Themensynode Digitale Horizonte

YouTube und Instagram reichen nicht: Es gilt, die Digitalisierung der Nordkirche zu professionalisieren

Die Digitalisierung ist für die Kirche eine echte Innovationschance, sagt Prof. Tilo Böhmann. „Es gibt jedoch unzählige digitale Möglichkeiten, die sich laufend wandeln. Wir müssen also Innovationsräume schaffen.”
Die Digitalisierung ist für die Kirche eine echte Innovationschance, sagt Prof. Tilo Böhmann. „Es gibt jedoch unzählige digitale Möglichkeiten, die sich laufend wandeln. Wir müssen also Innovationsräume schaffen.”© Mariia Sapunova / iStockphoto

18. November 2021 von Agnes Zeiner

Die nächste Landessynode beschäftigt sich mit dem digitalen Wandel. Warum Digitalisierung mehr ist als Gottesdienste zu streamen, was digitale Köpfe sind und dass das auch bedeutet, Menschen mitzunehmen, die nicht digital unterwegs sind - darüber sprachen wir mit Dr. Tilo Böhmann, Professor im Fachbereich Informatik an der Universität Hamburg und Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses der Synode der Nordkirche.

Prof. Dr. Böhmann, Frage an den Fachmann: Wie digital ist die Nordkirche?

Die Nordkirche ist bereits digital unterwegs! Und zwar nicht erst seit der Corona-Pandemie, obwohl diese noch zusätzlich dazu beigetragen hat: Während der Lockdowns haben die Kirchenkreise und -gemeinden mit Hilfe digitaler Tools wie Streaming und Messenger-Diensten den Kontakt zu ihren Mitgliedern aufrechterhalten, und wir alle haben neue Formen entdeckt, miteinander zu arbeiten. Viele Aktive in der Nordkirche waren aber auch schon lange vor Corona in den Sozialen Medien präsent und haben digital kommuniziert. Und sie sind gut vernetzt, beispielsweise über das Hansebarcamp.

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Prof. Dr. Tilo Böhmann© Nordkirche

Zur Person

Zur Person: Prof. Dr. Tilo Böhmann ist Professor an der Universität Hamburg im Fachbereich Informatik und Leiter der Forschungsgruppe IT Management & Consulting. Er ist als Ehrenamtlicher Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses der Landessynode der Nordkirche und Mitglied der Kirchenleitung.

Trotzdem: „Digitalisierung“ ist mehr, als seinen Glauben auf Instagram und YouTube zu teilen, mehr als Gottesdienste zu streamen und Bibelstunden über Zoom abzuhalten. Das alles ist gut und wertvoll. Aber es reicht nicht. Damit die Kirche für die Zukunft gut aufgestellt ist und ihren Auftrag auch in der digitalen Welt erfüllen kann, müssen wir jetzt den nächsten Schritt gehen, und das bedeutet: Regelstrukturen, Infrastruktur und Verbindlichkeiten zu schaffen.

Welche Chancen eröffnet die Digitalisierung der Nordkirche?

Die Digitalisierung ist für die Kirche eine Innovationschance – ich würde sogar so weit gehen, sie mit der Erfindung des Buchdrucks zu vergleichen. Immer mehr Menschen nutzen digitale Tools, was neue Wege und Möglichkeiten eröffnet, auf sie zuzugehen, ihnen zu helfen und das Evangelium zu verkünden. Kirche wird so neu erlebbar. Menschen teilen Glauben auf neuen Wegen, praktische Hilfe für andere kann neu gedacht werden.

Wo liegen die Herausforderungen?

Im breiten Themenfeld der Digitalisierung gibt es unzählige Möglichkeiten, die sich laufend wandeln. Um sie für uns zu nutzen und weiterzuentwickeln, müssen wir Innovationsräume schaffen. Digitalisierung ist eine echte Transformationsaufgabe: Man muss die notwendigen Ressourcen und gleichzeitig die notwendigen Strukturen schaffen, um deren Potential auszuschöpfen. Das ist eine enorme Aufgabe, aber sie lohnt sich, denn der digitale Weg ist wichtig, um auf Menschen zuzugehen. Zentral sind dabei „digitale Köpfe“.

