Wie Trauerrituale Halt und Frieden geben
17. November 2025
Pastor Jan Roßmanek begleitet Menschen durch Abschied und Trauer und findet darin Erfüllung. Denn für ihn ist die Trauer auch ein Ausdruck von Liebe. Ein Gespräch über Rituale, Glauben und die Leichtigkeit im Schweren.
Pastor Jan Roßmanek ist seit rund vier Jahren einer der Pastoren bei der Hamburger Ritualagentur st. moment. Neben den klassischen kirchlichen Handlungen wie Taufe, Trauung und Bestattung werden dort auch andere Übergangsrituale angeboten – zum Beispiel Segnungen für Schwangere oder Feiern zum Ruhestand.
Roßmaneks Schwerpunkt sind jedoch die Bestattungen. Er hält Trauerfeiern, bietet Trauerbegleitung an und baut „Kummerkutter“ aus Treibholz. Mit uns hat er über seine Arbeit, Erfahrungen mit dem Tod und das Schenken von Trost gesprochen:
Du bist Pastor bei einer Ritualagentur. An wen richtet sich euer Angebot?
Jan Roßmanek: Unser Angebot richtet sich vor allem an Menschen, deren kirchliche Zuständigkeiten unklar sind oder die keine direkte Anbindung an eine Gemeinde mehr haben – egal, ob Kirchenmitglieder oder nicht. Wenn jemand pastorale Begleitung wünscht, kann er sich an st. moment wenden, und wir klären, ob die örtliche Gemeinde zuständig ist oder wir übernehmen.

Welche Angebote habt ihr rund um Trauer und Gedenken?
Neben klassischen Trauerfeiern gestalten wir besondere Formate, zum Beispiel den Gottesdienst „Fröhliche Weihnachten für traurige Menschen“ in der Fritz-Schumacher-Halle in Ohlsdorf. Dort können Menschen zusammenkommen, die an Weihnachten jemanden vermissen. Es gibt Musik, Kinderpunsch und auch richtigen Punsch – ein Ort, an dem Gemeinschaft entsteht, gerade in einer schweren Zeit.
Viele, die dort hinkommen, waren schon beim Kummerkutter oder haben einfach durch die Presse davon erfahren. Über die Jahre ist so eine kleine Gemeinschaft gewachsen. Wir freuen uns sehr, wenn weitere Gemeinden solche Formen aufnehmen und Weihnachten bewusst Raum für Trauer und Erinnerung geben – für Menschen, die an den Feiertagen jemanden schmerzlich vermissen.
Wie können Rituale beim Abschiednehmen helfen, und was genau ist ein Kummerkutter?
Ich war viele Jahre Gemeindepastor in Bargteheide, und aus dieser Zeit stammt auch die Idee, wie solche Rituale entlasten können. Dort gab es zum Beispiel die „Himmlische Stadt der Kinder“ – ein Projekt für Eltern und Geschwister, die ein Sternenkind verloren haben. Wir haben kleine Tonhäuser gebaut, jedes individuell gestaltet mit dem Namen des Kindes. Das hat den Trauernden gezeigt: Sie können selbst aktiv werden, sich gegenseitig helfen und in Gemeinschaft Trauer gestalten.
Diese Erfahrung war der Ausgangspunkt für den heutigen Kummerkutter. Die Idee entstand, als mich einmal ein Paar bat, sie beim Loslassen ihres unerfüllten Kinderwunsches zu begleiten. Wir bauten gemeinsam ein kleines Boot und ließen es auf der Alster davontreiben – das war für die beiden unglaublich tröstlich.
Als ich dann bei st. moment anfing, haben wir dieses Konzept weiterentwickelt: Wir bauen Kummerkutter, Trostsegler oder Trauerflöße – kleine Boote, die stellvertretend für einen Menschen, einen Verlust oder ein Thema stehen.
Die Workshops finden viermal im Jahr statt. Wir treffen uns in unserer großen Werkstatt, die mit schönen, natürlichen Materialien ausgestattet ist: Holz, Treibholz vom Bodensee, alte Nägel, Stoffe, Masten und sogar ein Gravurgerät. Das Treibholz bekommen wir von jemandem, der es extra für uns sammelt, damit es auch schwimmfähig und optisch passend ist.
Was passiert beim Bauen – und danach?
Während des Bauens entstehen ganz von selbst Gespräche: Wer das Boot baut, für wen, was man damit verbindet. Ich sitze oft bei der kleinen Gravurmaschine und erlebe, wie sich beim Arbeiten Erzählräume öffnen. Die Menschen erzählen, erinnern, lachen auch – und manchmal wird geweint.

