Heiligabend, 24. Dezember 2018 | Dom zu Greifswald

Weihnachten – eine Brücke zu Gott

24. Dezember 2018 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt in der Christvesper mit einer Predigt über Lukas 2, 1-20

Liebe Gemeinde,

die Weihnachtsgeschichte ist eine der bekanntesten Geschichten der Menschheit. Aber was ist das für eine Geschichte? Ist sie nicht so etwas wie eine Insel im Meer des wirklichen Lebens? Eine schöne Geschichte – hat aber mit dem Leben, wie wir es sonst kennen, nichts zu tun? Geht es uns mit der Weihnachtsgeschichte nicht ähnlich, wie mit dem ganzen Weihnachtsfest? Es ist ein Sehnsuchtsort, der Gefühle und Erwartungen aus unserer Kindheit wach werden lässt, aber mit unserem Alltag, mit dem, was das Leben von uns fordert, ist es in keiner Weise verbunden.

Schon 1940 schrieb Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Pastor, der Oppositionelle gegen das Naziregime und spätere Opfer Adolf Hitlers: „Wie sehr haben wir Deutschen gerade aus dem Weihnachtsfest eine … Insel gemacht, auf die man sich aus der eigentlichen Wirklichkeit des Lebens für ein paar Tage oder doch wenigstens Stunden retten könnte. Wie ist unsere ganze übliche Feier des Festes mit all dem Traulichen und Lieblichen und Süßen und Bunten, womit wir sie geschmückt haben, abgestellt auf diesen ‚Zauber‘, der uns einmal ins Märchenland entführen soll. Weihnachten – einmal ‚Ferien vom Ich‘, ‚Ferien vom Leben‘.“[1]

Ist die Geschichte von Maria und Josef und dem Christuskind eine Geschichte aus einer anderen Welt, die mit der unseren nichts zu tun hat? Ja und nein. Zuerst einmal ist es eine ganz persönliche, intime Geschichte zwischen zwei Menschen, eine Geschichte mit Belastungen und mitmenschlicher Solidarität. Maria und Josef waren miteinander verlobt. Nach dem jüdischen Recht der damaligen Zeit waren sie damit Eheleute. Dann passierte etwas, mit dem Josef nicht klar kam. Maria war eine feine junge Frau. Josef konnte davon ausgehen, dass sie ihm treu war. Aber als sie ihm eines Tages erzählte, dass sie schwanger war, gab es einen Riss in der Beziehung. Nein, mit einem anderen Mann hätte sie nicht geschlafen. Das Kind sei vom heiligen Geist gezeugt und ein Engel hätte ihr gesagt, dass Gott mit diesem Kind etwas Besonderes vorhätte. Zwar war auch Josef ein frommer Mann. Aber das war dann doch zu viel für ihn. Zu abenteuerlich schien ihm diese Erklärung. Er hatte Maria lieb, deswegen wollte er den Schaden klein halten und sie heimlich verlassen. Ein anderer Evangelist, Matthäus, erzählt, dass Josef einen Traum hatte, der ihm Marias Version bestätigte[2].

So ganz unbelastet war das Verhältnis der beiden nun nicht mehr. Zu gern wüsste ich, wie sie den weiten Weg von Nazareth nach Bethlehem, ca. 140 km, miteinander gewandert sind. Haben Sie miteinander geredet, was es mit diesen merkwürdigen Geschehnissen auf sich hatte? Oder haben sie geschwiegen, weil da doch der Zweifel des Misstrauens zwischen ihnen gesät war? Wir wissen es nicht. Aber auf jeden Fall hatten die beiden ihre ganz persönliche Geschichte. Maria und Josef waren die Fragen und Zweifel, die mit einer Paarwerdung verbunden sind, nicht fremd. Auch die Familie des Herrn hatte ihre Probleme. Aber sie haben alles zusammen durchgestanden. Und dann war die Schwangerschaft auch keine Bilderbuchschwangerschaft. Keine werdende Mutter wünscht sich, kurz vor der Geburt noch so weit gehen zu müssen.

