Wer sich des Lebens freut, wird ungeduldig mit der Welt
23. Juni 2014
Predigt im Festgottesdienst der 68. Greifswalder Bachwoche „Bach und 'Die Drei'“, 1. Sonntag n. Trinitatis
Liebe Gemeinde!
I
„Höchsterwünschtes Freudenfest, / Das der Herr zu seinem Ruhme / Im erbauten Heiligtume / Uns vergnügt begehen lässt. / Höchsterwünschtes Freudenfest!“
Ja, liebe Gemeinde, da bin ich sicher, für Johann Sebastian Bach war jeder Sonntag ein „Hoch erwünschtes Freudenfest“ – und ein besonderer Sonntag eben ein „Höchsterwünschtes Freudenfest“! Denn: Vom Tag der Auferstehung Jesu her leben wir Christenmenschen; auf unser Leben fällt von Sonntag her immer neu ein wundervolles Licht – der Glaube lebt vom Glanz des Ostermorgens. Denn: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, .. weder hohes noch Tiefes …uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ – so der Apostel Paulus. Wie gesagt, das gilt für jeden Sonntag als „hoch erwünschtem Freudenfest“ – und gelegentlich, zum Beispiel an dem Sonntag im Rahmen der alljährlichen Greifswalder Bachwoche ist es dann ein „höchsterwünschtes Freudenfest“, das wir als Gemeinde mit Musik in Fülle feiern. Es ist eine große Freude und wunderbar, dass Sie alle, die Sie alljährlich dieses Fest des Glaubens organisieren und gestalten, so engagiert bei Ihrer Sache sind – so fröhlich und einladend, dass wir Gäste aus nah und fern immer wieder gerne kommen zum „höchsterwünschten Freudenfest“!
II
Die Superlative, der Überschwang: sie regieren diese Kantate. Und Superlativ und Überschwang sind Ausdrucksformen des Glaubens: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über! Die Verheißungen Gottes, die Fülle seiner wunderbaren Schöpfung, wie sie sich uns in dieser Jahreszeit präsentieren, die wunderbaren Töne der Musik – sie sind ja mehr als eine Momentaufnahme. Sie sind Bilder des Lebens, wie Gott es will. Aus dieser Fülle sollen wir, sollen alle schöpfen in dieser Welt. Ja, so klingt es mit der Musik, es muss mehr als alles geben! Die Welt geht nicht auf in dem, was wir erleben und begreifen, was uns bedrängt und die Tage schwer macht. Da gibt es einen Überschwang, einen Überschuss an Leben. Zum Vergnügen will uns die Verheißung führen, zusammenbringen um Gottes Wort. Darum ist dieses Haus erbaut, damit die, die hier ein- und ausgehen, etwas spüren und hören von der Freude des Lebens; damit sie Trost erfahren, an den sie schon lang nicht mehr glauben mochten; damit sie neu einatmen nach all dem Ausatmen im Alltag des Lebens, der uns oft genug die Luft abschneidet und die Sprache verschlägt.
Mit Gebet und Gesang, mit Text und Ton wird hier Lust gemacht auf Gott, auf den „unendlich großen Gott“ – wie es in der Kantate heißt, der also in keine heilige Hütte und auch in kein Haus und keinen Dom passt – der aber eben sich dennoch hier finden lässt, da er uns nahe sein will: zu einem „Gnadenstuhl“, einem „Freudenlicht“ wird dieses Gotteshaus, um Gottes und der Menschen willen! Gott, der „kein Ziel noch Grenzen“ hat, ist – recht verstanden – permanent auf Wohnungssuche, permanent unterwegs zu seinen Menschenkindern, mit denen er regelmäßig ein „hoch erfülltes Freudenfest“ feiern will. Schön natürlich, wunderbar! Aber, liebe Gemeinde, es ist ein bisschen wie bei der Prunksitzung im Karneval. Die Frage stellt sich: „Wolle mer ihn reinlasse?“
Ja, lassen wir Gott rein in Haus und Herz? Denn – auch da ist diese Kantate so herrlich eindeutig – das wird Ärger geben, aufgeräumt werden muss da, „dass die Wohnung rein / und dieses Gastes würdig“ sei: Gott wird ordentlich Wind machen, den Staub von Gewohnheiten und den Muff von Tausend Jahren auch unter Talaren wird er aufwirbeln, die „Eitelkeit“, die sich „eingeschlichen“ hat in die gute Stube und die sich niedergelassen hat auf den Polstermöbeln der Vorurteile gegen das Andere und die Fremden – all´ das wird ordentlich aufgemischt werden von Gott und seinem Heiligen Geist, der eben nicht als laues Lüftchen, sondern vielmehr als frischer Wind anrauschen wird.
So, wie es die Menschen zum Pfingstfest erlebt haben, als mitten in der Trauer und der Verzagtheit ein Brausen geschah, das alles durcheinander wirbelte, und wie dieses Brausen sich erwies als das Brausen des Heiligen Geistes, der plötzlich den Menschen wieder Mut machte, den Mund aufzutun, zu singen, zu loben, zu preisen – zu behaupten mit aller Frechheit, dass nicht Menschenmacht diese Welt beherrscht, sondern Gottesmacht! Und dass von dieser Gottesmacht etwas wie Flammen auf unsere Häupter fällt, so dass die Damaligen jedenfalls Feuer und Flamme waren für Gott und predigten, widersprachen.
„Gott erhöht die Niedrigen und den Betrübten hilft er empor“, so heißt es im Hiob Buch, so erleben es die Jünger dort in Jerusalem.
Ich war gerade in Tansania und Kenia. Und ich habe Menschen besucht, die jeden Tag neu um Ihr Überleben kämpfen. In erbärmlichen Bedingungen. Erniedrigt. Ohne das Nötigste oft.