Was meinen Sie mit „digitalen Köpfen“?

Will man die Digitalisierung richtig machen, braucht es Mitarbeiter*innen mit völlig anderen Qualifikationen als diejenigen, die die Nordkirche heute hat. Besser gesagt: Wir haben sie, aber es sind zu wenige. Ein Beispiel: Während der Pandemie haben viele Kirchengemeinden angefangen, ihre Gottesdienste zu streamen. Das notwendige Wissen dafür in Bezug auf Video, Schnitt, Ton, Plattformen etc. kam oftmals von Ehrenamtlichen und einigen wenigen Hauptamtlichen. Oftmals wurden solche Angebote dort möglich, wo es diese Menschen gibt. Deren Zahl ist aber begrenzt. Letztendlich kann das leicht zu hohen Erwartungen an diese Menschen mit Expertise und damit zu Überlastung führen. Ebenso gilt: Gäbe es mehr „digitale Köpfe“ in der Nordkirche, könnten wir mehr digital anpacken.  Die Herausforderung bei der Gewinnung „digitaler Köpfe“ ist zudem, dass die Digitalisierung nicht nur für die Nordkirche ein brennendes Thema ist, sondern für praktisch alle Organisationen und Unternehmen, und daher der Fachkräftemangel in diesem Bereich besonders ausgeprägt ist.

Sie haben auch die strukturelle Ebene angesprochen…

Ja, um Abläufe zu professionalisieren braucht es auch eine planende und steuernde Ebene. Konkret meine ich hier Menschen mit IT-Kompetenz und Erfahrungen im modernen Projektmanagement. Nur so kann man große Projekte angehen, wie z.B. eine gemeinsame Kommunikationsplattform für die gesamte Nordkirche einzuführen.

Sie haben vorhin die Ehrenamtlichen erwähnt. Welche Rolle spielen sie – und natürlich die Hauptamtlichen – bei der Digitalisierung der Nordkirche? Was brauchen sie, um die digitale Kirche leben zu können?

Kirche ist keine Top-Down-Veranstaltung! Die Ehrenamtlichen, die mit unseren Hauptamtlichen zusammenarbeiten, tragen die Nordkirche.  Wie alle Akteure ist auch die Nordkirche fundamental auf eine gute Zugangsmöglichkeiten zum Internet in der Fläche angewiesen. Im Gebiet der Nordkirche mit vielen ländlichen Gegenden ist das kein unwesentlicher Punkt. Und wenn wir die Teilhabe möglichst Vieler ermöglichen wollen, bedeutet das auch: Sind die notwendigen Endgeräte vorhanden, in entsprechender Qualität, mit der richtigen Ausstattung? Und haben alle die richtigen Qualifikationen für das, was sie tun wollen bzw. was wir von ihnen erwarten, und wenn nicht, wie können wir diese vermitteln?

Heißt das, die Nordkirche soll allen Ehrenamtlichen Glasfasernetz, Computer und Handy zur Verfügung stellen? Das ist wohl nicht möglich…

Nein, aber wir müssen uns fragen: Was können wir Nordkirche-weit organisieren, und was nicht? Mit professionellen Strukturen können wir Raum und Möglichkeit für Innovationen schaffen. Dazu gehört auch, das Spannungsfeld zwischen ortsbezogener Gemeinde und Digitalisierung zu entschärfen. Wenn beispielsweise eine Pastorin oder ein Pastor heute in sozialen Medien kommuniziert oder über Videoplattformen erfolgreiche Angebote schafft, können Tausende daran teilnehmen. Nur: Das sieht unsere typische Struktur gar nicht vor. Dr. Sabrina Müller von der Universität Zürich hat das sehr treffend als „kirchliche Biodiversität“ bezeichnet, wo sich traditionelle und neue Formen ergänzen – und genau das müssen wir mit unseren Bemühungen nicht nur ermöglichen, sondern fördern.

Von welchen technologischen Entwicklungen und Trends kann die Nordkirche in Zukunft profitieren?

