26. September 2014 | Lübeck-Travemünde im Brügmanngarten

Zeit des Handelns ist gekommen

26. September 2014 von Gerhard Ulrich

Gottesdienst der Ersten Landessynode der Nordkirche, Predigt über Markus 4, 35 – 41

Liebe Schwestern und Brüder!

Als die ersten Böen über das Meer fegen, machen sie sich noch keine Sorgen. Ja, es sind Gewitterwolken am Himmel. Grau und schwer hängt der Regen über dem Wasser. Aber das ist doch eigentlich nichts Besonderes. Sie kennen das. Sie haben schon manches schwere Wetter erlebt. Man muss sich eben darauf einstellen, einige Vorsichtsmaßnahmen treffen und dann warten, bis es vorüber ist.

 

Aber dann kommt es doch anders. Der Wind wird immer stärker und stärker. Ein brausender Orkan – sein Tosen betäubt die Ohren; mit Urgewalt zerrt er an Mensch und Natur, bringt die See zum Brodeln, zerreißt und zerbricht allen Schutz und Schirm, türmt Wellen auf, die alles verschlingen.

 

Und der große Schrecken kommt über sie. Als sie spüren, wie sehr sie zum Spielball der entfesselten Naturgewalt geworden sind. Als sie merken, dass es keinen Halt mehr gibt und die alten Wege ins Nichts führen. Als sie erkennen: Wir haben uns etwas vorgemacht, als wir dachten, es werde schon nicht so schlimm werden und es habe sich doch immer wieder beruhigt und in die vertrauten Bahnen gefügt.

 

Der große Schrecken und die Angst ums Überleben.

 

Wenn wir auch solchen Schrecken und solche Angst ums Überleben nicht erleben – höchstens ganz vereinzelt – so sehen wir doch Menschen, die von solchem Schrecken und solcher Angst gezeichnet sind. Die nach verheerenden Orkanen und Fluten in den Trümmern ihrer Städte und Dörfer stehen. Mehrfach innerhalb weniger Jahre. Die zusammengekauert mit ihren Familien auf Dächern sitzen, weil rings herum alles überflutet ist. Die mit tränenerstickter Stimme davon erzählen, dass sie Verwandte verloren haben und Kinder nicht wiederfinden können. Und es ist klar, ist auch uns klar: Die Naturkatastrophen, die Menschen derart in Angst und Schrecken und Not bringen, haben auch mit dem Klimawandel zu tun. Sie haben mit der CO2-Belastung der Atmosphäre zu tun, die durch unsere Lebensweise seit Jahrzehnten immer mehr zugenommen hat. Und wir sehen und kennen die Stürme, die aus diesem oft folgen: Vertreibung, Flucht, Bürgerkrieg.

 

Der große Schrecken und die Angst ums Überleben.

 

Die Jüngerinnen und Jüngern, die mit Jesus über den See Genezareth fahren, haben es auch erlebt. Als der große Windwirbel sich erhebt und die Wellen ins Boot schlagen – wir haben es in der Evangeliumslesung gehört. „Fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“, schreien sie Jesus über das Brüllen des Sturms zu. „Interessiert es dich nicht, was mit uns passiert? Ist es dir gleichgültig, dass unser Leben in Gefahr ist? Ist es dir nur wichtig, dass du es auf deinem sanften Ruhekissen bequem hast?“

 

Fragst du nichts danach, dass wir umkommen“ – an dieser Frage bin ich hängen geblieben, als ich die Jesusgeschichte für diesen Gottesdienst jetzt wieder gelesen habe. Sie hat mich an eine Szene erinnert, die ich vor fünf Jahren erlebt habe. Damals, im Dezember 2009, fand in Kopenhagen die UN-Weltklimakonferenz statt. Ziel war es, die Erderwärmung auf eine Zunahme von höchstens 2 Grad Celsius zu begrenzen, damit die Erde nicht den Wärmetod stirbt. Etwa 27.000 Delegierte waren zusammengekommen, und die mächtigsten Politikerinnen und Politiker saßen zeitweilig mit am Verhandlungstisch. Aber die Vorschläge, die schließlich nach chaotischen und mühevollen Verhandlungen vorgelegt wurden, waren völlig unzureichend. Und es war Ian Fry, Chefverhandler des kleinen Pazifikstaates Tuvalu, der als erster bei der Schlussabstimmung das Einverständnis verweigerte. Ich sehe ihn noch vor mir, in seinem blauen Hemd und mit einer Muschelkette um den Hals, als er in seinem Statement eindringlich die Lage seines Landes schilderte – dass die Menschen dort überwiegend weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel leben und der höchste Punkt in Tuvalu gerade einmal vier Meter über dem Meeresspiegel liegt. Und am Ende, nachdem er entschuldigend versichert hatte, dass seine Weigerung kein Ego-Trip sei und er die Konferenzleitung nicht in Verlegenheit bringen wollte, schließt er mit tränenerstickter Stimme: „The fate of my country rests in your hands – das Schicksal meines Landes liegt in Ihren Händen“.

