Hamburgerin findet in Israel lang vermissten Zusammenhalt

Israel bedeutet "nie allein zu sein und sich auf andere verlassen zu können"

Rachel Almagor ist nach Israel ausgewandert. Hier findet sie einen Zusammenhalt, den sie in Deutschland nie erlebt hat, sagt sie.
Rachel Almagor ist nach Israel ausgewandert. Hier findet sie einen Zusammenhalt, den sie in Deutschland nie erlebt hat, sagt sie. © Sandra Iheoma Goetz, epd

04. Oktober 2024 von Sandra Iheoma Goetz

Rachel Almagor ist in Hamburg aufgewachsen. Seit einigen Jahren lebt sie in Israel, denn dort fühlt sie sich sicherer als in Deutschland. Eine Rückkehr ist trotz des Nahost-Konflikts keine Option für sie.

„Ich fühle mich so viel sicherer hier, und mit den Terrorangriffen und den Raketen – lieber das jeden Tag, als in Deutschland zu sein.“ Rachel Almagor sitzt entspannt auf der Terrasse eines Cafés in Herzliya, als sie dieses klare Bekenntnis zu ihrem Leben in Israel ausspricht. Die 26-Jährige ist eine junge Frau zwischen zwei Welten, aus Hamburg-Eimsbüttel, aber entschlossen, in Israel zu leben.

Freiwillig zum Militärdienst nach Israel

Rachel verbrachte ihre Kindheit im Grindelviertel in Hamburg-Eimsbüttel. Ihr Vater ist Israeli, ihre Mutter Deutsche, die zum Judentum konvertierte. Rachel hätte ein anderes Leben wählen können – Studium, ein sicherer Job in Deutschland, fernab vom ständigen Raketenalarm und der Unsicherheit, die in Israel Alltag sind. Doch nach dem Abitur entschied sie sich bewusst, ins Land ihres Vaters zu gehen und ihren Militärdienst zu leisten – eine Entscheidung, die viele in Deutschland nicht verstehen konnten.

Sie wurde eine „Chayal Boded“, eine Einsame Soldatin, die ohne familiären Rückhalt in ein fremdes Land zieht und 2019 den strengen Militärdienst absolviert. „Das war das Härteste“, sagt Rachel. „Man ist allein, kämpft allein – aber die Solidarität unter den Soldaten war überwältigend.“

Viele Freunde reagieren mit Unverständnis 

Als Rachel für einen Kurzurlaub nach Hamburg zurückkehrte, erkannte sie, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. „Meine Freundinnen redeten über Dinge, die mir so banal vorkamen. Während sie über Studienpläne sprachen, ging es für mich ums Überleben.“ In Deutschland stieß sie oft auf Unverständnis. „Die Frauen fragten: 'Warum machst du das? Hast du nichts Besseres gefunden?'

Die Männer dagegen fanden es cool und wollten wissen, welche Waffen ich benutzt habe.“ Ihre Antwort: „Es geht nicht darum, welche Waffen wir haben. Es geht darum, dass wir wissen müssen, wie wir uns verteidigen.“

Nach dem 7. Oktober steht das Leben still

Am 7. Oktober 2023 veränderte sich mit dem Angriff der Hamas auf Israel alles. „Plötzlich hörst du den Raketenalarm im Radio. Raketen werden auf Tel Aviv und Beerscheba abgefeuert. Die Angst ist überwältigend“, erinnert sich Rachel. „Ich sah die Bilder, die die Terroristen ins Netz gestellt haben. Ich habe tagelang nur geweint.“

Vor dem Angriff war Rachel dabei, ihren Führerschein zu machen, und plante ein Studium. Doch nach dem 7. Oktober stand das Leben still. Die folgenden Wochen verbrachte sie oft im Schutzbunker ihrer Nachbarin.

Warten auf den nächsten Raketenalarm

Herzliya, bekannt für Start-ups und Hightech-Unternehmen, wurde für Rachel zu einem Ort der Isolation. Sie wartete auf den Einberufungsbefehl, den alle Reservisten schnell erhielten. „Es war surreal“, erzählt sie. „Einerseits sitzt du in einem modernen Ort voller Technologie, andererseits wartest du auf den nächsten Raketenalarm.“

Seit 2021 hat Rachel die israelische Staatsbürgerschaft. Für sie ist Israel nicht nur Heimat, sondern auch Sicherheit, trotz der ständigen Bedrohung durch Terrorangriffe.

In Deutschland spürt sie keinen Zusammenhalt

„In Deutschland habe ich mich nie sicher gefühlt“, sagt sie. „Es war nicht nur das Mobbing in der Schule, weil ich jüdisch war, sondern das gesellschaftliche Klima.“ In Israel beschützen sich die Menschen untereinander. „Dieses Gefühl, nie allein zu sein und sich auf andere verlassen zu können, gibt mir eine Sicherheit, die ich in Deutschland nie hatte.“

Bereits in der Grundschule in Hamburg hatte Rachel Probleme. Muslimische Mütter verboten ihren Töchtern, mit ihr zu spielen. Erst als sie auf die evangelische Bugenhagenschule wechselte, fand sie Ruhe. Diese frühen Erfahrungen haben ihre Entscheidung, in Israel zu bleiben, geprägt.

Einigung muss her – aber ohne Europa und die USA

Rachel glaubt, dass das viele Einmischen den Nahost-Konflikt verschärft: „Die Muslime hier sind unsere Cousins. Wir haben den gleichen Vater, Abraham. Irgendwann müssen wir zusammenkommen, um die Wunden zu heilen. Aber das müssen wir allein tun. Weder die USA noch Europa können uns hier helfen. Das ist der Nahe Osten, hier gelten andere Regeln. Das verstehen sie nicht.“

Trotz der Eskalation und der wachsenden Angst vor einem Flächenbrand bleibt Rachel in Israel - weil es für sie kein anderes Zuhause gibt.

Hintergrund zum 7. Oktober

Am 7. Oktober 2023 überfielen Terroristen der Hamas mehrere Ortschaften in Israel. Mehr als 1100 Menschen wurden bei diesem Angriff an einem Tag getötet –  251 weitere verschleppt. Etwas mehr als die Hälfte der Geiseln konnte bislang gerettet werden. Das Schicksal der meisten anderen Geiseln ist bis heute unklar. 

Die Ereignisse des 7. Oktober haben sowohl Israel als auch Palästina in eine tiefe Krise gestürzt: Israel hat nach dem Überfall einen umfassenden Gegenangriff auf den von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen gestartet. Das Ausmaß der Zerstörung ist so groß, dass die Vereinten Nationen die Dauer des Wiederaufbaus auf aktuell auf mehr als 16 Jahre schätzen. Die Zahl der Toten lässt sich nicht unabhängig überprüfen, Schätzungen gehen aber von mehr als 40.000 aus, viele davon sind zivile, minderjährige Opfer. 

International ist das Vorgehen von Israels Ministerpräsident Netanyahu hoch umstritten. Unstrittig ist jedoch, dass der 7. Oktober weit über die Grenzen der beteiligten Länder hinaus für Brüche sorgt. So ist hierzulande die Anzahl der antisemitischen Diskriminierungen und Übergriffe deutlich gestiegen. 

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