Diese Workshops sind aber nie schwer oder bedrückend. Es entsteht eine ganz besondere Leichtigkeit und Gemeinschaft. Am Ende gibt es eine Abschlussrunde: Jede Person zeigt ihr Boot, sagt vielleicht den Namen des Menschen, für den es gebaut wurde, und ein paar Worte dazu.
Theologisch ist das kaum zu fassen – es entstehen tief berührende Gedanken über Leben, Tod und das, was danach kommt. Manche finden Worte des Trostes, andere bleiben im Zweifel – aber alle spüren: Da passiert etwas Verbindendes, etwas, das trägt.
Wer kommt zu den Workshops?
Das ist wirklich ganz unterschiedlich – von frisch Trauernden bis zu Menschen, die ihren Verlust schon länger verarbeiten. Viele entdecken das Ritual auch als einen späteren Schritt – als Möglichkeit, der Trauer noch einmal Raum zu geben. Es geht nicht darum, dass man nach dem Workshop „fertig“ ist. Das Boot ist ein Symbol, das bleibt. Manche stellen es zu Hause auf – in der Küche, im Badezimmer, am Rand der Badewanne – und nehmen sich irgendwann die Zeit, es loszulassen.
Manche schicken mir Fotos oder Videos, wie sie ihr Boot irgendwann an der Alster, Elbe oder Nordsee schwimmen lassen. Es ist schön zu sehen, dass sie den Zeitpunkt selbst bestimmen.
Gibt es Rituale, die früher selbstverständlich waren und die du vermisst?
Ja, das Aufbahren zu Hause. Früher war es üblich, dass der oder die Verstorbene noch länger im eigenen Haus verblieb, begleitet von Familie und Freunden. Heute wird meist direkt der Bestatter gerufen. Dabei darf man den Toten bis zu 36 Stunden, manchmal auch länger, zu Hause behalten – das ist völlig legal. Ich finde das sehr tröstlich: sich noch einmal Zeit nehmen, vielleicht eine Nacht gemeinsam wachen, Abschied nehmen. Solche Formen geben Halt und Frieden.
Und auch bei Urnenbeisetzungen kann man das ganz bewusst gestalten: Angehörige dürfen die Urne selbst tragen, sie gemeinsam ins Grab senken oder das Grab mit Erde und Blumen schließen. Diese persönlichen Gesten sind so viel wertvoller, als einfach danach Kaffee trinken zu gehen, während andere das Grab schließen.

Den meisten Menschen fällt es schwer, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen oder gar die eigene Beerdigung zu planen. Hast du eine Idee, wieso?
Weil es sich auch anfühlen kann, als würde man jemanden aufgeben. Dabei ist es einfach ehrlich: Wir werden alle sterben. Und es ist eine Entlastung, wenn klar ist, was man sich wünscht.
Ich habe selbst einen festen Platz und sogar eine Playlist für meine eigene Beerdigung – meine Kinder wissen, wo die liegt. Früher wollte ich unbedingt im Sarg bestattet werden, jetzt habe ich ein Urnengrab. Wünsche ändern sich, das ist normal. Aber das Wichtigste ist, dass man überhaupt darüber spricht. Das nimmt den Angehörigen eine riesige Last.
Du bist beruflich ständig mit Trauer konfrontiert. Belastet dich das nicht?
Eigentlich nicht. Trauerarbeit hat ja etwas sehr Ernsthaftes, aber auch etwas Schönes. Ich begleite Lebensgeschichten – und jeder Mensch hat eine. Ich höre so viele berührende, manchmal witzige, manchmal tragische Geschichten.
Natürlich kann man abstumpfen, aber ich fahre meist erfüllt von Friedhöfen weg. Für mich sind das gute Orte. Ich habe dort viele „Bekannte“ liegen, die ich immer wieder besuche. Das lehrt einen Demut und Dankbarkeit. Ich habe selbst Trauer erlebt. Trauer ist auch das Glück, wirklich geliebt zu haben.
Der Glaube verliert in unserer Gesellschaft an Bedeutung. Erlebst du, dass Menschen in der Trauer wieder offener werden, über Gott zu sprechen?
Ja, absolut. Trauer öffnet Türen. Ich glaube, viele spüren sehr genau, ob ich selbst glaube, was ich sage. Wenn ich erzähle, dass ich fest daran glaube, dass es „da drüben“ weitergeht – dann merken sie das. Ich bringe gern einfache, klare Bilder: „Es wäre nicht mein Himmel, wenn dort nicht auch meine Lieben auf mich warten.“ Das verstehen die Menschen. Und sie schöpfen Trost daraus, auch wenn sie sonst nicht religiös sind.
Was wünschst du dir im Umgang mit Trauer – ganz grundsätzlich?
Dass wir Mut zum ersten Schritt haben. Man muss nichts „können“, um für Trauernde da zu sein – nur zuhören und aushalten. Viele Menschen ziehen sich von den Trauernden zurück, weil sie denken: „Jetzt ist es zu spät, um mich zu melden.“ Dabei freuen sich Trauernde unendlich, auch wenn man sich erst nach Wochen meldet oder einfach eine Suppe vorbeibringt. Das ist kein großes Ritual, sondern einfach Menschlichkeit. Und die tut allen gut – auch denen, die helfen.
