterben ist das Stichwort, wobei eigentümlicherweise immer mehr ins Zentrum rückt, wie man den Tod herbeiführt, statt zu sehen, wie man auch in den letzten Tagen leben kann. Diakonie und Kirchen müssen sich hier einmischen und den schmalen Grat für Sterbebegleitung und gegen Sterbehilfe halten sowie die Selbstbestimmung durch Patientenverfügung. Das ist das eine.

Das andere: Auf einmal sind wir selbst betroffen. Durch schwere Diagnose oder durch Sterbebegleitung eines geliebten Menschen. Da wird einem bewusst, was das für ein Ausnahmezustand ist. Wie bei der Geburt ist der Mensch beim Sterben im Bereich des Unverfügbaren. Da kann man eben genau das nicht, was wir alle sonst gewohnt sind zu tun: selbstbestimmt entscheiden, in den Griff bekommen, klären, ordnen. Und weil das so ist, braucht es Orte wie Hospize, Orte der Seelsorge und Trauerbegleitung, an denen das Unbeschreibliche ausgehalten wird. Orte, an denen verstanden wird, dass man manches nicht verstehen kann.

„Denn alle Menschen sollen von Hoffnung getragen sein.“Das ist Ihre Beschreibung des zweiten Leitbegriffes, der: 

(2) „Haltung“ 
Contencance, sagte meine Großmutter immer, wenn es besonders schwierig war sie zu halten. Wenn einen der Kindeszorn überkam oder die Zerreißprobe eigener Widersprüchlichkeit. Contenance, denn es gibt etwas, was über dich hinaus weist. Tradition. Werte. Und mehr noch: Etwas, das dich gerade macht, weil es dich zum Himmel hin ausrichtet. Contenance, die sich hält, weil man gehalten wird. 

Bild von der Giraffe
Der Inbegriff von Contenance ist für mich die Giraffe. Giraffen haben eine großartige Haltung. Sehr elegant und balanciert. Bei all diesen langen Gliedern braucht es eine große Ausgeglichenheit. Mit ihren sanften Augen überblicken sie das Ganze der Lebenssafari. Sie entwickeln Weitblick – warum sonst hätte Gott ihnen solch einen langen Hals gegeben?. Giraffen stehen, sie können selbst im Schlaf nicht anders, aufrecht. Sie sind aufrichtig. Das liegt auch daran, dass sie wegen ihres langen Halses die Tiere mit dem größten Herzen sind. 12 Kilo wiegt es. Stellen Sie sich das einmal vor. Soviel Herz! Nicht umsonst steht die Giraffe in der Beratungsarbeit – auch der ESA - für die Eigenschaft der Einfühlsamkeit. Sie ist das Symbol für gewaltfreie Kommunikation, ist sozusagen die Friedensliebe auf vier Beinen.  
„…und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Diese Vision des Propheten Micha richtet unser großes Herz auf die Hoffnung und macht es weit. Visionen sind deshalb so gesund. Sie wecken Sehnsucht. Und wer sich sehnt, findet sich nicht ab. Der fühlt Kraft zur Veränderung. Heutzutage fehlt vielen der Kontakt zu solch einer Vision, die einem Kraft gibt und Inspiration. Etwas, das einem Halt gibt, weil es gerade nicht aus einem selbst heraus kommt. Unsere Gesellschaft leidet zunehmend unter dem Verlust dieser Dimension. Und deshalb sind so viele so erschöpft. Es fehlen Momente und Orte der Be-Sinnung, an denen man nach Sinn fragt und Liebe, danach, wie man mit dem Friedlosen in sich umgeht, mit Schuld und Verletzung – all dies kommt kaum irgendwo unter. 

Unsere Religion dagegen ist voller Verheißung. Diese Verheißungen sind wie ein Dach, das uns beschirmt. Deshalb ist es unsere Aufgabe als Christenmenschen, diese Verheißung zu erinnern. Immer wieder. Zu erinnern an die Wärme und die Sprache Gottes, um die Friedenssehnsüchte wieder aufzuwecken! Es ist die Sache aller Religionen und aller Konfessionen in dieser Stadt, den Menschen von klein auf religiös Obdach zu geben. Von klein auf sollen sie verlernen, wie man Krieg führt. Deshalb auch evangelische Schulen, die allen offen stehen. Die allen Elitärtendenzen gut protestantisch entgegen hält, dass an Bildung alle gerecht teilhaben müssen, will man sozialen Frieden. Identität entsteht im Miteinander. In der Heterogenität. Darin, eine Haltung zum Unterschied zu finden. Gerade, positioniert und friedliebend. Damit Nächstenliebe und Toleranz in unserer Gesellschaft nicht weiter verloren gehen.  

(3)  Deshalb „Buntheit“ Das ist ein drittes Leitwort: Unser Angebot soll dem Willen der Menschen gerecht werden. Das ist unser Grundsatz zur Bewahrung unseres Auftrags – so heißt es von Ihnen.