Aber wenn sie zusammenkommen und singen, beten, reden von Gott und ihren Glauben feiern, dann werden aus den Geknickten plötzlich stolze Menschen, aufrecht Gehende. Wir haben am vergangenen Sonntag in Holili, einem Tansanischen Ort nahe der Grenze zu Kenia, eine neue Gemeinde gegründet und eine neue Kirche eingeweiht. Mehr als 1.000 Menschen waren auf den Beinen. Sie kamen aus ihren ärmlichen Hütten, legten die Angst vor Bombenterror in der Grenzregion ab, tanzten schon auf der Straße zu Klängen eines Posaunenchores, sangen, priesen Gott und waren höchst vergnügt an diesem höchsterwünschten Freudenfest.
Und ein Massai-Krieger war unter ihnen, der Bürgermeister eines Massai Dorfes in der Nachbarschaft. Der hörte gespannt zu, als der Bischof in seinem Grußwort über die gerade geschlossene Krankenstation sprach und den Menschen Geduld empfahl. Da sprang er auf und sagte: Du sagst, wir sollen geduldig sein und abwarten, dass die Regierung entscheidet über eine notwendige Krankenstation. Wir sagen aber: wir müssen gar nicht geduldig sein, sondern ungeduldig. Weil Gott nicht will - nicht wollen kann, dass wir krank sind und keiner hilft. Wer singt und tanzt, wer sich des Lebens freuen will und Gottes, der wird nicht geduldig, sondern kommt in Bewegung, der wird ungeduldig mit der Welt.
Ja, der Überschwang, der Superlativ des Glaubens macht nicht ruhig, sondern unruhig. Der Mund geht auf. Und der Glaube, der singt und tanzt, gibt sich nicht zufrieden mit dem, was unsere Augen sehen und mit dem, was wir scheinbar nicht ändern können. Der gibt sich nicht zufrieden mit Ungerechtigkeit; der hält nicht stille angesichts der Millionen Flüchtlinge auf dieser Welt; der schweigt nicht zu der Verfolgung und Bombardierung von Christenmenschen und vieler anderer Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt und ausgegrenzt werden; der lässt sich nicht beschwichtigen angesichts der Not auch in diesem Land, der ist nicht geduldig, sondern ungeduldig, bis alle Menschen teilhaben können an der Fülle, von der wir singen! Der rechnet damit, dass noch nicht ausgeschöpft ist die Möglichkeit Gottes und auch die Möglichkeiten der Menschen, diese Welt zu ändern.
Diese Ungeduld ist immer wieder nötig, damit Mächtige vom Thron gestürzt werden können und Neues anfangen darf – so, wie es war vor und während der friedlichen Revolution hier im Lande, als die Ungeduldigen endlich teilhaben wollten an dem Mehr-als-Alles; als die Mauer stürzte und Grenzen fielen, als Menschen tanzten auf den Straßen und jubelnd sich in die Arme fielen. 25 Jahre ist das jetzt fast her.
Ja, liebe Gemeinde, damit müssen wir rechen, wenn wir die Botschaft der Bibel an uns heran und in uns hinein wirken lassen: So wie wir es vorhin gehört haben in dem Gleichnis Jesu vom reinem Mann und dem armen Lazarus. Da werden ordentlich Stühle gerückt, die Mächtigen vom Thron gestoßen und die Niedrigen erhöht, wie es im Magnificat der Maria im 2. Kapitel des Lukasevangeliums besungen wird - auch das natürlich von Johann Sebastian Bach auf herrliche Weise vertont. Der arme Lazarus wird nicht derjenige bleiben, der seine Nahrung aus den Mülltonnen der Reichen herausangeln muss, damit er nicht vor die Hunde geht.
Nein, anders, ganz anders soll die Welt werden nach Gottes Willen! Ein Freudenmahl der Fülle ist von Gott versprochen, ein Gastmahl, an dem es keinen Katzentisch geben wird, sondern nur eine von Gott reichlich gedeckte Tafel, an der alle satt werden, weil die Menschen das Teilen gelernt haben.
III
Gastgeber, liebe Gemeinde, an diesem Tisch des Herrn wäre dann der Gott, den auch unsere Kantate im Choral besingt: Gott – „Heilger Geist ins Himmels Throne, / Gleicher Gott von Ewigkeit! / Mit dem Vater und dem Sohne, / Der Betrübten Trost und Freud!“
Das ist doch ein wunderbares Bild: So wie Gott nach der christlichen Theologie Einer ist in der Dreiheit, in der Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, so sitzen da die vielen unterschiedlichen Gäste in all´ ihrer Verschiedenheit und Vielfalt von Hautfarben, Völkern, Muttersprachen und Vaterländern einträchtig beieinander – alle bringen ihre Gaben und Mitbringsel mit auf den Tisch des Herrn und alle werden satt nach der Devise: Tauschen und teilen! Und alle singen zusammen in der Vielfalt ihrer lauen und leisen, ihrer hohen und tiefen Stimmen, mit all´ ihren geraden und schiefen Tönen – zusammen gehalten durch den Rhythmus des Gotteslobes: Polyphonie. Und, wie Bach ihnen auf die Tischkarten schreiben würde: soli deo gloria! Alle zusammen „in Gott allein vergnügt und selig lebend“. So wird es zu Beginn des zweiten Teils nachher der Tenor singen. Welch eine Freude wird das sein – und welch eine Hoffnung für die Welt schon hier und heute!
Der Heilige Geist wird wehen mit Macht, damit Flammen der Gottesliebe und der Menschenliebe befeuern die Tafelrunde. Auch das, liebe Gemeinde, wäre dann: Ein Festival Geistlicher Musik – nicht nur, aber auch im Norden. Amen