Ich sehe hier drei große Themenfelder:

  • Einerseits Entwicklungen, die in Kommunikationsprozesse eingreifen. Denken Sie zum Beispiel an Chatbots, die es derzeit ja schon auf vielen Websites gibt. Diese werden dank Künstlicher Intelligenz (KI) immer dialogischer. Für die Kirche ist das sehr wichtig - schließlich ist Kommunikation der Kern unseres Auftrags.
  • Ein weiterer Trend sind erweiterte und virtuelle Welten, und wir müssen uns klar werden, wie wir damit umgehen und Menschen im virtuellen Raum begegnen wollen.
  • Und schließlich können wir von Automatisierungsprozessen profitieren, die unsere Mitarbeiter*innen entlasten, so dass mehr Zeit für andere, wichtigere Aufgaben bleibt. Das gilt für die Verwaltung wie auch für diakonische Angebote. So wünschte sich vor kurzem die Leitung einer großen diakonischen Einrichtung, dass Roboter z.B. Logistikprozesse in Pflegeheimen unterstützen, um etwa Materialien aus dem Lager zu holen. Das würde den Pflegenden viel Wegezeit ersparen und sie können sich besser um die Menschen kümmern.

Gibt es Institutionen oder Organisationen im Umfeld der Nordkirche, die für uns Vorbild bei der Digitalisierung sein könnten?

Ja, die gibt es – und eine davon ist sozusagen mitten unter uns: Die Hansestadt Hamburg ist seit Jahren führend bei der Digitalisierung und an der Spitze des Bitkom Smart City Index.

Was macht Hamburg denn so vorbildlich? Und was könnte die Nordkirche für sich ableiten?

Ich sehe hier drei Gemeinsamkeiten. Einerseits das Thema Strukturen und Ressourcen – über das haben wir ja schon gesprochen. Hamburg ging das Thema sehr strategisch und konzentriert an und hat sowohl einen kompetenten Pool an digitalen Köpfen aufgebaut als auch die nötigen Strukturen geschaffen, damit diese arbeiten können. So wurde bereits 2018 in der Senatskanzlei das Amt für IT und Digitalisierung geschaffen, das von einem CDO (Chief Digital Officer) geleitet wird und über alle Fachbehörden hinweg arbeitet.

Ein zweiter, wichtiger Punkt: Hamburg hat seineDigitalstrategie ganz konkret formuliert. Gut zusammengefasst ist das auch im Magazin „Computerwoche”. Wir haben unseren Zukunftsprozess Horizontehoch5initiiert, mit dem wir die Prioritäten der Nordkirche der Zukunft setzen wollen, und eines der Handlungsfelder ist die Digitalisierung. Zwar haben wir schon einen Anfang mit einem synodalen Schwerpunkt zur Digitalisierung gemacht, aber das reicht noch nicht. Im Rahmen des Zukunftsprozesses sollten wir eine Digitalisierungsstrategie konkreter beschreiben.

Und der dritte Punkt?

Das ist die Orientierung am Gemeinwohl. Wie eine Stadt sind wir als Kirche für alle da, und müssen uns gut überlegen, wie wir die Digitalisierung vorantreiben, sodass wir alle mitnehmen. Ein Unternehmen beispielsweise kann da ganz anders vorgehen: Wenn das Management beschließt, dass die Kunden bei diesem Unternehmen nur noch digital einkaufen können, dann ist das auch eine Entscheidung gegen diejenigen Kunden, die dabei nicht mitmachen können oder wollen – man wendet sich also bewusst von ihnen ab.

Wir aber wollenalle Menschen mitnehmen. Wie also wollen wir Kirche im digitalen Zeitalter neu denken? Es geht nämlich um mehr als darum, die Verwaltung zu digitalisieren – es geht um digitale Partizipationsprozesse: Wie können wir Haupt- und Ehrenamtliche und unsere Mitglieder einladen, sich an der (digitalen) Zukunft der Nordkirche zu beteiligen, diesen Prozess mitzugehen und mitzugestalten? Durch Einzelne, in den Kirchenkreisen und Gemeinden und durch den Zukunftsprozess ist schon viel geschehen, und wir sind auf gutem Weg. Nun gilt es, die Digitalisierung zu professionalisieren.

Prof. Dr. Böhmann, herzlichen Dank für das Gespräch!

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