Das wiederum hatte seine Ursache in einer weiteren Geschichte. Denn wie jede persönliche Geschichte war auch die Geschichte Jesu eingebettet in die allgemeine, politische Geschichte. Wir hören von einem römischen Kaiser, Augustus, dem vielleicht bedeutendsten aller römischen Kaiser, der aus der Republik Rom ein Kaiserreich gemacht hat, der sich 45 Jahre an der Macht hielt, ungemein erfolgreich war und die Grenzen des römischen Reiches um Vieles erweiterte, so dass jetzt auch das jüdische Heimatland dazugehörte. Das fanden die Juden gar nicht gut, denn sie standen damit unter Besatzung, unter Fremdherrschaft. Sie empfanden die Besatzung als erniedrigend. Sie wollten außer Gott niemanden untertan sein. Leider sind die Beschreibungen bei Lukas ungenau und wir können die von ihm so genannte „Schätzung“ historisch nicht genau zuordnen. Aber klar ist: Auch die Familie des Gottessohnes ist den allgemeinen Gesetzen untergeordnet und muss Steuern zahlen. Vielleicht sitzen hier einige, die sich sagen, wenn ich einmal die Macht hätte, das Zahlen der Steuern würde ich mir sparen. Anders mit der Familie Jesu. Als der Sohn Gottes von einer Frau geboren wird, da wird er so völlig Mensch, dass alles, was sonst für Menschen gilt, auch für ihn gilt. Der Apostel Paulus sagt deshalb einmal, dass der Sohn Gottes „unter das Gesetz getan“[3] wurde. Jesus stand ganz unter dem Gesetz, unter dem politischen Gesetz und unter dem religiösen Gesetz.

Deswegen ist die Weihnachtsgeschichte auch Teil der Heilsgeschichte Gottes mit seinen Menschen. Das gilt aber nicht nur für Jesus. Wir alle stehen nicht nur in einer Geschichte mit den uns nahestehenden Menschen, für uns bildet nicht nur die politische Geschichte den Rahmen, sondern wir stehen auch – ob uns das bewusst ist oder nicht – in einer Geschichte mit Gott. Gott hatte uns Menschen geschaffen, um in Gemeinschaft mit ihm zu leben. Der Mensch sollte in einer Ausgeglichenheit aller Lebensverhältnisse leben. Die Bibel nennt das Frieden, Schalom. Wenn alle das zum Leben haben, was sie brauchen, wenn Gerechtigkeit herrscht und alle Macht dem Recht dient. Dieser Frieden hat viele Aspekte. Er schließt den Frieden mit der Natur ein, mit den anderen Menschen und zwischen Völkern. Die Grundlage ist der Frieden mit Gott. Aber gerade der ist aus den Fugen geraten. Viele interessiert die Gottesbeziehung gar nicht. Darum haben wir Menschen die Maßstäbe verloren und wir leben in Unfrieden mit der Natur, im ewigen Wettstreit mit anderen Menschen und häufig im Kampf mit anderen Völkern. Einmal die Tagesschau sehen oder die Zeitung lesen und jeder weiß, dass ich die Wahrheit sage. Aus der Heilsgeschichte ist eine Unheilsgeschichte geworden.

Lange schon hatte sich in Israel die Erwartung Bahn gebrochen, dass Gott dieses Unheil in Heil verwandeln wird. Aber wie wird das geschehen? Wir haben zwei prophetische Stimmen aus der Zeit um etwa 750 Jahre vor Christus – also vor mehr als 2700 Jahren - gehört: Sehnsucht nach Frieden angesichts von Krieg, Mord und Totschlag. Viele weitere Stimmen wären diesen zur Seite zu stellen. Immer deutlicher wurde: Der Friede scheitert nicht nur an den anderen. Er scheitert auch an mir, weil ich unmöglich bin und auch schuldig werde. Wie bekommen wir den Menschen so, dass er den Frieden leben kann? Wir brauchen einen, der Vergebung bringt, der Frieden schenkt. Frieden kann man nicht machen, man muss ihn sich schenken lassen. Ja, man muss ihn wollen, man muss sich bemühen, aber am Ende ist Friede ein Geschenk. Und die Alten in Israel haben gesagt und gehofft: „Wir brauchen einen Heiland, einen von Gott Geschickten und mit heiligem Geist Gesalbten. Er wird unser Friede sein.“ Der Gesalbte, das heißt hebräisch Messias und griechisch Christus.

Dann ist es in der Nacht geboren, dieses Kind, das von Gott kam, der Messias und Heiland. Aber es war alles so schlicht, so wenig spektakulär. Ein unscheinbareres Zeichen konnte der Engel nicht geben: „Ein Kind, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.“ Das ist doch verwechselbar. Geht es nicht ein bisschen größer und augenfälliger? So wird er doch übersehen, der Messias. Da könnte doch jeder kommen und von einem in Windeln gewickeltem Kind reden. Aber gerade dieses Kind in der Krippe ist es.

