16. August 2015 | Bad Doberan

Ehe als orientierende Kraft für andere Formen des Zusammenlebens

16. August 2015 von Andreas von Maltzahn

11. Sonntag nach Trinitatis, Predigt zur "Ehe - eine gewagte Lebensform?"

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

der Schriftsteller Max Frisch pflegte seine Zeitgenossen mit wohlüberlegten Fragebögen herauszufordern. Selber nicht nur einmal verheiratet und noch häufiger in Liebesbeziehungen verstrickt, verfasste Frisch auch einen Fragenkatalog zum Thema „Ehe“. Da finden sich u. a. solche Fragen:

1. Ist die Ehe für sie noch ein Problem?
5. Welche Probleme löst die gute Ehe?
6. Wie lange leben Sie durchschnittlich mit einem Partner zusammen, bis die
    Aufrichtigkeit vor sich selber schwindet, d. h. dass Sie auch im Stillen
    nicht mehr zu denken wagen, was den Partner erschrecken könnte?
8. Hätten Sie die Ehe von sich aus erfunden?
13. Was hat Sie zum Eheversprechen bewogen:
a. Bedürfnis nach Sicherheit?
b. ein Kind?
c. die gesellschaftlichen Nachteile eines unehelichen Zustands…?
d. das Brauchtum?
e. Vereinfachung des Haushalts?
f. Rücksicht auf die Familien?
g. die Erfahrung, dass die uneheliche Verbindung gleichermaßen zur
    Gewöhnung führt, zur Ermattung, zur Alltäglichkeit usw.?
h. Aussicht auf eine Erbschaft?
i. Hoffnung auf ein Wunder?
k. die Meinung, es handle sich lediglich um eine Formalität?

Keine Sorge! In den Kirchenbänken liegen weder Fragebögen noch Bleistift! Und doch möchte ich Sie einladen, heute einigen Fragen zum Thema „Ehe – eine gewagte Lebensform?“ nachzudenken. Dabei soll es einmal nicht um andere Lebensformen in ihrem Unterschied zur Ehe und etwaige Gemeinsamkeiten gehen. Ich möchte danach fragen:
-    Welche Verheißung hat die Ehe – heute in unserer Zeit?
-    Gibt es gute Gründe, Menschen zur Heirat zu ermutigen – trotz des Scheiterns in Ehen und von Ehen?
-    Gibt es spezifisch christliche Gründe, Menschen zur Ehe zu ermutigen?
-    Und wenn ja, können wir das so formulieren, dass es andere Lebensformen nicht herabsetzt oder abwertet?

Schauen wir ins Neue Testament, so sind die Aussagen, die sich unmittelbar mit dem Thema „Ehe“ befassen karg gesät: Von Jesus ist allein die Antwort auf die Frage der Pharisäer im Blick auf Scheidungen überliefert. Wir haben sie heute als Evangelium gehört. Jesus bezieht sich dabei auf die Schöpfungserzählungen, entfaltet selbst aber keine ausgeformte Lehre von der Ehe.

Der Apostel Paulus hält Ehelosigkeit für den besseren Weg. Er empfiehlt aber die Ehe, wenn einem die Kraft zur Enthaltsamkeit fehlt. Aus den neutestamentlichen Aussagen insgesamt lassen sich jedoch inhaltliche Merkmale für eine Ehe in Gottes Sinn ausmachen: Das sind vor allem Verlässlichkeit, wie sie sich idealiter in lebenslanger Treue ausdrückt, Verbindlichkeit der Beziehung, gegenseitige Verantwortung.

