10. Juli 2016 | Bad Bramstedt

„Traditionen prägen uns und werden uns überdauern“

10. Juli 2016 von Gothart Magaard

Predigt anlässlich des 700-jährigen Kirchweihfestes der Maria-Magdalenen-Kirche Bad Bramstedt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Liebe Festgemeinde,

seit 700 Jahren versammelt sich hier in der Maria-Magdalenen-Kirche bereits die Gemeinde mitten in Bad Bramstadt, an der Kreuzung zweier Verkehrsachsen. Seit 700 Jahren singen und beten Männer und Frauen hier miteinander und bringen ihre Gedanken, ihre Hoffnungen und Nöte vor Gott. Seit 700 Jahren wird hier getauft und geheiratet und getrauert.

Für mich ist es bewegend, wenn ich mir das vorstelle – diese Wege durch die Zeit, die die Kirche Jesu Christi geht in Friedenszeiten und in Kriegszeiten, in Zeiten des Aufbauens und Wachsens und in Zeiten des Mangels und des Hungers. Auch der Altar, die Taufschale, die Kanzel und die Bilder dokumentieren die langen Traditionen, in denen wir stehen, die uns prägen und die sich verändern und die von uns eine Zeit lang mitgestaltet und uns schließlich überdauern werden.


Liebe Schwestern und Brüder,

so haben die Menschen vor 700 Jahren die biblischen Texte gehört und bedacht, die auch wir heute in diesem Gottesdienst hören und bedenken. Ich freue mich, dass wir als Evangelium eine der in meinen Augen schönsten Geschichten aus dem Leben Jesu gehört haben: die Erzählung über die Begegnung von Jesus und Zachäus.

Die ganze Kraft des Evangeliums, der Botschaft von der  frohmachenden und freimachenden Gnade Gottes wird darin spürbar – und zugleich wird deutlich, dass dieses Evangelium provoziert. Es irritiert, weil es die Erwartungen durchkreuzt.

Zachäus, den seine Mitmenschen wohl als ausgesprochen unangenehmen Zeitgenossen beschrieben hätten, erfährt das am eigenen Leib. Die Mentalität dieses Zöllners, der auf den eigenen Vorteil bedacht Reichtum auf Kosten anderer anhäufte, war damals nicht weniger unsympathisch als sie es heute noch ist. Wir würden Zachäus vielleicht einen korrupten Gauner nennen. Damals hatte sein Tun zudem noch politischen Sprengstoff – denn Zachäus machte mit der verhassten römischen Besatzungsmacht gemeinsame Sache.

Zachäus ist ein Gegenbeispiel für das Evangelium: Rücksichtslose Selbstliebe anstelle von Nächstenliebe, Abzocke anstelle von Großzügigkeit, Egoismus anstelle von Gemeinsinn. Ein echter egozentrischer unangenehmer Kerl.

Doch es ist die große Kunst unseres Erzählers, dass er uns schon kurz darauf noch eine andere Seite des Zachäus vor Augen führt: „… er war klein von Gestalt“ steht dort geschrieben.

Der kleine Mann, dem von der Menge der Blick geraubt wird, der sich vielleicht verzweifelt reckt und streckt, rührt mich in ganz anderer Weise an. Auch hier ist von Rücksichtslosigkeit die Rede. Es interessiert schlicht keinen, dass er nichts sieht. Keiner kommt auf die Idee zu sagen: „Lass doch mal die Kleinen nach vorne!“

Liebe Gemeinde, genau das zeichnet für mich einen großen Erzähler aus: dass er uns auch einen Gauner noch liebevoll, mit Licht- und Schattenseiten und den menschlichen Ambivalenzen zeichnet. So, dass keiner ein endgültiges Urteil über diesen Menschen zu fällen vermag.

Solch einen Erzähler unserer Lebensgeschichten wünschten wir uns wohl auch. Einen, der ohne alles schön zu reden, doch im Ganzen eine freundliches, ein liebevoll-gnädiges Bild von mir zeichnet. Und so wird die Geschichte des Zöllners Zachäus zum unentbehrlichen Teil des Evangeliums.

Was mag Zachäus nun auf den Weg zu Jesus gebracht haben? Wir könnten lange darüber spekulieren, was ihn umtrieb und was er sich von Jesus erhoffte. Vielleicht beschäftigten ihn tiefe Fragen über sein eigenes Leben. Vielleicht wollte er aber einfach nur dabei sein, wenn in Jericho einmal etwas Besonderes passierte, neugierig auf diesen Mann, dessen Name in aller Munde war.

Ich finde es befreiend und evangeliumsgemäß, dass die Antwort auf diese Frage, was Zachäus eigentlich umtrieb, in der Geschichte nicht gegeben wird. Denn es gibt eben keine notwendige Vorbedingung. Nichts was von uns aus unbedingt geschehen sein müsste, damit Gott uns begegnet. Diese Begegnung geschieht, weil Jesus es im Sinn hat, Zachäus zu begegnen.

 

Liebe Gemeinde,

dies ist keine Geschichte vom Suchen, sondern eine Geschichte vom Gefunden-Werden. An jenem Tag sollte diesem Hause Heil widerfahren. An jenem Tag hätte sich Zachäus auch im hintersten Winkel Jerichos verstecken können, er wäre trotzdem Jesus begegnet. Zachäus wird gefunden, von Jesus angesprochen und von nun an geschieht etwas mit ihm:

Zachäus wird auf den Boden zurückgeholt und nicht als Zöllner, sondern als Gastgeber angesprochen: „Zachäus, los, komm herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.“ Jesus selbst nimmt das Wort „Sünder“ hier nicht in den Mund. Andere tun das und zerreißen sich das Maul. Jesus sagt: „… auch er ist Abrahams Sohn!“ – Er, gerade er, Zachäus, der Zöllner, hat Anteil an der großen Geschichte Gottes mit den Menschen, die mit seinen Verheißungen an Abraham vor Urzeiten begann.