- Bild: Hamburg bekennt Farbe!“ - 
Es braucht Buntheit. Wie wahr. Gerade jetzt, wo fremdenfeindliche, rassistische und rechtsradikale Gedanken wieder mehr Verbreitung finden und in den Wohnzimmern und Stammtischen Platz nehmen. In unserem Land braucht es eine Allianz der Humanität gegen jegliche radikalen Tendenzen und Einheitsideologien. Deshalb nutze ich mit diesem Bild „Hamburg bekennt Farbe“ die Gelegenheit, Sie einzuladen mitzutun. Sich aus den Sesseln zu erheben, ich bitte Sie. Buntheit braucht Sprache. Ein öffentliches Bekenntnis für eine kulturelle und religiöse Vielfalt in unserer Stadt, für Toleranz, Tiefgang, die differenzierte Sicht auf Dinge. Insbesondere müssen wir die Stimme erheben gegen die, die die Menschenrechte mit Kampfstiefeln treten. Denn rechtsextremes Gedankengut ist mit keiner Religion vereinbar. Im Gegenteil: Unsere Unterschiede, egal woher wir kommen, sind vielmehr eine Kraft, mit der wir aller braunen Einfalt entgegen treten  können – und müssen. Am liebsten mit Kind und Kegel und am besten auch Schirm, am 2. Juni 11 Uhr auf dem Rathausmarkt.
Soweit der Werbeblock. Doch es braucht mehr als Kundgebungen und Demonstrationen. Z.B. den sensiblen Blick für die, die sich an den Rand gedrängt fühlen, lange schon. Für die, die um Anerkennung ringen und mit Perspektivlosigkeit kämpfen. Buntheit schafft ein offenes Klima, das ausnahmslos keinen verloren gibt. 
So wie Sie in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf tun.
Denn es fügt sich ja wunderbar auf diesem Bild, dass es außer dem weißen Schriftbild acht Fast-Quadrate gibt. Q-8 – wenn es ein buntes Projektprogramm gibt, dann dieses. Ich stehe mit großer Bewunderung davor und bin sehr neugierig. Was wird das werden mit den Sozialräumen und der Vielfalt diakonischer Aufgaben, die sich in all der Unterschiedlichkeit Hamburger Stadtteile auftun?
Auf jeden Fall aufregend. Es ist noch nicht klar, was es sein wird – aber es wird bunt sein. Und sich entwickeln durch gelungene Kommunikation. Verbindung eben auf Augenhöhe…

(4) „Augenhöhe“: Jeder Mensch soll gleichberechtigt am Leben teilhaben.

 In der Bibel wird erzählt, dass Jesus den Jüngern, die sich darum streiten, wer der Größte unter ihnen sei, ein kleines Kind vor Augen stellt. Am Kind gilt es, sich auszurichten, um ins Reich Gottes zu gelangen. Nur der hat Größe, sagt Jesus, der auch nicht eines dieser Kleinen gering achtet. 
Ich liebe dieses Bild. Denn es zeigt, wie der christliche Glaube revolutionär die Welt auf die Füße stellt und uns einen Auftrag erteilt: die Kleinen nach vorn. Die gering Geschätzten zuerst. Für sie, die an den Hecken und Zäunen verkümmern, für sie ist der Tisch des Herrn gedeckt. Für die Flüchtenden, Hungernden, die an Armut leidenden, für sie, die vor sich selbst flüchten, die nach Liebe hungern, die verarmt sind an Barmherzigkeit – ihnen gilt unsere Aufmerksamkeit. Ja, Solidarität.
Doch wie? „Augenhöhe“ verlangt nach Bewegung. Ist ein Prozess. Für beide Seiten. Die einen müssen in die Knie gehen und die anderen sich gerade machen. Für Augenhöhe hatte ich auch ein schönes Bild gefunden. Es eignete sich leider nicht als Plakat. Da sieht man, wie  im Museum ein Mädchen sich streckt und total neugierig der Skulptur von Sokrates ins Auge schaut. Geschichte und Zukunft, alter Mann und kluges Kind, auf Augenhöhe. Zwei, die sich in dieser Gesellschaft mehr in den Blick nehmen müssen.-

Im letzten Jahrzehnt hat man angesichts der demographischen Entwicklung  in Diakonie, Politik und Kirche neue Wege zu beschreiten versucht. Wege, die die Würde des einzelnen – wohlgemerkt in jedem Alter! - bewahren hilft, indem man Teilhabe ermöglicht, Teilhabe an gesellschaftlichem Diskurs und Meinungsbildung, an Kultur, Nachbarschaft und sozialer Gemeinschaft. Dabei war die Idee der Mehrgenerationenhäuser bzw. der inklusiven Wohngemeinschaften eine Art natürliche Geburt.
Bei der Umsetzung solcher Projekte allerdings zeigt sich, wie schwer es ist, dass Alt und Jung, Menschen mit und ohne Behinderungen nicht nur koexistieren, sondern sich auch kennenlernen, verbinden und nützen. Es geht um mehr als neue Wohnformen und Stadtteilprojekte, es braucht, davon bin ich überzeugt, auch ganz bewusste, neue Kommunikationsformen, die das Gespräch der Verschiedenen gezielt aufbaut. Damit man gemeinsam auf der Höhe ist.

