PELLWORM

Wiedereinweihung Alte Kirche

12. Oktober 2009 von Gerhard Ulrich

Auf diese Steine können Sie bauen! Das ist ein großes Versprechen: auf etwas bauen können. Gewiss sein, dass es Bestand hat in den Stürmen des Lebens und im Wandel der Zeiten, auch wenn die Fluten kommen und das Wasser bis zum Hals steht.

Auf diese Steine können Sie bauen!  Das ist ein großes Versprechen: auf etwas bauen können. Gewiss sein, dass es Bestand hat in den Stürmen des Lebens und im Wandel der Zeiten, auch wenn die Fluten kommen und das Wasser bis zum Hals steht. Gute Steine versprechen Sicherheit, Stabilität, Geborgenheit, Schutz und Zuflucht. "Come in", she said, "I'll give you shelter from the storm", so hat Bob Dylan in meiner Jugend gesungen, ich gebe dir Schutz im Sturm. Ist das so? Ich habe auch noch andere Zeilen im Ohr.  

"Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört, 
wie damals, als sie die Marschen zerstört"  

Detlef Liliencron hat damit eine Ballade von Hochmut und Fall, vom Stolz der Menschen und von der Macht der Elemente geschaffen. "Sündflut" nannte man das vor 375 Jahren, „grote Mandränke“. Und er beschwört ganz direkt  die uralten biblischen Bilder von den Chaosmächten, die die Welt bedrohen: die alte Schlange, der große Leviathan, das Urbild elementarer Naturgewalt mit einer "weltenvernichtenden Wut". Ein hoch aktuelles Gedicht, finde ich.  

"Im Ozean, mitten, schläft bis zur Stunde
ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen,
und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen.
Trutz, blanke Hans.  

Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen
die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tiefer Atem ein
und peitscht die Wellen und schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
viel reiche Länder und Städte versinken.
Trutz, blanke Hans. "  

Auf den Tag genau 375 Jahre ist es her, dass Strand oder Altnordstrand versank und mit ihm viele Dörfer, Kirchen, Menschen, Vieh. Grausame, elementare Gewalt des Meeres .  

"Gott, hilf mir!" betete der 69 Psalm, und es ist kein Zufall, wenn dieser Psalm auch im „Zentrum Naturgewalten“ in List auf Sylt zu hören ist. Die Mandränken waren und sind die großen Schulen der Angst an der Westküste: "Das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen." Und danach, ganz direkt, die Frage nach Gott: "Ich habe mich müde geschrieen, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott."  

Ihr hier wisst das: Die Menschen auf den Inseln und Halligen leben mit der Macht der Schöpfung. Sie kennen besser als andere die eigenen Grenzen. Wissen, dass wir uns fügen müssen. Leben mit dem Einatmen und Ausatmen der Natur, Ebbe und Flut. Lassen ihr Leben bestimmen davon. Die Menschen hier wissen: das da draußen ist stärker als alles, was wir erfinden und tun, planen und erdenken. Wenn wir die Partnerschaft der Schöpfung verlassen und zu Schöpfern selber uns bestimmen, dann gehen wir unter. Und Ihr hier wisst aus erster Hand, was es bedeutet, wenn das Klima sich wandelt, wenn der Wasserspiegel steigt und steigt – nicht nur im Südpazifik, sondern auch hier an der Nordsee. Wir leben von der  Schöpfung. Aber nur, wenn wir mit ihr leben.  

Auf welche Steine können wir bauen? Viele Steine - real und übertragen -  habt ihr in den letzten Jahren und Jahrzehnten in die Hand nehmen müssen und in die Hand genommen, und ganz viel Geld musste auch in die Hand genommen werden. Dank dafür. Die Alte Kirche erstrahlt in neuem Glanz. Das Seezeichen, die alte Landmarke – sie war und ist auch ein Seelenzeichen.  Asyl, Heimat, Zuflucht in den Stürmen des Lebens und der See, Zuflucht für alle, für Lebende und Tote. Mahnende Erinnerung an den Schöpfer aller Dinge. Mahnung zu Umkehr und Neubesinnung mitten im Meer.  

Die alte Kirche, mit dem wunderbaren Namen St. Salvator, Erlöserkirche, St. Salvator leuchtet wieder. Ein grosses Werk - und ein grosser Dank an und für die ungezählten Herzen und Hände, die mitgetan haben. Ihr alle wart und seid die lebendigen Steine, die den ganzen Bau tragen. Das war und ist beispielhaft - Christengemeinde und Bürgergemeinde arbeiten Hand in Hand: zum Wohl der Insel, zum Wohl der Kirche.  

