9. September 2018 | Dreifaltigkeitskirche zu Hamburg-Hamm

Wir brauchen sie, ihre Kraft, ihre Liebe und ihre Besonnenheit

09. September 2018 von Kirsten Fehrs

Einsegnungsgottesdienst am 15. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zu Lukas 10, 1-11

Liebe Schwestern und Brüder,

geht hin – da haben wir es also schwarz auf weiß, oder besser: magenta auf weiß. Was könnte besser passen an einem Tag wie heute? An dem eben nicht allein 10 Diakoninnen (es lebe die Frauenförderung!) eingesegnet und in den Dienst der tätigen Nächstenliebe entsandt werden – und dies mit Freude, Hoffnung und nie allein - , sondern auch sieben Brüder und Schwestern aufgenommen werden in die Gemeinschaft. Ich freue mich sehr, dass ich an diesem Ihrem besonderen Tag teilhaben darf. An Ihrem Singen, Nachdenken, Ihren Hoffnungen. Und an Ihren persönlichen, so vielfältigen Lebenswegen, die Sie heute nun in diese Kirche führen, direkt vor dieses Hinweisschild mit dem Mutwort „Geht hin“! Das ist gerichtet an alle hier: den Ältestenrat, die Einzusegnenden und Aufzunehmenden, die Freund/inn/e/n und stolzen Angehörigen und natürlich diese wunderbare Gemeinde, danke liebe Hammer Dreifaltigkeitsgemeinde, dass Ihr zu den Rauhhäuslern niemals gesagt habt: „Geht hin, und zwar am liebsten woanders“, sondern: „Seid willkommen in unserem Zelt, esst und trinkt in Frieden am Tisch des Herrn und vor allem: kommt zur Ruhe und setzt euch erst einmal.“

Denn das gehört ja in unserem Glauben genau zusammen, seit Adam und Eva, Abraham und Sara: Aufbruch braucht Segen, und Losgehen braucht Kraft. So oft binden uns in enormer Stärke alte Pflichten, Beziehungen, Ängste oder Gewohnheiten  - und halten uns zurück, ja machen uns fest. Aber unser Bibeltext im Lukasevangelium sagt das Gegenteil: Mache dich auf. Öffne dich für das Neue. Verlass die übliche Route. Und sortiere mal, was du alles in deinem Lebensrucksack an Ballast mitschleppst. Geldbörse und altes Schuhwerk, Verstörendes und Seelensteine, angstmachende Wolfsworte und verletzende Erinnerungen. Deshalb: innehalten. Klar werden. In sich gehen (oder auf einen Meditationsweg), leichter werden und dann rausgehen – das ist die Bewegung! Zumal da ja eine Verheißung lockt! Gottes Reich ist nahe herbeigekommen! Geht dahin, ihm entgegen! Um anzukommen. Zuallererst beim Nächsten. Und damit bei Gott. Er hält die Welt im Innersten zusammen, indem er uns in die Welt sendet. Immer schön zu zweit. Am liebsten 72 mal 72 wunderbare Diakon/inn/e/n und Ehrenamtliche, Älteste und Jüngste. Mitten hinein in die Welt mit ihrer Not und ihrer Schönheit. Als eine Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, heißt also: als eine Kirche mit ihrem Diakonat, die solidarisch ist und diakonisch-kreativ und einfühlsam und politisch wach, die sich um der Liebe willen hingeben und verändern will ….

„Geht hin!“ – hören wir also und bleiben erst einmal gemütlich sitzen in der Kirchenbank. Es sei allen von Herzen gegönnt, das Sitzen. Doch einmal auf unsere gesamte Kirche geschaut, wundere ich mich schon manchmal, wie es funktionieren will mit der tätigen Liebe, wenn man bedenkt, wie viel wir in Sitzungen sitzen, uns mit Weizenbrötchen und Mayonnaise beschweren und gesetzt Gesetze in Berge von Papier bringen…

