75 Jahre Müttergenesungswerk – Hilfe für erschöpfte Eltern
15. Oktober 2025
Vor 75 Jahren gründete Elly Heuss-Knapp das Müttergenesungswerk, um entkräfteten Müttern der Nachkriegszeit medizinische, psychologische und soziale Hilfen zukommen zu lassen. Diesen ganzheitlichen Ansatz verfolgt die Stiftung noch heute. Denn während sich die Ausgangsbedingungen zwar geändert haben, ist die Erschöpfung von Erziehenden immer noch groß.
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Erholungskuren waren bis vor 75 Jahren nur denjenigen vorbehalten, die erwerbstätig waren. Mütter, die sich "nur" um Haushalt und Kinder kümmerten, gingen leer aus. Auch, wenn diese Frauen einen Großteil der Last getragen hatten, um die Familien in den Kriegsjahren zusammenzuhalten.
Die Belastung von Müttern ist hoch
Mit Gründung des Müttergenesungswerk entstand erstmals eine Organisation, die sich um ihre Belange kümmerte: Damals schlossen sich mehrere Wohlfahrtsverbände auf Initiative der Politikerin Elly Heuss-Knapp zusammen, um Müttern Erholungszeiten anbieten zu können, in denen sie medizinisch versorgt und betreut wurden.
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Heute stehen nicht mehr Themen wie Mangelernährung und die Kriegstraumata im Vordergrund. Es ist vielmehr die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die drängend ist. Vor allem die Doppelbelastung sorge für Erschöpfung, sagen Expert*innen.
"Mutter zu sein ist nicht einfach"
„Mütter tragen nach wie vor die Hauptlast der Sorgearbeit“, sagt Rebekka Rupprecht, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerk (MGW). Dazu käme eine immer größer werdende Mehrfachbelastung von Müttern, die oft nicht nur den Großteil der Sorgearbeit für die Kinder übernehmen, sondern auch berufstätig sind.
Diese Entwicklung beobachtet auch Delphine Ngeche Takwi, Referentin für Müttergesundheit beim Frauenwerk der Nordkirche: „Mutter zu sein ist nicht einfach. Wenn es das wäre, dann gäbe es nicht so einen hohen Bedarf an Kurplätzen.“ Allerdings sei es nicht immer einfach, einen Platz zu bekommen.
Etwa ein Viertel aller Mütter ist kurbedürftig
Immer wieder spreche sie mit Müttern, die gerne an einer Kur teilnehmen würden, alleine oder mit Kind. „Der Antrag muss dann erstmal bei der Krankenkasse gestellt werden. Dazu gehört auch viel Papierkram. Viele Mütter sind in dieser Situation sehr hilflos“, erzählt sie.
Der Bedarf an Kurbehandlungen für Elternteile in Deutschland sei hoch, bestätigt das MWG. „Studien zeigen, dass 24 Prozent der Mütter und 14 Prozent der Väter kurbedürftig sind. Bei Eltern von Kindern mit Behinderungen sind es sogar 75 Prozent“, erläutert Rupprecht.
Wartezeiten von bis zu einem Jahr
Die existierenden Kurplatzkapazitäten seien nicht ausreichend, um diesen Bedarf zu decken. „Dementsprechend lang sind auch die Wartezeiten.“ Zwischen der Bewilligung einer Kurmaßnahme seitens der Krankenkasse und dem Beginn einer Kur könne bis zu einem Jahr vergehen.
„Unterschiedliche Mütter erleben unterschiedliche Herausforderungen und haben deshalb auch verschiedene Bedürfnisse“, erklärt Takwi. Mütter, die in Deutschland leben, aber noch nicht über sichere Deutschkenntnisse verfügen, stünden bei der Beantragung einer Kurmaßnahme besonders hohen Herausforderungen gegenüber.
Kur unterbricht den Alltag
„Bei Beratungsstellen, die Mütter über die Möglichkeit einer Kur informieren, fehlt es eindeutig an Sprachmittlerinnen“, sagt Takwi. Auch alleinerziehende Mütter, oder solche, die auf andere Art, nicht dem traditionellen Familienbild entsprechen, bedürften besonderer Beratung und Aufmerksamkeit.
Eine Kur könne Elternteile nachhaltig entlasten. Das berichtet auch Anja (Name geändert), die im August mit ihren beiden Kindern drei Wochen auf Kur verbringen konnte. „Es war für mich eine große Erleichterung, einfach aus dem Alltag herauszukommen. Zu dem Zeitpunkt, als ich die Kur angetreten habe, war ich schon sehr erschöpft“, erzählt die 44-Jährige.
Stressbewältigung kann man lernen
Während der Kur wurden ihre Kinder von 8.30 bis 15.30 Uhr betreut. In dieser Zeit ging Anja einem Programm nach, das individuell für sie erstellt wurde. Dazu gehörten Therapiestunden, Sport und eine psychologische Einzelbetreuung.
„Für mich hat sich nachhaltig etwas verändert. Ich habe gelernt, besser mit meinem Stress im Alltag umzugehen“, erzählt die Hamburgerin. Auch ihre Kinder hätten die Zeit in der Kur sehr genossen. „Es war für uns alle schön, einfach mal aus unserem gewohnten Umfeld herauszukommen, das war definitiv ein wesentlicher Teil der Erholung.“
Alle drei Jahren kann ein Antrag gestellt werden
Eine Kur kann alle drei Jahre für Elternteile von der Krankenkasse bewilligt werden. Auch Anja würde diese Möglichkeit gerne wieder wahrnehmen. Um die Situation für Eltern im Alltag nachhaltig zu verbessern, wünscht sie sich vor allem bessere Betreuungsangebote für Kinder an Schulen und Kindergärten.
„Wenn man nicht direkt von der Arbeit die Kinder abholen müsste und es noch mehr schulische Freizeitangebote für sie gäbe, das wäre schön“, sagt sie. Solche Optionen würden sowohl Spaß für die Kinder, als auch mehr Raum für Elternteile bieten.
Wunsch nach einfach mal atmen
Das findet auch Delphine Takwi. „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich festlegen, dass alle Mütter alle sechs Monate eine Woche Wellness-Urlaub machen können. Ganz ohne Partner, ganz ohne Kinder. Einfach, damit sie mal wieder Raum haben, um zu atmen und nur an sich selbst zu denken.“