Ich denke zurück an die tolle Aktion bei Jörg Pilawa, Bürgermeister und Pastorin. Mit Witz und Klugheit, mit Begeisterung für die Sache und für Zuhause habt ihr da gesessen. Und seid belohnt worden. Und habt die Belohnung hergegeben.
Ich habe mir die beeindruckende Liste der vielen guten Werke der letzten sechs Jahre angeschaut, die beeindruckenden Zahlen:  

Das Langhaus grundsaniert, der Kirchplatz neu gestaltet größtenteils finanziert von der politischen Gemeinde. Die Turmruine und der
Glockenstapel wurden saniert mit Hilfe des Kirchenkreises.
Epitaphien, Stiftertafeln, Altar, Kanzel konnten restauriert werden mit
Spenden, Zuschüssen von der Landeskirche, dem Landesamt für Denkmalpflege und Eigenmitteln.
Und schließlich die Kirchenbänke, Gestühl restauriert, wieder eingebaut, neue Sitzpolsterangefertigt, bemalt. Dank allen Institutionen In Land, Kommune, Kirche und EU, Dank allen Einzelspenderinnen und Spendern. Viele  haben sich dies etwas kosten lassen. Ein Grund zur Freude, zu Lob und Dank heute, an diesem so besonderen Gedenktag.  

Ich bin dankbar dafür, dass ihr entschieden habt, dieses Haus als Gottesdienst-Haus, als Bethaus zu erhalten, in dem gelacht, geweint, gehört und geantwortet wird. Ein Haus für das Wort Gottes, aus dem unser Haus des Lebens wachsen kann und Halt finden kann: auf die Steine könnt ihr bauen.  

Also:Lasst uns Gott loben und danken, dass seine Treue St. Salvator durch die Jahrhunderte und selbst in der Mandränke behütet und bewahrt hat. Dass hier immer wieder Menschen aus allen Ständen und Schichten aufgestanden sind, die Verantwortung übernommen  haben für das Gotteshaus und die Gemeinschaft.
Dass im Schatten dieser Kirche eine lebendige, starke Gemeinde entstanden ist. Ein Organismus aus lebendigen Steinen -  gesegnet mit ganz vielen Talenten, ganz vielen kreativen Köpfen und ganz vielen engagierten Herzen  

Lasst uns Gott loben und danken, dass Menschen hier immer wieder Heimat gefunden haben, Kraft, Geborgenheit, neuen Lebensmut.  

Ist das heutzutage weniger wichtig als vor 700 Jahren? Emails fliegen um den Globus, aber die Seele geht zu Fuß. Gerade heute, wo Mobilität und Kommunikation Länder, Kontinente, Kulturen zusammenrücken, wo fast alles zur Disposition steht , fast nichts mehr selbstverständlich ist -  gerade heute müssen wir unsere Wurzeln kennen,  woher wir kommen, wohin wir gehen, wohin wir gehören. Das Leben ist  nicht nur Sonnenschein. Es gibt Zeiten, wo uns der Wind heftig ins Gesicht bläst. Gerade dann musst du Boden unter den Füßen haben, ein Fundament, das dich trägt. Je weiter der Horizont, desto wichtiger Standort und Halt. Das gilt nicht nur für uns Ältere - es gilt vielleicht noch stärker für die jüngere Generation die beweglich sein soll, flexibel in ihrem Lebensentwurf  dauermobil.  

Gotteshäuser wie die alte Kirche sind ein Schatz. Sie prägen nicht nur die Landschaft draußen, sie geben unserer Seelenlandschaft Silhouette, Profil und Tiefe.  

Wenn in diesen Tagen hier in Nordfriesland der großen Mandränke gedacht wird, dann geht es ja nicht nur darum, an ein grandioses Naturereignis zu erinnern, das unsere Kulturlandschaft nachhaltig geformt und verändert hat. Nein: Erinnerung hat immer Energie für die Zukunft. Sie mahnt zur Umkehr. Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung, sagt die Bibel. Und dafür steht St. Salvator: zu erinnern an den Schöpfer und seine Macht. Zu erinnern an seinen Auftrag, zu bewahren, was er geschaffen hat. Zu erinnern daran, dass nicht wir die Herren der Welt sind.
Wir brauchen solche Stätten der Erinnerungs-Erlösung, damit wir nicht vergessen, wer wir sind, wem wir uns verdanken – und was wir eben nicht sind.
Aus der Erinnerung an die große Flut  wächst die Mahnung zur Umkehr: das Meer steigt – nicht nur im Südpazifik, sondern auch in der Nordsee. Und höhere Deiche halten es nicht im Zaum allein. Es braucht Deiche um unsere ungezügelte Lebensweise auf Kosten der Natur und unserer Kinder! Wir brauchen Deiche der Demut und der Achtung; Deiche der Wertschätzung und der Gerechtigkeit und des Rechts für alle Menschen.
Gottes Wort in Gebot und Verheißung ist das Material für diese Art Deiche.  

