8. September 2019 | St. Petri-Dom Schleswig

„Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte?..."

07. Oktober 2019 von Gothart Magaard

Predigt am Tag des Offenen Denkmals zu Jesaja 66, 1+2

Liebe Gemeinde,

„Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“ so lautet das Motto des diesjährigen Tags des Offenen Denkmals, der bundesweit an ganz unterschiedlichen Ort gefeiert wird.

Das Motto wurde ausgewählt, da in diesem Jahr das 100jährige Jubiläum des „Bauhauses“ gefeiert wird, einer Zusammenführung von Kunst und Architektur, die Walter Gropius im Jahr 1919 in Weimar gründete.

Nun ist der Schleswiger St. Petri-Dom zwar kein Ergebnis dieser Schule – ein „Bauhaus“ ist er derzeit gleichwohl – wenn ich mir dieses Wortspiel einmal erlauben darf.

Ein Haus, an und in dem gebaut wird, derzeit ganz besonders, und immer wieder seit seiner Errichtung. So passt das Motto des diesjährigen Denkmaltages „Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“ natürlich ganz ausgezeichnet angesichts dessen, dass sich viele Menschen mit der Frage beschäftigen, wie hier der Schleswiger St. Petri-Dom bewahrt und zugleich doch auch angemessen verändert werden kann, wie den Hör- und Sehgewohnheiten der Menschen Rechnung getragen werden kann, wie veränderte Gottesdienstformen gut gefeiert werden können.

Wie der Dom auch zukünftig ein Ort sein kann, an dem Menschen zur Ruhe kommen können und danken und trauern und feiern, singen, Kunst betrachten, Musik genießen, und vieles andere mehr, wenn sie diese „Herberge am Wegesrand“ aufsuchen, die Kirchen für mich immer sind.

Bei Jesaja lesen wir im 66. Kapitel folgende Worte:

„So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße! Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte? Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der Herr. Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.“

Für den Gedenktag der Kirchweihe sind diese Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja vorgesehen und der Tag des Offenen Denkmals ist ja so ein Tag, an dem wir darüber nachdenken, welche Bedeutung Kirchengebäude haben.

Und das ist doch bemerkenswert: Da feiern Menschen in den wunderbarsten Sakralräumen, in den Domen und Basiliken, in den charmanten kleinen Dorfkirchen oder den prunkvollen Stadtkirchen – da denken Sie zurück an die lange Geschichte dieser besonderen Orte, an die Kunst der alten Handwerker, an die tiefgründigen theologischen Gedanken, die Stein wurden, und nicht zuletzt an die Lebensgeschichten, die mit diesen besonderen Orten verwoben sind.

Da haben die Menschen all das vor Augen, ehrfürchtig, dankbar, beeindruckt und immer wieder auch begeistert, und dann hören sie solche Gedanken:

„Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte? Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der Herr. Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.“

Diese Worte sind deshalb – zumindest für einen wie mich sehr anregend, der ich als Bischof immer wieder zu Kirchenweihfesten, wie zuletzt in Sehestedt, eingeladen wird. Oder zu Dankesfesten nach Kirchensanierungen oder Orgelrestaurierungen – wie in Adelby - sowie zu Gesprächen, wenn der Bestand von Gebäuden gefährdet ist, weil diese Worte alle Baukunst, die um ihrer selbst willen geschieht, in die Schranken weist.

Gott braucht diese Gebäude nicht. Die Härte dieses Gedankens wird uns, wird mir zugemutet. Er ist ein Gott, der diese Welt durchwaltet, der sich finden lässt, besonders in den Armen und Kranken, bei denen, die hungern und frieren, draußen vor der Tür.

Er ist auch dort zu finden, wo Menschen den Frieden suchen, für Freiheit und Gleichberechtigung und für die Würde eines jeden und einer jeden eintreten.

Er ist dort, wo Menschen nicht dem Meer überlassen werden, weil Flüchtlingslager voll und das „Sich kümmern“ Geld und Nerven kostet.

Er ist dort, wo wir in unserem Alltag einander in die Augen sehen, einander zuhören und füreinander da sind.

Und wo das, was in und um diese Bauten herum geschieht, damit nichts zu tun hat, sind sie entbehrlich. Mit Martin Luther könnten wir das noch in anderer Hinsicht schärfen: mit der sogenannten „Torgauer Formel“, in einer Predigt anlässlich der Einweihung der Schlosskirche zu Torgau am 5. Oktober 1544:

Das neue Haus, so Luther, solle dahin gerichtet sein, „das nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit im reden durch Gebet und Lobgesang.“ Ein Ort der Kommunikation des Evangeliums sollen sie sein.

