18. Oktober 2015 | Bad Doberan

Ihr seid ein lebendiger Brief Christi

18. Oktober 2015 von Andreas von Maltzahn

20. Sonntag nach Trinitatis. Predigt zu 2. Korinther 3, 3-6

Gottesdienst zum Abschluss der Besuchswoche in der Kirchenregion Bad Doberan

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,

erinnern Sie sich an die Zeiten, in denen man sich noch richtige Briefe schrieb? Nicht E-Mails oder SMS! Wo aus einem Briefumschlag keine Rechnung kam, sondern ein richtiger Brief! Manche haben vielleicht zu Hause noch einige Liebesbriefe aufgehoben – es ist gut, sie mal wieder zu lesen...

Ich erinnere mich an Zeiten, wo Briefe mit das Wichtigste waren – für mich z. B. in der Bausoldatenzeit. Zur Postausgabe waren wir angetreten auf dem Flur der NVA-Baracke. Gespannte Erwartung, ob endlich der ersehnte Brief dabei sein würde. Gerade in dem halben Jahr nach der Volkskammerwahl 1981, bei der wir Bausoldaten das Regimentsergebnis ‚verdorben‘ hatten und zur Strafe nicht nach draußen kamen, waren Briefe lebenswichtig – Briefe von nachdenklichen, empfindsamen Menschen, Briefe, in denen es um Erkenntnis Gottes und der eigenen Existenz ging, Stimmen des Geistes und der Lebendigkeit in unserer Welt des Kommisstons und der sinnlosen Beschäftigung. Drei Monate lang Schrauben zählen... – da konnte ein guter Brief die ganze Woche retten.

Paulus, dessen Briefe uns bis heute beschäftigen, schreibt seiner Gemeinde in Korinth etwas Bemerkenswertes: Ihr seid ein Brief Christi. Es ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid – ein lebendiger Brief, geschrieben durch Gottes Geist.

Wenn das nichts ist: Gemeinden können ein lebendiger Brief Christi sein! Ein geistreicher dazu! Das gilt heute wie damals. In der Tat: Durchscheinend können wir sein für die Hoffnung, die in uns ist, durchscheinend für das von Gott in uns, für den Christus in uns. Menschen nehmen an einer Gemeinde sehr wohl wahr, wenn auch nach außen hin transparent wird:

Hier lebt eine Gemeinschaft.

Da ist ein guter Geist am Werk.

Wie die da miteinander umgehen – das wünscht man sich eigentlich auch.

Es sind Menschen, die lassen sich berühren von Not und Leid anderer Leute.

Sie schauen nicht weg, flüchten nicht in Betäubung.

Da werden die wichtigen Fragen gestellt – nach dem Sinn des Lebens, was die Liebe gelingen lässt, und was sein wird, wenn anscheinend alles aus ist.

Ihre Hoffnung hat langen Atem und ist stark.

Und ihr Glaube macht, dass man sein kann, wie man ist.

Wie gut, wenn davon etwas zu merken ist!

Ein lebendiger Brief Christi sein, durch den die Menschen, mit denen wir leben, etwas erfahren über Gott und über das, was ihm am Herzen liegt – eine große Verheißung liegt darin.

Doch ich merke, wie sofort eine fragende Stimme in mir wach wird: Genügen wir denn? Können wir solch einem Anspruch überhaupt gerecht werden? Wir erleben doch, wie manches weniger wird oder gar abbricht in unserer Kirche. Sind wir nicht manchmal auch ein unleserlicher Brief Christi – müden Geistes und wenig überzeugend?

Es hilft nichts, die Lage schön zu reden. Doch genausowenig ist es angemessen, die Schwierigkeiten für die ganze Wahrheit zu halten. Auch bei Paulus war die Wirklichkeit der Gemeinde in Korinth alles andere als rosig: Zerfallen in verschiedene Parteien war sie. Paulus musste sich übelster Vorwürfe erwehren. Trotzdem erinnert er die Gemeinde:

Ihr seid ein lebendiger Brief Christi.

Manchmal habe ich den Eindruck: Wir sind Gefangene unserer inneren Bilder. Da sitzen wir in einem Gottesdienst und haben das Gefühl: Eigentlich müssten noch 20 oder 50 Leute mehr da sein. Und das hindert uns daran, mit denen, die gekommen sind, den Gottesdienst fröhlich und intensiv zu feiern. Oder nehmen wir die Bilder, die durch persönliche Erfahrungen geprägt sind: Für viele war die Zeit in der Jungen Gemeinde etwas Besonderes, das ihr Verhältnis zu Gemeinde und Kirche in guter Weise beeinflusst hat. Solch prägende Erlebnisse wünschen sie Jugendlichen auch heute. Aber nur noch selten gibt es Junge Gemeinden, wie wir sie kannten. Darüber kann man mit Recht traurig sein und auch versuchen, daran etwas zu ändern. Aber manchmal verstellt uns das den Blick für das, wo Kirche heute Jugendliche erreicht und Jugendliche sich gern bei uns engagieren, wenn sie beispielsweise in Musicals mitwirken oder sich als Teamer einbringen – in der Konfirmandenarbeit, bei Jugendfreizeiten, gelegentlich auch in der Gestaltung von Kindergottesdiensten. Manchmal ist da mehr, als wir wahrnehmen.

