Wie geht Kirche für Jugendliche, die keine Kirche brauchen?
01. Oktober 2019
Um diese Frage geht es auf der Tagung „Kirche kooperativ“ am 17. und 18. Januar 2020 in Berlin. Dort werden Projekte aus Schule und Gemeinde für Jugendliche ohne konfessionelle Bindung genauer unter die Lupe genommen. Die Nordkirche ist federführend mit dabei und stellt eigene Initiativen vor. Worum es geht, erzählt Emilia Handke von Kirche im Dialog.
Die schwierigste Frage zuerst: Warum sollte sich Kirche überhaupt um Jugendliche kümmern, wenn diese sie scheinbar gar nicht brauchen?
„Wie geht Kirche für Jugendliche, die keine Kirche brauchen?“ ist zunächst einmal der provozierende Titel eines Vortrags von Florian Karcher, Professor an der CVJM-Hochschule in Kassel. Was wir auf der Tagung zeigen wollen: Es gibt zahlreiche interessante Projekte, bei denen die Kirche auch Jugendliche erreicht, die dem kirchlichen Leben sehr fern stehen. Dies geschieht vor allem in Initiativen, in denen sie das Leben von Jugendlichen begleitet und sie dabei unterstützt, sich selbst zu entdecken und nach Sinn im eigenen Leben zu suchen.
Welche Projekte gibt es da schon, bei denen so etwas gelingt?
Seit 1997 sind in Ostdeutschland zum Beispiel zahlreiche christliche Alternativen zur Jugendweihe entstanden – häufig im Umfeld von christlichen Schulen. Denn dort stellt sich die Frage: Was können wir eigentlich Jugendlichen anbieten, denen es fern liegt, sich taufen und konfirmieren zu lassen, weil sie nicht mit der Kirche groß geworden sind? Für diese Familien ist die Segensfeier eine Annäherung an Religion und Kirche. Einmal zu spüren: Wie fühlt sich das an, gesegnet zu werden? Kann auch ich daran glauben, dass es im Leben noch jemanden gibt, der mich hält – abgesehen von meiner Familie und meinen Freunden? Wir werden uns anschauen, wie diese Feiern gestaltet sind, was konfessionslose Familien an ihnen schätzen und Katharina Gralla vom Gottesdienstinstitut der Nordkirche wird mit uns zu der Frage arbeiten: Wie kann man Segen so gestalten, dass Jugendliche verstehen, was damit gemeint ist?
Wo gibt es das schon?
Eine solche Segensfeier wird bei uns in der Nordkirche derzeit zum Beispiel an der Evangelischen Schule St. Marien in Neubrandenburg entwickelt. Überall in Ostdeutschland gibt es mittlerweile 40 solcher Initiativen – katholisch, evangelisch und mitunter sogar ökumenisch getragen. Unsere Landesbischöfin hat davon erst neulich unter dem Stichwort „Kirche mit anderen und für andere“ erzählt.
Was gibt es noch für Projekte aus der Nordkirche, die Jugendliche beim Erwachsenwerden begleiten?
Ein ähnliches Format sind die „Tage Ethischer Orientierung“, kurz TEO, die Hans-Ulrich Keßler und Carola Häger-Hoffmann vom Hauptbereich Schule, Gemeinde- und Religionspädagogik vorstellen. Hier ist es das Anliegen, Kinder und Jugendliche verschiedener Schularten und aus verschiedenen Regionen für mehrere Tage zusammenzubringen. Sie diskutieren über Themen wie Gewalterfahrungen, Beziehungen, Fragen von Recht und Unrecht. Dies aber auf der Ebene schulischer Projektarbeit ohne eigene Feier. Alles in allem geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler eine positive Erfahrung mit Kirche machen, merken: Das hat etwas mit meinem Leben zu tun.
Das fällt jetzt alles in den Bereich der schulkooperativen Arbeit. Was ist mit dem Aktionsfeld Gemeinde?
Da gibt es zum Beispiel das Projekt Offbeat aus Berlin. Es erreicht Jugendliche, die sonst nie an etwas teilnehmen würden, das mit Kirche zu tun hat. Der Leiter veranstaltet zum Beispiel einen Hauskreis im Burgerking am Alexanderplatz, zu dem wöchentlich etwa 30 bis 40 Straßenkids kommen. Da lohnt es sich schon mal genauer hinzuschauen. Die Tagung ist insgesamt so angelegt, dass man nicht nur zuhört und reflektiert, sondern auch direkt Materialien an die Hand bekommt, mit denen man praktisch weiterarbeiten kann.
Die Tagung wurde „Kirche kooperativ“ getauft – worin liegt genau das „Kooperative“ im Feld der Gemeinden?
Ein Beispiel dazu kommt etwa aus Musical-Arbeit, in der Kinder und Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammen mit Künstlern aus der Region an einem religiösen Thema arbeiten – unabhängig davon, ob sie der Gemeinde nahe stehen oder nicht. Da ist das Musical ein Medium, das Menschen zusammenzubringt, durch das sie ihre Talente entdecken und spüren: Auf mich kommt es an. Sie werden gebraucht, erleben Gemeinschaft und kommen dabei mit den großen Erzählungen des Christentums in Kontakt. Das ist viel wert.