Wir wissen: Hoffnung braucht Erinnerung
24. April 2016
Fürbitte im Rahmen der ökumenischen Gedenkfeier für die Opfer der SED-Diktatur beim 20. Bundeskongress der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit den Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen
Unser Gott,
als ganz Verschiedene sind wir gemeinsam hier –
Opfer von Unrecht in der Sowjetischen Besatzungszone und unter der SED Diktatur, Angehörige, Hinterbliebene, Menschen, die dies aufarbeiten, Deutsche aus der alten Bundesrepublik und der ehemaligen DDR.
Wir sind hier mit dem, was auf uns lastet, was uns begleitet, was wir tragen seit vielen Jahren; was nicht loszuwerden ist, nicht abzuschütteln.
Unser Gott,
wir erinnern die zerstörten Hoffnungen und Leben: Biographien, die ungelebt blieben, Fluchtversuche, innere Emigration, mutige Taten des Widerstands und der Verweigerung - all jener, die unter der SED Herrschaft nicht leben wollten, und wir gedenken derer, die wie durch blinden Zufall in die Stasi-Maschinerie gerieten.
Auf Deine Güte vertrauen wir. Bei dir sind aufgehoben: jene, die voller Angst untröstlich und ungetröstet starben. In Deinem Gedächtnis sind bewahrt: jene, die überlebten, aber an schlimmen Erfahrung schwer trugen und noch tragen. Hilf uns, die Lebenden zu trösten und mitzutragen der anderen Last.
Unser Gott,
Menschen, die leiden mussten in der kommunistischen Diktatur, fragen: Wer will meine Wahrheit hören? Wer gibt mir Raum, den meine Worte ausfüllen möchten? Wer hört Wut und Klage? Scham und Fassungslosigkeit?
Da sind Worte, die manchmal zögernd in die Welt stolpern, die manchmal aus mir herausbrechen wie schneidende Scherben. Worte, die anklagen: Wo warst Du damals, Gott?
Hilf uns, dass wir mitfühlen und begleiten, dass wir den Menschen und ihren Geschichten mit Aufmerksamkeit und Wertschätzung begegnen. Hilf uns, Räume immer neu zu öffnen der heilsamen Erinnerung ebenso wie dem verschwebenden Schweigen über Unsagbares. Damit der Schrecken nicht überwältigt und sprachlos macht und die Hoffnung ganz raubt.
Unser Gott,
schwer haben wir zu tragen an der Gewaltgeschichte unseres Volkes. Vor 1945 im ganzen Land, danach in der DDR. Wir alle haben gesündigt, sagt uns der Apostel Paulus, und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten.
Gib uns die Kraft, gemeinsam zu trauern und standzuhalten, helfende Menschen zu sein und solidarische – gerade in diesen Zeiten, da wieder Hass aufsteht und Angst und Eigensinn, da es wieder Opfer gibt. Schenke uns Mut, immer für Freiheit und Menschenwürde einzutreten.
Wir wissen: Geschichte duldet keinen Schlussstrich.
Wir wissen: Zukunft braucht Erinnerung;
Hoffnung braucht Erinnerung.
Unser Gott,
unter der brüchigen Oberfläche unseres Landes sind wir verstört, gespalten und zertrennt. Vereinte, aber Verschiedene. Lass uns Hörende werden und Lernende bleiben. Bewahre uns in versöhnter Verschiedenheit.
Hilf Du, dass den Opfern, ihren Kindern, den Angehörigen Gerechtigkeit widerfährt und dass sie Heilung erfahren. Hilf, dass die Täter nicht davonlaufen und auch nicht die schweigenden Zuschauer – sondern ihre Schuld erkennen. Und sie dann weiterleben können, ohne davon erdrückt zu werden.
Wir bitten Dich um die Heilung unserer so tief gestörten gesellschaftlichen Beziehungen, für die Befreiung von der Feindschaft, für eine warmherzige Gerechtigkeit. Zeige uns, wie ein wahrhaft menschliches Miteinander aussehen kann.
Dir anvertrauen wir uns. Sei ganz Ohr. Damit wir uns nicht fürchten.
Und alles, was uns bewegt, dürfen wir hineinlegen in das Gebet, das Jesus uns beten gelehrt hat:
Vater unser im Himmel…
Amen