Es ist kein Geheimnis: Die Ehe hat im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen erlebt. Dass zwei Menschen – wie heute in unseren Breiten weitgehend selbstverständlich – aus Liebe heiraten, ist eine vergleichsweise junge Entwicklung. Erst in der Epoche der Romantik kam die Liebesheirat auf. Das hat Folgen: Ist die Liebe zueinander das Motiv, einander zu heiraten, so soll diese Liebe die Ehe tragen. Das ist schön, hat aber auch seine Last – wie jemand es einmal formuliert hat:

„Wo die Ehe sich wandelt, wo aus der Arbeitsgemeinschaft die Gefühlsgemeinschaft entsteht, da werden Gefühle zur Arbeit.“

Kein Wunder, dass Hape Kerkeling, dem man ja seit seinem Buch zum Jakobsweg auch Weisheit in Lebensfragen zutraut, in einem seiner Sketche als holländische Eheberaterin sagt: „Liebe ist Arbeit, Arbeit, Arbeit.“

Die Liebe, und mit ihr die Ehe, scheint zur Aufgabe geworden zu sein, zur Gestaltungsaufgabe. Der Philosoph Wilhelm Schmid folgert denn auch:

„In der Zeit ihrer größten Gefährdung wird die Ehe endgültig zur gewagten Lebensform, zum Experiment, befreit von Vorgaben der Religion (wie Gott es den Menschen befiehlt), der Tradition (wie es immer schon gemacht worden ist), der Konvention (wie alle es machen), und der Natur (die den Menschen die Fortpflanzung auferlegt hat). … Der Sinn der Ehe ist nicht mehr aus früheren Vorgaben zu beziehen, vielmehr wird es zur Aufgabe der Beteiligten selbst, ihr Sinn zu geben, mit ihr wiederum dem Leben …“  

In der Folge spricht sich Wilhelm Schmid für eine vernünftige Liebesehe aus, in der Gefühl und Vernunft, Romantik und Pragmatik eine ausgewogene Balance halten und die Eheleute die ihnen entsprechende Gestalt ihrer Ehe finden sollen.

Mir ist solches Denken nicht fremd. Als meine Frau und ich am Ende unseres Studiums geheiratet hatten, gab uns ein Professor den Rat: „Gestalten Sie jeden Tag ihrer Ehe.“ Es war nicht der schlechteste Rat. Natürlich liegt in der Ehe auch eine Gestaltungsaufgabe, aber Gott sei Dank nicht ausschließlich. Gott sei Dank ist sie nicht nur Aufgabe, sondern auch Gabe – christlich gesprochen: eine gute Gabe Gottes!

In einer Traupredigt, die Dietrich Bonhoeffer im Mai 1943 aus der Haft an die Brautleute schickt, steht ein Satz, der mich beschäftigt, seit ich ihn zum ersten Mal las:

„Nicht eure Liebe trägt die Ehe, sondern von nun an trägt die Ehe eure Liebe.“

Worin liegt der Unterschied? Es ist entlastend, nicht laufend meine Subjektivität befragen zu müssen, ob dies noch der richtige Partner, die richtige Partnerin für mich ist! Es hat etwas Entlastendes, zu wissen: Dieser Mensch und ich sind aneinander gewiesen, einander anvertraut. Gemeinsam sollen und wollen wir die Herausforderungen des Lebens meistern. Es ist entlastend zu wissen: Gott steht auf unserer Seite und hat unseren Bund bejaht, ihn bekräftigt mit seinem Segen. Das gibt Kraft für Durststrecken und Wellentäler der Beziehung. Gerade hier, im Durchstehen und Bewältigen schwieriger Zeiten kann einem geschenkt werden, zu erleben, wie tief man miteinander verbunden ist; und es ist unendlich kostbar, zu erfahren, dass es möglich ist, neu zueinander zu finden.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich gibt es für das Gelingen von Beziehungen in Ehen keine Garantien, keine Automatismen. Schmerzlich müssen immer wieder Paare trotz ernsthaftester Bemühungen erleben, dass weder ihre Liebe noch die Ehe sie weiter zu tragen vermögen. Ehen können scheitern. Und wer von außen hätte ein Recht, hier den Stab zu brechen!?

Ich bin auch weit davon entfernt, zu behaupten: Gott stehe nur auf der Seite der Verheirateten. In der Tiefe verbunden zu sein, füreinander einzustehen, neu zueinander finden zu können, all das ist auch in anderen Beziehungen möglich und erlebbar. Das erleben Menschen ja glücklicherweise auch in anderen Partnerschaften.