 

 

„Fragst du nichts danach, dass wir umkommen.“ // „Das Schicksal meines Landes liegt in Ihren Händen.“

 

Jesus hat sich fragen lassen, hat sich anfragen lassen. Er hat die Angst der Menschen gesehen. Und hat nicht lange drum herum geredet. Hat nicht diskutiert und debattiert. Sondern hat gehandelt. Er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Jesus hat gehandelt, weil er wusste: Jetzt ist die Zeit da, zu handeln. Jetzt muss etwas geschehen, wenn das Unheil noch abgewendet werden soll.

 

Und wir? Lassen wir uns anfragen und in Frage stellen und wirklich berühren, wenn da einer sagt: „Das Schicksal meines Landes liegt in Ihren Händen!“ Oder tanzen wir wirklich einfach weiter auf dem Vulkan, wie wir es in dem Siegerlied des KlimaVision-SongContest eben gehört und gesungen haben. „Wir wissen ganz genau, dass sich was ändern muss. Wir schieben´s vor uns her als hätten wir noch ewig Zeit“.

Schon heute sind häufigere Wetterextreme, abschmelzende Gletscher und der unaufhaltsame Anstieg des Meeresspiegels unübersehbare Menetekel. Was hier passiert, trifft unsere Kinder – jene also, für die wir doch angeblich immer nur das Beste wollen. Der richtige Zeitpunkt zum Handeln aber ist früher, viel früher. Die Bürger delegieren die Verantwortung für die Stabilisierung unseres Klimas an die Politiker. Der Staat soll es richten - viele wollen die "Schuld" für die Umweltfolgen ihrer Lebensweise loswerden, ohne dafür höhere Lebenshaltungskosten zu akzeptieren. Dies führt wiederum dazu, dass die Politiker die auf sie übertragene Verantwortung nicht wahrnehmen: Warum sollen sie etwas tun, wenn die anderen Staaten nicht mitziehen? Warum sollen sie sich bei Wählern wie Wirtschaftsvertretern unbeliebt machen?

Ein Klimaforscher schrieb vor ein paar Tagen in der „Süddeutschen Zeitung“: „Wenn unser Ausstoß an Treibhausgasen sinken soll statt steigen, müssen alle Verantwortung übernehmen: Konsumenten, Investoren, Wissenschaftler, Entscheider in der Wirtschaft, Politiker. Und zwar unabhängig von der vermeintlichen Bereitschaft der anderen, dasselbe zu tun. Nur so wird aus dem Risiko für unsere Zivilisation eine Chance für den Planeten - und damit für uns alle.“

Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube, dass wir als Kirche uns den Stimmen und Ängsten der Menschen, die durch den Klimawandel akut bedroht sind, nicht verschließen. Diese Synodentagung hat das überzeugend gezeigt. Und ich weiß auch, dass wir in unserer Kirche diejenigen ernst nehmen, die mit Recht sagen, dass nicht nur Menschen in fernen Ländern schon jetzt unter unserem Lebensstil leiden, sondern auch wir selbst es immer stärker spüren werden, wenn wir nicht jetzt energisch für den Schutz des Weltklimas eintreten. Es sind ja Geschichten aus der Bibel wie die von der wundersamen Sturmstillung Jesu, die uns als Christinnen und Christen sensibel machen – sensibel für Jesus, der sich um Menschen kümmert, die Angst haben; für Gott, der Menschen aus ganz konkreten Notlagen rettet; für den Heiligen Geist der Kraft und der Besonnenheit, der Glauben weckt, aber auch in der Welt wirkt und die Dinge zum Besseren wendet. Es ist die Geschichte von Gottes Liebe zu uns Menschen und zu seiner Welt, die uns die Richtung weist für unser Glauben und Tun, für unsere Zukunftsplanungen und für unsere Hoffnung.

 

Und deshalb setzen wir mit dieser Klima-Synode auch ein Zeichen für die Nordkirche. Wir setzen uns den erschreckenden Tatsachen aus – z. B. dass es eben nicht die Verursacher der Treibhausgase sind, die unter den Folgen am stärksten zu leiden haben, sondern die Menschen in den Entwicklungsländern. Insofern gehört, was wir hier verabreden, zu unserer Entwicklungsarbeit, zu unserer ökumenischen Verantwortung und Existenz, zu unserer Mission. Zu Recht hat unsere Schwester Angela Olotu aus Tansania uns gestern ermahnt, zu handeln: Ihr habt die Möglichkeiten und das Wissen und die Verantwortung! Jetzt. Alle zusammen. Wir leben in der einen Welt unter dem einen Himmel in dem einen Klima, das Gott geschaffen hat, damit alle Leben haben! Und wir setzen uns dafür ein, dass wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermeiden oder zumindest deutlich zu verringern. Mir ist es sehr wichtig, dass unsere junge Nordkirche als ersten großen inhaltlichen Akzent dieses Thema in den Vordergrund stellt: Den Schutz des Klimas als Ausdruck unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen.

