Christoph Schoener nimmt Abschied vom Michel
27. Dezember 2019
In Hamburg endet eine Ära: Michel-Kantor und Organist Christoph Schoener geht nach fast 22 Jahren Dienst an der Hauptkirche in den Ruhestand. Er verabschiedet sich am Abend seines letzten Arbeitstages mit einem "Silvesterkonzert".
Er musiziert fast bis zur letzten Minute: Mit einem Silvester-Konzert am 31. Dezember, 21 Uhr, nimmt Kirchenmusikdirektor Christoph Schoener (66) Abschied vom Hamburger Michel. Kurz danach beginnt sein Ruhestand - am 1. Januar wird er offiziell in einer musikalischen Krippenandacht (18 Uhr) verabschiedet. Er gibt seinem Nachfolger die sprichwörtliche Klinke in die Hand: Denn ebenfalls am 1. Januar soll Jörg Endebrock (48) aus Wiesbaden seinen Dienst am Michel aufnehmen.
Er will solange spielen, wie er kann
Schoener will sich allerdings keinesfalls zur Ruhe setzen. Für 2020 stehen schon jetzt über 30 Orgelkonzerte in seinem Kalender, bis auf zwei alle außerhalb Hamburgs. Vier Konzerte gibt er in der Schweiz, zwei in Dänemark. Im September 2020 will er beim Bach-Festival in Montreal (Kanada) gastieren. "Ich höre ja auch nicht auf zu atmen", sagt er auf die Frage nach dem Stellenwert der Musik in seinem Leben. Er will solange spielen, wie er kann. Und danach werde er weiter Musik hören. "Kein Tag ohne Bach", beschreibt er sein Lebensmotto.
Der Start am Michel 1998 war allerdings etwas holprig - der damalige "St. Michaelis-Chor Hamburg e.V.", 24 Jahre lang geleitet von seinem Vorgänger Günter Jena, verweigerte dem neuen Kantor die Gefolgschaft. Zur Begründung geisterten damals "musikalische und persönliche Differenzen" durch die Presse. Doch Schoener hatte den Kirchenvorstand (heute: Kirchengemeinderat) auf seiner Seite und setzte sich durch. Der alte Chor verließ den Michel - und Schoener schaffte es binnen kürzester Zeit, einen neuen zu gründen, den "Chor St. Michaelis".
"Hervorragende musikalische Arbeit"
"Durch hervorragende musikalische Arbeit ist es ihm sehr bald gelungen, zu überzeugen und ein großes und begeistertes Publikum zu gewinnen", sagt Michel-Hauptpastor Alexander Röder. Schoener habe es geschafft, alte Michel-Traditionen zu bewahren und mit Neuem zu verbinden. Vor allem die Matthäus-Passion von J.S. Bach und das Deutsche Requiem von Johannes Brahms seien zum jährlichen, nicht mehr wegzudenkenden Repertoire geworden.
Legendär wurde am Michel auch der jährliche Marathon mit dem sechsteiligen Weihnachtsoratium von J.S. Bach nach dem Motto: "Dreimal eins bis drei und zweimal vier bis sechs". Schoener führte in den über zwei Jahrzehnten alle großen Werke Bachs auf - und daneben auch viele bedeutende Chor- und Orchesterwerke von Monteverdi, Telemann, Händel und Mozart bis zu Beethoven, Mendelssohn, Bruckner, Dvorak, Verdi und Liszt.
Gewinner des Echo-Klassik
2016 gewann Schoener den Echo-Klassik mit der Einspielung aller Orgel-Toccaten von J.S. Bach - ein Umstand, der ihn besonders freute, "weil nahezu jeder Kollege diese Musik drauf hat und die Toccaten schon häufig aufgenommen wurden". Die Ton-Aufnahmen im Michel waren schwierig, denn es war eine "audiophile Mehrkanal-Einspielung". Durch diese Technik wird der Raum mitabgebildet, in dem die Musik erklingt. "Wir konnten erst abends beginnen, weil tagsüber der Verkehrslärm zu laut war", erinnert er sich.

Doch nächtliches Üben ist Organisten ohnehin vertraut: In allen großen Kirchen herrscht tagsüber so viel Betrieb, dass sich Fingerübungen an der Orgel verbieten. Schoener hat das Glück, dass er privat über eine kleine Hausorgel verfügt. "Damit kann ich neue Stücke lernen und mein Repertoire pflegen, ohne dass es jemanden stört."
2018 verlieh ihm der Hamburger Senat für seine Verdienste um die Musik den Ehrentitel "Professor". Als Kantor, Organist, Dirigent und Programmgestalter habe Schoener das künstlerische Leben Hamburgs weit über die Grenzen der Stadt hinaus geprägt und das Publikum für Werke von der Alten Musik bis zur zeitgenössischen Musik begeistert, bescheinigte ihm Kultusenator Carsten Brosda (SPD).
Sorge um Zukunft der Kirchenmusik
Etwas Sorge bereitet Schoener die Zukunft der Kirchenmusik. Wenn die düsteren Kirchensteuer- und Mitgliederprognosen von bis zu minus 40 Prozent im Jahr 2060 zutreffen sollten, werde es auch 40 Prozent weniger hauptberufliche Kirchenmusiker geben, sagte er. Zugleich gebe es "immer mehr Hochbegabungen unter den Orgelstudierenden". Die Kirchen sollten sich das zunutze machen - dann bleibe die Kirchenmusik ein Beruf mit Zukunft: "Bach wird man immer spielen."