Mache dich auf – dann erst wird´s licht. Am vergangenen Sonntag haben16 000 Hamburger/innen gezeigt, wie das geht. Viele Kirchenleute darunter, danke dafür! Sie haben sich mitsamt ihrer Lebensliebe aufgemacht und mit knallorangen Westen Licht hineingebracht in die düstere Stimmung, die nicht erst seit Chemnitz unser Land bedrückt. Rechtspopulistische Hetze, Spaltung und Kälte – ein tobender Mob und drohende Selbstjustiz in Chemnitz, liebe Geschwister, das ist doch unheimlich! Und vielen ist klar geworden: Es braucht jetzt eine aktive Bewegung der Liebe, um diese Dynamik des Hasses aufzuhalten und umzukehren. Und mehr noch: Wir alle haben verstanden, dass Demokratie kein Selbstgänger ist. Sondern – runter von den Sofas und Kirchenbänken! – dass man Haltung und sich selbst zeigt. Friedlich und klar müssen wir Zeichen der Humanität und der Demokratie setzen. Wir werden nicht dulden, dass man Flüchtlinge auf See ertrinken lässt und auch nicht, dass sie angepöbelt und zusammen geschlagen werden! Wenn wir hier irgendeine Unklarheit lassen, sind wir schon auf dem Weg in die Barbarei. 

Natürlich müssen wir darüber reden – und sicherlich auch streiten -, wie Zuwanderungspolitik aussehen müsste und wie die Integration auch schwersttraumatisierter Menschen gelingen kann – Diakonie ist für die Gesellschaft hier ein Segen! Zugleich ist wichtig, dass wir als Christenmenschen im Blick auf die humane Katastrophe im Mittelmeer darauf dringen, dass alle europäischen Länder ihrer Verantwortung nachkommen. Klar ist, dass das nicht einfach zu lösen ist. Aber klar ist auch: gar nicht gelingen wird dies, wenn jedes Land sagt: Hauptsache ich nicht! Denn das setzt eine todbringende Spirale in Gang. Irgendwann macht dann auch noch der letzte Hafen dicht! Also: wir müssen aufbrechen. Wir müssen sie aufbrechen, diese „Hauptsache ich nicht“- Stimmung!

Sagt auch unser Predigttext über die Nachfolge Jesu. Christengemeinschaft ist Weltgemeinschaft! Wir sind Welt-Geschwister, die gemeinsam Verantwortung tragen für das Erdenhaus, im griechischen übrigens: Oikumene. Geht hin – und zeigt: Friede diesem Hause. Unsere Kirche mit ihrer Diakonie ist von jeher ein universales Lebensmodell. Abschottung und Ausgrenzung - unzulässig! Es gehört zu unserer DNA, Asyl zu geben, Schutzraum der Freundlichkeit für jeden Gast und Fremdling zu sein. Das können wir gar nicht oft genug unter Beweis stellen. Ist doch das Reich Gottes, das Reich der Himmel nahe herbei gekommen.

Vor drei Tagen wurde das für mich noch einmal konkret sichtbar in St. Petri. Dort haben wir zur China-Time einen deutsch-chinesischen Gottesdienst gefeiert. Mit dabei auch ein wunderbar formvollendeter Chor, 40 Leute, sämtlich in Hamburg eingewanderte Chinesen. Sie seien froh, in Hamburg ein neues Zuhause gefunden zu haben, sagte ein Sprecher. Und so wollten sie uns etwas zurückgeben. Und sangen: Freude schöner Götterfunken, voller Inbrunst und begleitet von einem mörderisch lauten Orchester vom Band. Das war, sagen wir, auch eine Art Fremdheitserfahrung. Dann sagten sie: Ja, Hamburg ist jetzt unsere Heimat, aber wenn in diesen Septembertagen die ersten Blätter fallen, dann sind wir mit den Gedanken doch wieder in China. Und sie sangen noch einmal, diesmal ein himmlisch leises und zartes Lied auf Chinesisch, in dem von Heimweh die Rede ist, und von Tränen. Und alle kamen wir an in dieser Melodie und konnten beten, gemeinsam auf Deutsch und auf Chinesisch, verbunden mit dem Gott, der unser aller Himmel und Erde gemacht hat.

