Atemholen vom Alltag: das inklusive „Pausenboot” in Wellingdorf
08. August 2016
Wer Kunde beim „Pausenboot” am Segelhafen im Kieler Stadtteil Wellingdorf ist, bringt Zeit mit. Egal ob Heringe in Dijon-Senf, Räuchermakrele oder Buntes aus den großen Bonbongläsern - am dunkelgrünen Verkaufswagen geht es beschaulich zu. Hier arbeiten behinderte und nichtbehinderte Jugendliche gemeinsam.
Der 16-jährige Jonas angelt sinnig mit einer Zange die Weingummi-Fische aus dem Glas und füllt damit eine Papiertüte. Dass Jonas mit seiner Behinderung länger als andere Verkäufer braucht, stört hier niemanden. „Das mache ich gern”, sagt er. Die Kunden merken, dass auch Menschen mit Einschränkungen gerne aktiv sind und etwas leisten können, die Umsatzzahlen sind dabei Nebensache.
Mittagessen und Süßigkeiten aus dem umfunktionierten Bauwagen
Erklärtes Ziel ist, dass das Verkaufspersonal möglichst immer zur Hälfte aus behinderten und nichtbehinderten Mitarbeitern besteht. Kunden sind Segler, Angler, Spaziergänger und Arbeiter vom benachbarten Seefischmarkt. Sie kommen gern vorbei und wissen, dass sie hier die Alltagshektik unterbrechen können. Ein Plausch ist erwünscht. Dazu gibt es im rollenden „Pausenboot” Schmelzkohlrabi mit Dipp oder Blauschimmelkäse mit Heidelbeeren.
Finanzielle Zukunft durch regionale Sponsoren gesichert
Im Jahr 2010 wurde der Verein „Pausenboot” mit Jugendlichen mit und ohne Behinderungen gegründet. Sie wollten auch nach ihrer Konfirmandenzeit in Kiel-Ellerbek bei Pastorin Amei Schulz-Spiekermann etwas auf die Beine stellen und begannen, auf Festen und Veranstaltungen Waffeln und Süßigkeiten gegen Spenden anzubieten. Das Konzept funktionierte: Nicht nur die Kunden, auch Unterstützer wie die Stiftung Förde Sparkasse oder die Stiftung Gertrud sorgen jetzt dafür, dass das „Pausenboot” finanziell auf Kurs bleibt.
Der Name „Pausenboot” ist geblieben, auch wenn die jungen Menschen ursprünglich ein Boot kaufen und als Verkaufsboot umrüsten wollten, erinnert sich Verkäufer Clemens Stegemann. Die Jugendlichen stellten aber schnell fest, dass ein Boot zu teuer für ihr Projekt ist.
„Pausenboot” fährt auch bei Festen aller Art vor
Der Einsatz am Kieler Ostufer zwei Tage in der Woche ist nur einer neben anderen. Für Feste kann das „Pausenboot” eigens angeheuert werden. Vorsitzende des Trägervereins ist Pastorin Schulze-Spiekermann, die mittlerweile im Ruhestand lebt. Gezogen wird der rollende Kiosk von einem alten VW-Passat-Kombi, mit Sondergenehmigung, natürlich. Stolz sind die „Pausenboot”-Leute auf ihren Kräutergarten.
Wenn ein Kunde seinen Brotaufstrich mit frischen Kräutern würzen will, kann er sich hier mit Petersilie und Schnittlauf aus dem Blumenkasten bedienen. Verarbeitet wird übrigens auch Fallobst. Dafür kommen die Pastorin und ihre Helfer auf Anfrage gern in die Gärten zum Sammeln.