„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen“, heißt es beim Propheten Sacharja. Ich höre das so: Nicht durch noch größere Anstrengung, nicht durch noch mehr verstärkte Aktivitäten werden wir, was wir sein sollen, sondern wir werden das durch Gottes Geistkraft. Von ihr inspiriert, von ihr bewegt, von ihr zur Ruhe gebracht, können wir leben, was wir sind. Denn das ist ja das Erstaunliche: Es heißt nicht auffordernd – Seid ein Brief Christi! Nein, den alles andere als ‚Leuchtfeuer-verdächtigen‘ Korinthern wird zugesagt: Ihr seid ein lebendiger Brief Jesu Christi! Zusage, nicht Forderung! Verheißung, nicht Anspruch! Das gilt auch für uns.

Ich sage das bewusst auch nach den Erlebnissen unserer Gruppe in dieser Woche. Es gehört zum lebendigen, vielfältigen Brief Christi,

 - wenn über Jahre und Jahrzehnte hinweg Kinder aus dem ukrainischen Karpilovka in großer Treue zu uns eingeladen werden, sich erholen und unbeschwerte Ferien genießen können,

- viele von Ihnen setzen sich ein für Flüchtlinge: Ihnen Schutz und ein Dach über dem Kopf zu gewähren, nach teilweise furchtbaren Erlebnissen, ist in Gottes Sinn,

- die hiesige Suppenküche, die für viele Menschen ein guter Ort für Leib und Seele ist,

- die offenen Kirchen, die Einheimische und Touristen einladen, zu verweilen, dass der innere Mensch wieder aufatmen kann – und der äußere auch,

- das Sommercafé und der Offene Garten, Apfelfeste – all das steht für gastfreundliche Gemeinden,

- da sind die Gottesdienste, die regelmäßig gefeiert werden – und die Erinnerung an Gott bleibt lebendig in unserer Gesellschaft,

- besondere Gottesdienste am ungewöhnlichen Ort werden gefeiert – an der Seebrücke, im Wald, wo es manchen leichter fällt dazuzukommen. Oder ein Gottesdienst bekommt eine besondere Note, weil er sich um den Film aus dem Kirchenkino dreht, und es gibt nicht die klassische Predigt, sondern ein Gespräch – und Menschen sind da und berührt, die sonst nicht den Gottesdienst besuchen,

- oder denken wir an die musikalische Arbeit in ihrer großen Vielfalt – Musik als eine der Sprachen Gottes scheint vielen heute leichter verständlich zu sein als eine Predigt, und so singen sie in Chören mit, auch wenn sie sich nicht als Christen sehen, besuchen Konzerte,

- da ist die Arbeit mit Kindern in ihrem ganzen Reichtum: ‚Kinder führen Kinder‘ durch das Münster, Kinderkirchentage, die klassische Christenlehre, kirchenpädagogische Angebote...

- Kirche für die Stadt zu sein, wie es sich bspw. durch die Arbeit einer kirchgemeindlichen Sozialstation ausdrückt...

Bei allen Sorgen, die es unter Ihnen gibt – unsere Besuchsgruppe hat sich wirklich gefreut, so viel Lebendigkeit hier in den Gemeinden der Kirchenregion Doberan wahrnehmen zu können. All das gehört für mich zum lebendigen Brief, den Gottes Geist in unseren Tagen schreibt. Was die ‚Leserinnen und Leser‘ dieses Briefes daraus machen, ist ihre Entscheidung.    

Ich bin überzeugt: Es kommt darauf an, dem Autor dieses Briefes zu vertrauen! Nicht unsere Originalität, nicht unsere Fähigkeiten sind entscheidend, sondern das Vertrauen auf Gott! Paulus schreibt:

„Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

Nicht wir mit unseren Gemeinden schreiben den Brief, den die Menschen lesen sollen, sondern Gott: Gott unter uns, Gott in uns, Gott durch uns. Darum: Lasst uns offen sein für diesen Gott! Lasst uns nach ihm fragen! Halten wir uns mit unserem Leben Gott hin in Stille und Gebet, so dass er es formen und gestalten kann. Wir können voller Vertrauen sein: Gott denkt sich etwas dabei, wenn er uns ‚schreibt‘. Gott führt uns durch die Zeit. Darum: Vergesst nicht, wer ihr seid – Salz der Erde, Licht der Welt, Brief Christi! Lebt, was ihr seid!

Amen.

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