 

Und dabei ist mir sehr deutlich – und ich bin sehr froh darüber –, dass nicht erst mit Beginn der Nordkirche die Christen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sich bewusst geworden sind, wie sehr der Klimaschutz auch „Glaubenssache“ ist, also ganz elementar mit unserem Vertrauen auf Gott zu tun hat. An vielen Orten und zum Teil schon viele Jahre engagieren sich Menschen, Gemeinden und Kirchenkreise für den Schutz des Klimas. Durch Solaranlagen auf Gemeindehaus- und Kirchendächern. Durch die energetische Sanierung von Pastoraten. Durch die Entwicklung eines Konzeptes für klimafreundliche Veranstaltungen. Blockheizkraftwerke versorgen Kirchen und Gemeinderäume energiesparend mit Wärme. GmbHs werden gegründet, um auf Ländereien von Kirchengemeinden Windkraftanlagen zu betreiben. Wir haben während dieser Synodentagung einige best-practice-Beispiele gehört und gesehen.  In Kitas und im Konfirmandenunterricht wird über die Bewahrung der Schöpfung gesprochen und danach gehandelt. Thematische Gottesdienste feiern das Leben, das Gott uns schenkt, sprechen von Schuld der Natur gegenüber und loben Christus als Hoffnung für die ganze Schöpfung, von der Paulus sagt: „Sie seufzt mit uns bis zu diesem Augenblick und ängstigt sich“ (Römer 8, 22).

 

Vieles ist schon geschehen, durch das wir als Kirche unseren Beitrag leisten zur weltweiten Herausforderung durch den Klimawandel. Und ich war ganz positiv überrascht, als ich bei der genauen Lektüre der Sturmstillungsgeschichte darauf aufmerksam wurde: Hier ist ja gar nicht nur von einem Boot die Rede. „Und es waren noch andere Boote bei ihm“ – heißt es gleich zu Beginn. Nicht nur die Schaluppe „Landeskirche“ ist unterwegs, sondern auch die anderen Boote der Kirchen­gemeinden und der Landeskirche. Und auf dem Weg zu dieser Synode gab es ja auch deshalb manch stürmische Phase, weil der Eindruck entstand: Hier kommt nur das landeskirchliche Boot vor und die anderen werden abgehängt. Mit Recht gab es Stimmen, die darauf deutlich hingewiesen haben. Mit Recht – weil wir eben miteinander unterwegs sind und einander wahrnehmen müssen, gerade bei einem so wichtigen Thema.

 

Aber eines ist mir doch wichtig: Es ist eben der eine Sturm, der über uns allen tobt. Und es ist die eine Bedrohung, der wir begegnen müssen. Und deshalb ist es gut, dass wir hier in Travemünde zu verbindlichen Verabredungen beim Klimaschutz gekommen sind. Es ist gut, wenn in Gemeinden und Kirchenkreisen eigene Initiativen da sind; aber wir müssen auch als Landeskirche einen Grad an Verbindlichkeit erreichen, der dafür sorgt, dass wirklich auch alle mitgenommen werden.

 

Jesus fordert die Seinen nicht einfach zum Vertrauen auf. Er sieht die Ängste. Und er erkennt den Grund. Er weiß: Diesem Sturm muss Einhalt geboten werden. Keine Forderung von Geduld. Sondern: Handeln ist angesagt. Schweig! Dem Sturm drohen – das ist Jesu Amt.

An anderer Stelle sagt er: Geht hin und tut genauso. Bedroht den Sturm, der euch bedroht, der die ganze Schöpfung bedroht. Bedroht den Sturm der Gewalt und des Terrors – diesen Klimawandel ganz eigener Art. Nein, wir sind nicht furchtsam. Wir haben den Glauben, mit dem wir den Stürmen drohen. Wir haben den Glauben, der uns den Mund auftun lässt gegen die Stürme des Hasses und der Gewalt und der Vertreibung. Wir haben den Glauben, der darauf vertraut, dass wir nicht allein sind im Boot.

 

Die Geschichte lenkt unseren Blick auf Christus, der da ist, auf Gott, der uns nicht verlässt. Bei aller Transparenz für die modernen Probleme, mit denen wir zu tun haben, bleibt die Geschichte der Sturmstillung vor allem doch ein Hinweis auf eine Erfahrung, die Menschen immer schon gemacht haben und immer neu machen. Die Erfahrung, dass wir mit unserer Not und unserer Angst bei Gott ein offenes Ohr finden. Dass wir IHN anrufen können und merken: Gott ist immer schon da. Dass wir IHN aufrütteln können und erleben: Gott hilft. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist der Grund, der uns trägt. Das ist die Kraft, die uns ermutigt, mutige Schritte zu gehen, und doch immer wieder aufeinander zu achten. Das ist unsere Hoffnung, von der wir leben und die wir in die Welt tragen, weil wir darauf vertrauen, dass Gott mit uns ist auf unserem Weg – mit uns im Boot. Amen.

Datum
26.09.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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