Auf Augenhöhe, die wachsam macht. Für all das, was Hürden aufbaut und unüberwindbare Barrieren. Für alte Menschen, für Menschen mit Behinderungen. Hier in Hamburg Inklusion wirklich zu leben – das ist etwas höchst Persönliches. Inklusion schließt ein, auch mich selbst. Mein Nachdenken. Mitdenken. Das meint mehr als bauliche Änderungen oder bewusst andere Organisation oder einfache Sprache. Es geht in der Zusammenschau all dessen um nichts Geringeres als einen Systemwechsel. Inklusion ist ein aufregendes Projekt, das Verhältnisse ändert. In Schulen, Betrieben, Theatern, Diskotheken. Da müssen alle in einem gesellschaftlichen Verbund zusammen wirken:  Kirchengemeinden, Gemeinwesen, Diakonie. Das Ziel heißt Barriere-Freiheit. Und ich bin sicher: Zuallererst müssen wir über Barrieren springen. Und zwar über innere. Mitleid ist so eine Barriere, oder Gedankenlosigkeit, oder unsicheres Wegschauen oder Ungeduld.

Ohne dieses Augenmerk auf uns selbst, mit denen wir die berühmten Balken im Auge orten,  können die besten  Konzepte der Welt nicht „inkludieren“. Es braucht die echte Erkenntnis, dass die Verschiedenheit das Normale und das Belebende ist. Das theologische Bild dazu ist das vom Leib Christi. Alle Gemeindeglieder sind in ihrer Verschiedenheit »durch einen Geist zu einem Leib getauft« (V. 13).  Und diese Gemeinschaft als »Leib« ist eben nicht hierarchisch strukturiert, sondern wie ein Kreis auf die Mitte, Christus, hin ausgerichtet. Wenn das kein Modell der Augenhöhe ist!

Und so sind wir angekommen, dort beim fünften Leitwort, das zugleich das Ziel ist:

(5) „Lebensfreude“Alle Menschen sollen voneinander lernen und miteinander wachsen. Das ist unser Grundsatz zur Stärkung des Einzelnen und der Gemeinschaft.

-Bild Lebensfreude – Frau auf Schaukel 

Um bei Paulus fortzufahren: Sind wir aber Kinder Gottes, so sind wir auch Erben seiner Herrlichkeit. Sein Ziel heißt Herrlichkeit. Nicht etwa im Jenseits erst erreicht sie uns, ist auch nicht halb so erhaben, wie sie sich anhört, sondern meint schlicht: Lebensfreude. Wir sollen frei werden, uns des Lebens zu freuen. Denn allein aus Gnade lebt der Mensch. Und: die Gnade bleibt. Sie bleibt, wenn der Mensch wird, wächst und vergeht. Sie bleibt, wenn er träumt, zweifelt, denkt, wenn er liebt und begehrt, wenn er rennt und hinfällt, sie bleibt, wenn einem Hören und Sehen vergeht. Die Gnade bleibt. Welch Kraft hat diese Botschaft in einem Gesellschaftsspiel, in dem die Karten manchmal allzu ungnädig verteilt sind. Welch Kraft haben wir damit auch in Diakonie und Kirche in säkularer Welt.

Dazu die Schlussgeschichte von Paula, Tochter einer sehr kirchenkritischen Freundin. Eines Abends will Paula vorm Schlafengehen beten, wie sie es im Kindergarten gelernt hat. Meine Freundin windet sich und erzählt Geschichten und fragt dann irgendwann gerade heraus: „Warum, Paula, warum glaubst du eigentlich an Gott?“ „Ach Mama, sagt sie, es macht einfach so viel Spaß!“ –

Menschen sind unser Leben.
Und unsere Freude.

Ich danke Ihnen

 

Anhang

ESA-Claim: „Menschen sind unser Leben.“
„Selbstbestimmung“ Jeder Mensch soll über sein Leben selbst bestimmen können. Das ist unser Grundsatz zur Entwicklung der Gesellschaft.
„Augenhöhe“ Jeder Mensch soll gleichberechtigt am Leben teilhaben. Das ist unser Grundsatz zur Gestaltung der Lebensräume. 
„Lebensfreude“ Alle Menschen sollen voneinander lernen und miteinander wachsen. Das ist unser Grundsatz zur Stärkung des Einzelnen und der Gemeinschaft. 
„Buntheit“ Unser Angebot soll dem Willen der Menschen gerecht werden. Das ist unser Grundsatz zur Bewahrung unseres Auftrags. 
„Haltung“ Alle Menschen sollen von Hoffnung getragen sein. Das ist unser Grundsatz für einen gelebten, christlichen Glauben.

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