Dennoch bin ich überzeugt: Die Ehe ist eine Gestalt des Zusammenlebens, die entlastende und stärkende Qualitäten hat. Sie ist kein waghalsiges Experiment, sondern hat sich über Jahrhunderte hinweg als wandlungsfähig erwiesen. In immer neuen Spielarten ist die Ehe ein Raum der Verbindlichkeit. Sie ist ein geschützter Raum des Füreinander-Einstehens und der Geborgenheit, nicht zuletzt auch für Kinder.

Das mag alles etwas abstrakt und theoretisch klingen. Um es einmal persönlich zu sagen: Manchmal, wenn ich das schlafende Gesicht meiner Frau neben mir sehe, komme ich ins Staunen – ins Staunen, dass dieser eine Mensch sich mir mit seinem ganzen Leben anvertraut hat! Sie hat nur dieses eine, kostbare Leben und hat es doch mit meinem verbunden – komme, was mag! Unbedingt! Ganz und gar! Welch hoher Mut der Liebe, sich so hinzugeben! „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm! Denn stark wie der Tod ist die Liebe.“ (Hohelied 8,6a)

Für mich ist solch Mut getragen von Gottes Verheißung, Menschen in ihrer Ehe nahe zu sein. Gewiss, Gott, der die Liebe ist, steht immer auf der Seite der Liebenden – allein dafür brauchte es nicht die Ehe. Und doch ist sie eine Gestalt des Zusammenlebens, die uns daran erinnert, was Gott am Herzen liegt: dass wir Verantwortung füreinander übernehmen, dass wir einander helfen, zu wachsen – menschlich wie geistlich, dass wir Gott Mitte und Ziel unseres Lebens sein lassen.

In Rilkes „Liebes-Lied“ heißt es:

„Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
. . .
. . . alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.“

Rilkes Bild von den Liebenden, die wie Violinsaiten zu einem vollkommenen Klang gebracht werden, spricht an:
        Das Wesentliche unseres Lebens müssen wir nicht machen.
        Es ist schon da, kann empfangen werden.
        Es genügt, wenn wir uns hingeben – hingeben, Liebe zu sein.
        Besteht nicht das Wesen der Liebe gerade in Hingabe?!
        Wirklich zu vertrauen, sich anzuvertrauen . . .
        Nicht allein aus sich und für sich als Paar zu leben,
        sondern zu leben aus Gott, mit Gott, für Gott –
        und für das, was ihm wichtig ist.
 
All dies ist nicht allein in der Ehe möglich. Doch für mich ist die christliche Ehe eine echte Hilfe, diese Dimension des Zusammenlebens lebendig werden zu lassen. Insofern ist die Ehe in meinen Augen auch in unserer Zeit eine gute Gabe Gottes. Sie hat orientierende Kraft auch für andere Formen, Beziehungen zu gestalten.

Die Beziehungen und die Formen, in denen wir sie leben, sind zweifelsohne wichtig. Auch darum werden die verschiedenen Lebensformen so heiß diskutiert. Dennoch gibt es nach dem neutestamentlichen Zeugnis etwas, das noch wichtiger ist – die neue Wirklichkeit, die Paulus das neue Sein in Christus nennt. Im Galaterbrief führt Paulus aus:

„Denn ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.“ (Gal 3,26-28)

Das bedeutet: Was in der „Welt“ Menschen so gravierend unterscheiden kann wie Geschlechtlichkeit, Volkszugehörigkeit oder sozialer Status, das bestimmt Christenmenschen in der glaubenden Beziehung zu Christus nicht entscheidend. Diese Kategorien sind zwar nicht gleichgültig, aber in der neuen Wirklichkeit, „in Christus“ verlieren sie ihren bestimmenden, ausgrenzenden Charakter. Das bedeutet auch für die verschiedenen Lebensformen: Entscheidend ist, in der Beziehung zu Christus zu sein und seinem Liebesgebot gemäß zu leben. Suchen wir in der Beziehung zu ihm Erfüllung und Orientierung! Es wird uns helfen, barmherzig miteinander umzugehen. Es wird uns helfen, in der Liebe zu leben.

Amen.

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