Interkulturelle Öffnung at its best. Gemeinsam singen, zusammen beten. Mir ist in dem Moment wieder so klar geworden, wie wichtig unsere Kirche mit ihrer Gemeinschaft ist. Als Ort der Zuflucht. Als Raum des Dialogs. Und als Dach des Segens. In ihnen kann eine Sprache wachsen, die über den einzelnen Sprachen steht. Eine Sprache, die von dem Geist geprägt ist, etwas neu verstehen zu wollen, über weltweite Grenzen hinweg.

Ich bin von Herzen dankbar, wie viele in unserer Kirche diesen Geist bezeugen. Im besten Sinne für Christus „Zeugnis ablegen“, weil sie klar sind und herzlich und besonnen und verliebt ins Leben. Wie ein Gegensignal zur Angst vor den Wölfen, zu all den Demagogen, die diese Angst schüren, sagen sie zu den Zufluchtsuchenden: Bleibt. Unser Land braucht Veränderung! Und alle in unserer bunten Migrationsgesellschaft fordern wir auf: Geht hin!

Als am vergangenen Mittwoch erneut zehntausend Menschen auf die Straße gingen, um 185 Merkel-muss-weg-Demonstranten fröhlich entgegen zu pfeifen, kam es zu einer wunderbaren Begebenheit. Meine Sekretärin kam von der Demo an einem türkischen Gemüseladen vorbei, und dachte sich: günstige Gelegenheit, ein bisschen Schafskäse zu kaufen. Drei junge Türken waren in dem Laden gerade über ihr Smartphone gebeugt und debattierten: „Eh, Alter, wie viele sind es? Sind es mehr als die anderen?“ „Ja!“, schaltete sie sich spontan ein. „Soweit ich das einschätzen konnte, waren es bestimmt 10.000 hier und 185 dort.“ „Super, eh, Tausende! Die sind ja für uns“, sagte der eine begeistert. „Eh Digger, das nächste Mal gehen wir auch hin“, sagte der andere. Und zu meiner Sekretärin gewandt: „Den Schafskäse schenke ich Ihnen, danke, dass Sie auf der Demo waren!“ – und reichte ihr die Hand.

Nun also: Geht hin – liebe Gemeinde. Denn es geht um viel.

Geht hin – liebe Diakone und Diakoninnen, es lohnt sich für die Besserung der Welt. Und für die der Kirche. Und die sagt Ihnen ganz klar: Kommt. Herzlich Willkommen in unserer Kirche. Wir brauchen Sie. Ihre Kraft. Ihre Liebe und Ihre Besonnenheit. Ihre Gaben und Kreativität, Glauben und Handeln in eins zu bringen. Das ist die besondere Stärke im Dienst als Diakone in der Gemeinschaft aller Dienste: Tätige Nächstenliebe mit Mut und Elan! So weist bei der Einsegnung der Segen doch nach vorn! Man wird ja entsendet, nicht hingesetzt!

Diese Dynamik ist Ihnen allen abzuspüren. Die Freude, als Gesegnete nun zum Segen werden zu wollen. Und sie können soviel bewirken! Sie können mittun daran, dass Menschen sich im Glauben zu Hause fühlen. Sie können mittun daran, dass die alten Verheißungen auch für Kinder und Jugendliche zu einer Kraft werden, so dass sie Frieden stiften. Dass Arme und Benachteiligte ihre Last nicht mehr allein tragen müssen. Dass kranke Menschen wieder mit dem Leben rechnen. Sie können Gedanken in Bewegung und Verhältnisse zum Tanzen bringen. Gebe Gott, dass Ihnen - und uns! - diese Dynamik erhalten bleibt. Geht hin, es gibt so viel zu tun, und Sie, liebe Diakon*innen, werden mit Freuden erwartet. Gott segne Sie auf Ihrem Weg, wohin immer er sie führt. Und er segne uns mit seinem Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

 

 

Datum
09.09.2018
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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