Das heißt nichts anderes, als: Dieses Leben, dieser Zachäus ist wertvoll. Er braucht keinen Reichtum, er braucht keinen Baum, um sich groß zu machen. Zachäus in seinem Haus ist würdig, Gott selbst ein Gastgeber zu sein.

Das heißt auch: alles, was er zuvor an Unrecht getan haben mag, kann Gott nicht daran hindern, ihn als würdigen Gastgeber auszuwählen. Gewiss standen viele, die es eher verdient und erwartet hätten, schon in der ersten Reihe der Menge.

Wer Gnade berechnen wollte und gerecht verteilen wollte, könnte an dieser Auswahl irrewerden. Aber in Sachen der Gnade sieht es eben anders aus: Da lassen sich nie, bis zum letzten Tag wirklich niemals Rechtsansprüche oder Reihenfolgen errechnen und einfordern.

In diesem Licht über seinem Leben, im Lichte dieser Verheißung, Abrahams Kind zu sein, ändert sich Zachäus: „Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach:

Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“

Fast so, als wären ihm die Augen geöffnet worden. Er will Unrecht wieder gut machen, ja sogar mehr als das. Der Versöhnung mit sich selbst folgt das Angebot oder eher die Bitte um Versöhnung mit seinen Opfern.

Selbst gnädig, freundlich angesehen, sieht der zuvor Gnadenlose andere freundlich an. Ich glaube nicht, dass es ihm leicht gefallen sein dürfte – es liegt ja nun ein Weg der Aufarbeitung vor ihm. Auch diese schweren Wege gehören zur Vergebung zwischen Menschen. Auch dieses Aushalten der Wahrheit über das eigene Verhalten.

Aber diesem Weg wird Zachäus, das Kind Abrahams, gewachsen sein. Jesus traut ihm. Und er traut es ihm zu – und Zachäus beginnt diesen schweren Weg freudig.

Liebe Gemeinde, so ist das, wenn Gott einem Menschen gnädig begegnet. Da wird fröhlich in Gemeinschaft gefeiert und da kommt auch zur Sprache, was gesagt werden muss – aber vor allem hat da der Mensch Bestand und kommt nicht unter die Räder.

Letztlich überwindet nicht eine Anklage den kleinen Zöllner mit seinem zweifelhaften Ruf, wie sie die dabeistehenden Menschen gerne erheben möchten, sondern der freundliche, liebevolle Blick Gottes.

Das kann uns nur ermutigen, wenn wir diesem Menschen, neben uns oder auch in uns selbst begegnen. Freundlich sind wir angesehen, denn die Gnadenlosigkeit ist nicht Gottes Sache, wie immer unser Weg verlaufen mag.

Liebe Schwestern und Brüder, wir sind freundlich angesehen – das ist Kern des Evangeliums, das an diesem Ort verkündigt wird. Seit 700 Jahren kommen Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene in die Maria-Magdalenen Kirche mit ihren Lebensgeschichten, mit Freud und Leid. Sie suchen Trost und Vergebung, sie lassen sich vom Evangelium inspirieren und in Frage stellen. Sie finden hier Heimat und tragen die Erinnerungen an ihre Beheimatung in dieser Gemeinde auch mit sich, wenn sie diesen Ort wieder verlassen.

Die Menschen dieser Kirchengemeinde sind Teil des Gemeinwesens und es gibt gute, enge Verbindungen zwischen der Kirchengemeinde und der Stadt und den Dörfern, die auch ich schon miterleben durfte. Die Menschen sind auch lebendiger Teil der ökumenischen Gemeinschaft der Christinnen und Christen dieser Region. Sie prägen und verändern diese Gemeinde mit all dem, was ihnen an Gaben geschenkt und an Aufgaben gegeben ist.

Ein Durchgang durch das Kirchenjahr wird demnächst auf wunderbare Weise in dem Buch dokumentiert, das aus Anlass dieses besonderen Jubiläums erscheinen wird. Es zeigt Alltagsszenen aus dem Leben in diesem Haus. Die Gesichter von Menschen, die sich hier versammelt haben, um zu singen oder Taufe zu feiern. Es zeigt die vielen haupt-, neben- und ehrenamtlich Engagierten – und ist doch zugleich nur ein Ausschnitt aus dem Leben der Gemeinde, das noch reicher ist.

Allein die vergangenen zehn Tage an Feierlichkeiten, von der Orgelnacht, über den Gottesdienst für Mensch und Tier bis hin zur Kirchenparty zeigen dies eindrucksvoll und könnten nicht nur in die Kirchengeschichte des Kirchenkreises Altholstein eingehen...

All das, was auf den Bildern in dem wunderbaren Buch zu sehen ist, all das, was hier in dieser Gemeinde geschieht, hatte und hat Gott im Blick – so wie Jesus Zachäus in den Blick nahm, liebevoll und menschenfreundlich.

Liebe Gemeinde, ich gratuliere Ihnen zu diesem Jubiläum und danke allen, die sich heute und in der Vergangenheit für den Erhalt der Kirche und das Leben der Gemeinde engagieren, ob im Kirchengemeinderat, als Pastorinnen und Pastoren oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – hauptamtlich und ehrenamtlich.

Und ich bin mir sicher, dass dieses Evangelium auch künftig in der Maria-Magdalenen-Kirche zur Sprache kommt, dass es in unseren Liedern und in der Musik erklingt, und dass Menschen auf diese Weise gestärkt und ermutigt die Kirchentüren wieder durchschreiten, um es in die Welt zu tragen.
Amen.

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