Im Einklang mit der Natur: Halligpastorin setzt sich für den Klimaschutz ein
17. Januar 2022
Rund 100 Menschen wohnen auf der Hallig Hooge mitten im Nationalpark Wattenmeer. Seit mittlerweile einem Jahr zählen auch Pastorin Hildegard Rugenstein und ihr Mann Björn dazu. Die Theologin genießt das Leben inmitten der Natur, doch sie blickt auch mit Sorgen in die Zukunft.
Vom nordfriesischen Festland aus kann man die Halligen mit ihren Warften bei Regen und trüber Sicht am Horizont nur erahnen. Vom kleinen Hafen in Schlüttsiel geht es mit der Fähre Hilligenlei rüber auf die "schwimmenden Träume", wie der Dichter Theodor Storm die Halligen einst genannt hat. Jetzt im Winter fährt das Schiff nicht jeden Tag und nur wenige Gäste sind an Bord. Auch auf der Hallig sind kaum Menschen bei Wind und Regenwetter zwischen den zehn Warften unterwegs.
Pastorin Rugenstein weiß das Leben in und mit der Natur zu schätzen. Das sei auch ein Grund, warum sie im Januar 2021 auf die rund 5,6 Quadratkilometer große Hallig gezogen ist. "Mein Mann und ich haben diese Entscheidung noch keinen Tag bereut. Jede Jahreszeit hat hier ihren Reiz", so die Mutter von drei Kindern und Großmutter von sieben Enkelkindern. "Ich darf hier in traumhaft schöner Umgebung arbeiten", so Rugenstein.
Zuvor war sie 36 Jahre lang als Pastorin in Potsdam und Vorpommern tätig. Durch einen Zufall wurde die Theologin auf die freie Stelle in der Nordkirche aufmerksam: "Ich war in Vorpommern unterwegs und habe im Abendprogramm im NDR-Fernsehen einen Beitrag gesehen. 'Pastor dringend gesucht'", erinnert sich die Pastorin.
"Märchenhaft fasziniert, wie vom Blitz getroffen"
Sie habe sich sofort angesprochen gefühlt und auch ihr Mann, der bereits im Ruhestand ist, war von der Idee begeistert. "Ich war märchenhaft fasziniert, wie vom Blitz getroffen. Ich fühlte mich sofort berufen", erinnert sich die Pastorin. Zu ihrer Gemeinde gehören die Einheimischen, die Gäste aus aller Welt, die länger vor Ort sind, und die Tagestouristen, die vor allem in den Sommermonaten die Hallig fluten.
Hier kann die Pastorin sich besonders auch ihrem neuen Herzensthema, dem Umwelt- und Klimaschutz, widmen. In Potsdam war sie bereits aktiv bei den „Omas gegen rechts“ und bekam dadurch auch Kontakt zu "Omas for future“. "Ich will etwas für die globale Welt tun und auch für die Generation meiner Enkel", so die 63-Jährige, die vor mehr als dreißig Jahren den ersten Eine-Welt-Laden im Osten gegründet hat. Bei ihren Kirchenführungen geht es nicht nur um Historisches, sondern auch um Themen wie Klimagerechtigkeit, fairen Handel und Plastikvermeidung. "Wie viele Plastikflaschen muss ich am Strand aufsammeln, bis ich selber keine mehr kaufe?", fragt Rugenstein.
"Zukunft der Halligen ungewiss"
Die Theologin blickt gerne über den Tellerrand, zum Beispiel beim jährlich stattfindenden Weltgebetstag. 2021 kam die Liturgie aus dem Inselstaat Vanuatu im Südpazifik. Dieser ist bereits heute stark von zunehmenden Klimakatastrophen betroffen. "Das deutsche Vanuatu sind doch die Halligen, die die direkten Auswirkungen des Klimawandels empfindlich spüren und deren Zukunft ungewiss und bedroht ist", findet Rugenstein.
Weltweit steigt der Meeresspiegel durch den Klimawandel an. Ein Teil des Polareises wird schmelzen und das Meereswasser sich aufgrund der Erwärmung zusätzlich ausdehnen. Auch für die deutsche Nordseeküste wird dies für die kommenden Jahrzehnte vorausgesagt. An der Küste Nordfrieslands sind es derzeit ungefähr 2,7 mm pro Jahr.
Anders als Inseln haben Halligen in der Regel keine Deiche. Die Häuser stehen auf aufgeschütteten Hügeln, Warften genannt. Hallig Hooge ist zusätzlich von einem Sommerdeich umgeben, der vor kleineren Fluten Schutz bietet. Doch im Winter heißt es auch hier regelmäßig landunter.
Auf den insgesamt zehn Halligen im Wattenmeer wird und wurde bereits viel getan, um gut auf den steigenden Meeresspiegel und stärkere Sturmfluten vorbereitet zu sein. Jedes Haus verfügt über einen sturmflutsicheren Schutzraum im Obergeschoss. Einige Warften wurden in den vergangenen Jahren bereits erhöht, darunter auch die Hanswarft, auf der auch die Schutzstation Wattenmeer ihr Haus stehen hat.