Und dieses Evangelium wird auch in der tatkräftigen Nächstenliebe hörbar – womöglich sogar noch nachdrücklicher, als in der größten Kunst. So jedenfalls müsste man es wohl im Lichte des Weges Jesu einschätzen.

Aber beides steht dann doch auch nicht beziehungslos nebeneinander – die Hinwendung zu den Elenden und diese besonderen Orte. Noch einmal: Orte, an denen das Evangelium zur Sprache kommt, sollen sie sein. Das können sie sein – für uns.

Nicht Gott ist es, der diese besonderen Orte braucht. Wir sind es, die sie brauchen, diese Heterotopien, Anders-Orte, wie sie im Anschluss an den Philosophen Michel Foucault auch genannt werden.

Christliches Leben braucht Vergewisserung, denn der Glaube trägt sich nicht selbst. Er wird getragen, bewahrheitet und je neu und neu dadurch begründet, dass wir von Gott angesprochen werden. Überraschend.

Durch vertraute Melodien, durch gute Worte, durch einen Segen, wie heute in der Taufe oder durch diesen einen Satz in einer Predigt, den ich vielleicht mit auf den Heimweg nehme und der mir eine neue Welt öffnet. So gehört zu den hilfreichen Vergewisserungsmaßnahmen für mich auch die Zeit, die ich in unseren Kirchräumen verbringe.

Peter Bieri lässt einen jungen Mann in seinem Roman „Nachtzug nach Lissabon“ folgende Worte sagen:

„Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben.
Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit.
Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt.

Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen
und mich blenden lassen von den unirdischen Farben.
Ich brauche ihren Glanz.
Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen.
Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen.
Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen.

Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und
das geistreiche Geschwätz der Mitläufer.

Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese
Überschwemmung von überirdischen Tönen.
Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik.

Ich liebe betende Menschen.
Ich brauche ihren Anblick.
Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen.“

Der Autor Peter Bieri trifft für mich etwas mit dieser Beschreibung, und manche von Ihnen, und auch ich selbst, haben durch das Kunstprojekt „Lichtreise“ vor drei Jahren eine solche besondere Begegnung mit diesem Raum erfahren! Als der Dom über 4 Wochen fast jeden Abend geöffnet war und er durch Lichtinstallationen und neue Formen viele Menschen zum Verweilen einlud.

Kirchen, ob die großen Dome oder die kleinen Dorfkirchen, sind Orte, die anders sind, und Anderem Raum geben.

Inmitten der Endlichkeit eine Ahnung von Unendlichkeit. Inmitten des Dickichts von wirtschaftlichen Zusammenhängen, ökologischen Entwicklungen, die besorgniserregend sind, von politischem Klein-Klein und der Sorge um Menschen können sie ein Ort sein, der Erhabenheit, Weite signalisiert. An dem Menschen zur Besinnung kommen, Trost erfahren, Lebensmut schöpfen. Wir brauchen diese Orte. Um uns aufzurichten. Gute Worte zu hören. Evangelium eben.

„Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte? Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der Herr. Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.“

Das Wort ist stärker als der Stein – das haben Mauer- und Festungsbauer in der langen Geschichte der Menschheit erfahren müssen.

Und auch Turmbauer haben einsehen müssen, dass das Evangelium, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes, Menschen anders und nachhaltiger erheben, ihnen einen anderen, aber vermutlich noch wichtigeren Weitblick verleihen, als der höchste Turm.

Doch wo Orte dazu dienen, dem Wort Raum zu geben, wo sie dazu gebaut, erhalten und neu gestaltet werden, damit sie Gott und damit den Menschen dienen, und deren Seele sich erheben kann, dort haben sie ihr gutes Recht.

Und dort ist es richtig, sich engagiert, kreativ und in außergewöhnlicher Weise, für ihre Erhaltung einsetzen – so wie wir es hier in der Region in diesen Tagen versuchen, wenn wir um Unterstützung auch für eine Innenraumsanierung bitten.

Wir brauchen diese Orte, wir brauchen diesen Ort, dieses „Bau-Haus“ hier mitten in Schleswig, das Nationen und Regionen und Generationen und Konfessionen verbindet, um gestärkt zu werden für den Alltag draußen vor den Kirchentüren.

Wir brauchen sie, um die Hoffnung nicht aufzugeben und uns zu vergewissern, dass da einer ist, der diese Welt hält. Um gesegnet zu werden wie der Täufling Benjamin. Und dann draußen Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Mit Lust und Freude und dem nötigen Eigensinn, diese Welt anders zu gestalten, so dass in ihr jener große Andersort, den Jesus „Himmelreich“ nannte, Raum bekommt. Amen.

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