Liebe Gemeinde, nur wenn wir diese drei Geschichten, die persönliche Geschichte, die politische Geschichte und die Heilsgeschichte beieinander halten, dann ist Weihnachten keine Insel, fern und getrennt von unserem Leben. Die Gefahr ist groß, dass Weihnachten ein anrührender Moment ist und sonst nichts. Weihnachten hat aber das Zeug, die Kraftquelle für das wirkliche Leben zu sein. Weihnachten kann die Brücke von unserem ganz persönlichen Leben zu Gott werden. Es liegt in unserer Hand, ob wir uns bescheiden mit ein wenig frommen Gefühl oder ob von Weihnachten her ein neuer Luftzug in unser müde gewordenes Leben bläst.

In diesem Jahr ist das Lied „Stille Nacht“ 200 Jahre alt geworden. Wir haben es eben vor der Lesung der Weihnachtsgeschichte gesungen. Dieses Lied halten viele lediglich für ein gefühliges, traditionelles Lied. Es ist aber geboren aus einer schwierigen Situation des Dorfes Oberndorf an der Grenze zwischen Bayern und Österreich. Der Hilfspfarrer Joseph Mohr hat es gedichtet und der Lehrer Franz Xaver Gruber die Melodie dazu geschrieben. Es hat schon damals vor 200 Jahren niemand auf kitschige Weise vertröstet, sondern geholfen, in schwerer Zeit einen Weg des Ausgleichs zu gehen. Gleich werden wir im Anschluss vom Chor die drei heute nicht mehr gesungenen Strophen des Liedes hören. Schade, dass sie so unbekannt sind! Sie legen viel Wert auf den Jesusnamen. Er bedeutet nicht weniger als „Gott rettet!“ Dieser Jesus ist als Retter nun da. Er neutralisiert die Macht der irdischen Despoten, der Trumps, Putins und Erdogans und wie sie alle heißen, und schließt als unser Bruder die Völker der Welt zusammen. Diese Völker verbindende Perspektive war vor 200 Jahren exzeptionell und ist heute so nötig wie damals.

Heute sind wir auf diesem Erdball viel enger zusammengerückt als früher. Umso mehr brauchen wir diesen Jesus, von dessen großartiger Geschichte wir herkommen. In Jesus kommen Menschheit und Gottheit zusammen. Das ist Weihnachten. Da kommt es auf diesen Jesus an. Daher kommen wir. Darum verpassen wir unsere Zukunft, wenn wir diese Herkunft verleugnen. Manche schicken heute neutrale Weihnachtsgrüße: „Egal, woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit …“.

Hilft es zum Miteinander in einer pluralistischen Gesellschaft, wenn wir unsere eigene Überzeugung im Unklaren lassen? Nein, es ist ganz klar: Der Pluralismus lebt vom Miteinander Unterschiedlicher, die sich Ihrer Unterschiedlichkeit bewusst sind, sie auch auszudrücken vermögen, aber diese nicht gegeneinander ausspielen. Wenn wir als Christen nicht selbstbewusst zu unserem christlichen Glauben stehen, ihn nicht mit wenigen einfachen Worten bezeichnen können, dann zerstören wir die Grundlage unserer christlichen Kultur und auch den Pluralismus.

Dabei bietet gerade die Weihnachtsbotschaft die Grundlage für beides, sowohl für eine eigene feste Überzeugung als auch für das liebevolle Miteinander mit allen Menschen. In der Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas kommt beides vor. Der Engel verkündigt: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Gleichzeitig singen die Engel vom „Frieden auf Erden“ (vgl. Lukas 2, 11 u. 14).

Christen bekennen: In Jesus Christus hat Gott nicht nur das Prinzip Liebe bekannt gemacht, sondern ist Gott selbst Mensch geworden. Genau das ist das Besondere des christlichen Glaubens. Gott spricht nicht nur durch einen Menschen. Gott wird Mensch. In diesem unglaublich verletzlichen kleinen Kind in der Krippe ist Gott selbst. Das ist das Wunder der Heiligen Nacht.

Weil Gott aber Mensch geworden ist, gibt es kein Menschsein, das abgewertet werden darf. Die Menschwerdung Gottes adelt den Menschen und gibt Gott die Ehre. Sie ist eine Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. Darum grüße ich Sie mit dem bekanntesten christlichen Weihnachtslied, das dieses Jahr 200 Jahre alt ist:

„Stille Nacht, heilige Nacht!
Hirten erst kundgemacht,
durch der Engel Halleluja
tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter ist da,
Christ, der Retter ist da!“
Deswegen dürfen wir uns gegenseitig ein „Frohe Weihnachten!“ wünschen. Amen.

 

[1] Rundbrief (Mitte Dezember 1940), in: Dietrich Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940 – 1945, hg. v. J. Glenthoj, U. Kabitz und W. Krötke (DBW 16), Gütersloh 1996, 95.

[2] Vgl. Matthäus 1, 19ff.

[3] Gal. 4, 4.

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