Pastorin Rugenstein kommt mit dem Fahrrad von der benachbarten Kirchwarft rüber geradelt zur Besprechung. "Einen Führerschein habe ich gar nicht, dafür aber einen Segelschein", sagt sie. Gemeinsam mit den "Schuttis", wie sie die fünf Freiwilligen (FÖJ) in der Schutzstation Wattenmeer nennt, und dem Leiter der Station Michael Klisch will sie gemeinsame Aktionen für den Sommer planen.
Passend zum Jahresthema des Kirchenkreises Nordfriesland „Zeit, dass sich was dreht“ sollen Bälle ins Rollen gebracht werden. Im Sommer 2022 soll es auf Hooge und an anderen Standorten Projekttage geben. Die Idee für die Hallig: Spiele mit fair gehandelten Bällen – für Einheimische und Gäste.
Michael Klisch lebt seit 17 Jahren auf der Hallig und weiß, dass es nicht immer leicht ist, die Einheimischen zu solchen Aktionen zu motivieren. Der gebürtige Bremerhavener ist auch stellvertretender Bürgermeister der kleinen Gemeinde und setzt sich nicht nur beruflich für den Naturschutz ein. "Wenn Sie mich nach meinem Highlight 2021 fragen, würde ich die Abschaltung des Atomkraftwerkes in Brokdorf nennen", so der 56-Jährige.
Daran dass sich das Klima ändert, hat er keine Zweifel. Allerdings sei es auf den Halligen nicht so stark spürbar, wie es häufig von Außenstehenden angenommen wird. "Es ist nicht so, dass die Fluten immer häufiger werden oder immer höher steigen oder dass es hier nie mehr richtig kalt wird", so Klisch, der die Hallig 1985 als Zivildienstleistender kennengelernt hat.
Den Klimawandel beobachtet er vor allem im Wattenmeer. "Die Nordsee hat sich bereits erwärmt. Wir beobachten hier andere Tierarten: Pinselfelsenkrabbe, Linkshändereinsiedlerkrebs und Manila-Teppichmuschel kommen aus anderen Klimabereichen zu uns", so Klisch. Auch Seeschwalbe und Knutt würden immer weniger Nahrung finden. "Die Seeschwalbe braucht eine bestimmte Größe von heringsartigen Fischen. Denen wird es hier aber zu warm und sie ziehen weiter nach Norden", erläutert der Hooger. Dem Knutt mache eher der Rückgang der weichen Schlickwatten zu schaffen, in denen er seine Nahrung findet. Auch das eine Folge des Klimawandels, vermutet Klisch.
Ist der Klimawandel noch zu stoppen?
Dass der Klimawandel noch zu stoppen ist, glaubt er nicht, allerdings: "Ich habe Hoffnung, dass wir es in der Menschheit insgesamt schaffen, die Folgen abzumildern, durch zügige Veränderungen unseres Lebensstils. Dass wir es schaffen, den Naturraum und das Leben darin zu schützen". Jeder einzelne könne viel tun, zum Beispiel vegetarisch oder vegan leben, auf Flugreisen verzichten, auf erneuerbare Energien setzen. "Und was ich unseren Gästen immer sage: Bitte keine zu kleinen Schollen essen, die noch nicht geschlechtsreif sind, denn das führt automatisch zum Rückgang oder Aussterben der Art", ergänzt Klisch.
Landunter gibt es auf Hooge im Schnitt fünf bis sechs Mal im Jahr. Das heißt, die Hallig wird vom Meerwasser überspült, an den Tagen kann kein Schiff fahren, der Weg zu anderen Warften ist vom Wasser abgeschnitten. An diesen Tagen sind die Warftbewohner ziemlich auf sich alleine gestellt. Und wenn sich das Wasser wieder zurückzieht, muss aufgeräumt werden.
"Wenn wir Jahre haben, in denen es 13 Mal dazu kommt, dann kommen schon Diskussion in der Halligbevölkerung auf, ob es noch so schön ist hier zu leben wie es früher war", erzählt Klisch, der gelernter Garten-Landschaftsbauer ist. "Natürlich kommt dazu auch die Angst vor dem steigenden Meeresspiegel dazu und damit die Sorge, dass das Wasser doch auch mal wieder bis ins Haus kommt", so Klisch.
Pastorin Hildegard Rugenstein hat hier auf der Hallig schon heftige Stürme, aber noch keinen orkanschweren Sturm miterlebt. Sie fühlt sich sicher auf der Kirchwarft, die zusätzlich von einem kleinen Ringwall geschützt wird. "Ich kann die Sturmstärken mittlerweile schon etwas mit dem Gehör bestimmen", sagt sie und ergänzt: "Ich habe Respekt vor den Stürmen, aber keine Angst".
In drei Jahren geht sie in den Ruhestand. Momentan kann sie sich sogar vorstellen, auch nach dem Ende ihrer Amtszeit hier zu bleiben, unter dem weiten Himmel Nordfrieslands.