NS-Zeit

Lübecker Pastor sieht Verpflichtung zur Wachsamkeit

Nur wenige Stücke, wie dieses Ölbild von Wilhelm Jannasch, erinnern an die Zeit des Pastors in St. Aegidien.
Nur wenige Stücke, wie dieses Ölbild von Wilhelm Jannasch, erinnern an die Zeit des Pastors in St. Aegidien.© Ines Langhorst

17. August 2022

Der Lübecker St Aegidien-Pastor Thomas Baltrock sieht in der Aufnahme des Ehepaares Wilhelm und Elisabeth Jannasch durch die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ eine Verpflichtung zur Wachsamkeit im Jahr 2022.

Baltrock beendete sein kürzlich gehaltenes Grußwort während des Ehrenkolloquiums der Universität Mainz für das Ehepaar Jannasch nach Angaben des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg mit den Worten „Der Teufel kommt selten zweimal im gleichen Kostüm“.

Ehepaar Jannasch rettete Leben

Gemeinsam hätten der Pastor und seine Ehefrau Juden und Christen jüdischer Herkunft während des Nationalsozialismus das Leben gerettet, so der Kirchenkreis. Sie hätten dabei die Grenzen zu illegalem Handeln übertreten und sich einem hohen Risiko ausgesetzt. Wilhelm Jannasch (1888-1966) war von 1914 bis 1934 Hauptpastor der Lübecker Innenstadtkirche St. Aegidien. Später war er Gründungsdekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Mainz.

Ein Ölbild im Kirchraum von St. Aegidien zeigt den Theologen. Die Lübecker Kirchengemeinde hatte zusammen mit dem Historiker Hans-Jörg Buss die Aufnahme des Ehepaares Jannasch in Yad Vashem vorgeschlagen.

Stolz, Ehrfurcht und Scham

Baltrock sagte laut Kirchenkreis, das Eintreffen der positiven Antwort auf den Vorschlag habe mehrere Gefühle ausgelöst: „Stolz auf und Ehrfurcht vor dem Vorgänger und seiner Ehefrau, aber auch Scham ob jahrzehntelangen Vergessens.“

Zurzeit werde in Lübeck an einer kleinen Ausstellung über das Ehepaar Jannasch in der St. Aegidien-Kirche gearbeitet, doch die Resonanz auf den Aufruf nach Erinnerungsstücken sei laut Baltrock ausgeblieben. Er halte das „für keinen Zufall“. Denn es gebe zahlreiche Überlieferungen über Kollegen von Wilhelm Jannasch aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts.

Es ist, als hätte es ihn nie gegeben

„Es ist, als hätte es einen Pastor Jannasch an St. Aegidien nie gegeben“, so Baltrock. „Beliebt war er freilich nicht: Er galt als zu intellektuell, arrogant und schroff. Er war schon früh in Hinblick auf den erstarkenden Nationalsozialismus klarsichtig, zu klarsichtig für Kollegen und die meisten Gemeindeglieder.“

Kirchengemeinde sieht sich in der Verantwortung

Die St Aegidien-Kirchengemeinde sehe sich in der Verantwortung, so Baltrock. Sie sei sich bewusst, nicht nur Nachfolgerin des Pastors zu sein, sondern ebenso seiner Gegner in Pastorenschaft und Kirchenvorstand. Insofern sei die Gemeinde auch Trägerin einer „nicht von uns zu verantwortenden, aber zu tragenden Schuld.“ Aus dieser heraus ergebe sich die Verpflichtung zur Wachsamkeit.

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