Auch dafür, liebe Schwestern und Brüder, auch dafür stehen Mauern und Turm der Alten Kirche, auch das predigen ihre Steine seit Jahrhunderten - hinaus in die Weite von Land und Meer, hinein in die Seelen der Insulaner und ihrer Gäste…  

„Wer zu mir kommt und hört meine Rede und tut sie - ich will euch zeigen, wem er gleicht. Er gleicht einem Menschen, der ein Haus baute und grub tief und legte den Grund auf Fels. Als aber eine Wasserflut kam, da riss der Strom an dem Haus und konnte es nicht bewegen; denn es war gut gebaut. Wer aber hört und nicht tut, der gleicht einem Menschen, der ein  Haus baute auf die Erde, ohne Grund zu legen; und der Strom riss an ihm und es fiel gleich zusammen, und sein Einsturz war groß.“  

Natürlich: das ist kein Nachhilfeunterricht für Architekten, Maurer oder Häuslebauer. Es geht um Sein oder Nicht-Sein – um unser Lebensfundament. Wo finde ich Zuflucht? Was ist das Haus meines Lebens? Woraus besteht es? Was sind seine Fundamente? Worauf baue ich? Was gibt mir Boden unter die Füße? Hat mein Bau Bestand in den Stürmen des Lebens – wenn „Land unter“ ist nicht nur draußen, sondern drinnen in meiner Seele? Im Treibsand von Wirtschafts- und Finanzkrise? Da sind in den letzten Monaten ja nicht nur Häuser, sondern ganze Systeme verunken, auf die wir meinten eine sichere Bank zu haben.  

Auf welche Steine können wir bauen? Was sind die Fundamente meines Lebens? Ist es die eigene Gesundheit, ein halbwegs sicherer Arbeitsplatz, das gedeckte Bankkonto, mein Haus?
Ist das lockerer Sand oder ein solider Fels, der allen Fluten trotzt?
St. Salvator hat lange und immer wieder den Stürmen und den Wassern getrotzt. War Orientierung für die Menschen draußen auf See und noch mehr für die Menschen um die Kirche herum. Und auch, als der Turm abgebrochen war, blieb doch stehen das Haus. Der abgebrochene Turm – auch er ein Bild für unser Leben, das brüchig ist und das Abbrüche zu verkraften hat. Und das dennoch bei Gott geliebt und wertvoll ist.
Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Menschen,  der sein Haus auf Fels baute.  

Diese Rede hören und tun - das kann dann nur heißen: Dieses Ja Gottes nicht gering zu achten. Es anzunehmen und zu Basis und Fundament des Lebens werden zu lassen. Das ist der Deich, der schützt, damit wir nicht weichen müssen: Ja, du bist nicht von Gott und der Welt verlassen, auch wenn es Dir ganz oft so vorkommt. Ja, er hält zu dir - in allem, was kommt.  Wenn du durchs Wasser gehst, so will ich bei dir sein, und wenn durch Ströme, so sollen sie dich nicht ersäufen.  

Auf diesen Stein kannst du bauen – dein Leben. Es wird nicht verschlungen, das Haus deines Lebens, wie dieser Stein hier. Dafür steht St. Salvator. Für dieses Versprechen Gottes. Und für die lebendigen Steine, aus denen das Haus des Lebens wächst: die, die hören die Rede und tun, was sie hören.  

Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus!            

 

 

 

 

Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.  

Liebe Festgemeinde, liebe Schwestern und Brüder,  

(Mit Stein in Hand) Auf diese Steine können Sie bauen! So haben wir von Bausparkassen und Banken immer gehört.
Ein schönes Stück hier: Schwer, solide, massiv liegt er in der Hand, schon etwas verwittert, Muscheln. Seepocken usw. Wie viele Jahrhunderte mag er alt sein? Vielleicht untergegangen heute vor genau 375 Jahren, als Teile der alten Insel Strand versanken? Größer als unsere heutigen Backsteine, Klosterformat, mit der Hand gestrichen. Vor Jahren habe ich ihn im Watt gefunden hier vor Pellworm, beim Fischen mit JeJe Ohrt. Da draußen kann man das immer wieder sehen, wie die Wasser nicht nur verschlingen und zerstören, sondern auch wieder freigeben kann: mahnende Erinnerung an die Gewalt und die Macht der Schöpfung. So liegt er seit Jahren auf meiner Fensterbank und meine Blicke fallen auf ihn beim Schreiben einer Predigt. Ein schönes Stück, ein Kunstwerk fast. Mit den Mühen und mit den Begabungen eines Menschen geschaffen.
Der Stein erinnert mich an Pellworm. Und er erinnert mich natürlich an die versunkene Kultur, an unsere Abhängigkeit von der Natur. Und er mahnt, mich nicht für größer zu halten als die Macht, die diesen Stein aus dem Mauerwerk gerissen hat, zu dem er gehörte. Und noch etwas sehe ich in ihm: wir können Kunstwerke schafffen. Auch nützliche Dinge. Wie diesen Stein. Aber alles, was wir schaffen, ist Fragment, Stückwerk, vergängliches Werk. Und so ein Stein nutzt gar nichts, wenn er nicht sich einbauen lässt in ein Gebäude: allein ist er nichts, allein sind wir als lebendige Steine nichts. Darauf können wir nicht bauen.

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