16. April 2016 | Hauptkirche St. Katharinen Hamburg

Wir. Darin steckt Kraft!

16. April 2016 von Kirsten Fehrs

Gottesdienst zum Sprengeltag für ehrenamtliche Mitglieder der Kirchengemeinderäte, Predigt zu 1. Petrus 5, 1-4

Predigttext: 1. Petrus 5, 1-4

 „1Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: 2Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; 3nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde. 4So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.

Liebe Brüder und Schwestern,

na, das geht ja gut los, mögen Sie denken: Da folgt man dem Ruf der Bischöfin und macht sich am frühen Samstagmorgen auf den Weg in die Stadt, und dann gibt es gleich eine Ermahnung. Dazu jede Menge Imperative. Was man nun noch alles soll! Nachdem man sich ja wirklich acht Jahre (bei einigen hier sind‘s insgesamt bestimmt 3 x 8 Jahre) ziemlich reingehängt hat in diese Kirchenarbeit. Aber vielleicht hilft der Hinweis, dass ich ja geradeso vermahnt werde, und ich bin erst halbacht, also erst seit 4 Jahren als Bischöfin unterwegs… Tragen wir´s also gemeinsam.

Weidet die Herde Gottes, das sollen wir tun. Ganz so, wie der gute Hirte es vorgelebt hat. Umgeben von Schafen, und zwar gerade nicht alle aus einem Stall, sondern es sind fremde wie heimische – und nicht eines soll verloren sein! Dieses Leitbild vom guten Hirten ist erst einmal schön; es schwingt so viel Geborgenheit mit und Zugehörigkeit. Dieses im tiefsten Sinne „gesehen sein“. Nicht gegängelt, sondern geschützt. Selbst in der Krise, im tiefen Tal – wie es der Psalm sagt -  bleibt die Verheißung, dass es hinter dem Horizont weitergeht. Dirwird nichts mangeln, sei also gewiss… Sondern Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen ein Leben lang.

Dass diese empfindsamen alten Worte immer wieder Menschen ins Herz treffen, hat vielleicht genau damit zu tun, dass der Psalmbeter etwas wusste vom Leben. Und also auch von Herzenshärte, von Heimatlosigkeit und Verlorengehen. Von Unfrieden - auch mit sich selbst. So wie wir es ja in unserer Realität nur allzu gut wissen. Wir wissen in diesem reichen Land und in dieser Stadt mit ihren stolzen Türmen genau um Armut und Not, um Schatten, Flucht und Traumata. Wir wissen, wen man schützen oder besonders achtsam begleiten muss, wissen in unseren Gemeinden, wem es an Lebenskraft mangelt und gutem Wort. Wir haben eine Vorstellung davon, was in unserem Stadtteil „dran“ ist und wie wir Kirche bleiben im Dorf.

Wir. Darin steckt Kraft! Eben nicht allein die „Pastor/innen“, die auf deutsch „Hirten“ heißen. Wir alle sehen doch, was dran ist! Wir alle sind berufen, die Gemeinde zu leiten und auf sie zu achten. Und dies mit jener altbekannten Balance der drei F: zwischen Fordern, Fördern und Fürsorge. Davon wissen übrigens auch schon die Autoren unseres Predigttextes, Christen der zweiten Generation, um 130 nach Christus. Die haben auch eine ganze Menge hinter sich an Erfahrungen mit Gemeinde und Gemeindeleitung. Und womöglich haben sie auch einmal einen Auswertungs-Workshop gemacht und als Ergebnis eine Art Verhaltenskodex für Kirchengemeinderäte aufgeschrieben. Und der beginnt einfach, scheint‘s. „Achtet auf die, die euch anvertraut sind.“ Heißt: Leitung beginnt mit Hinsehen, Hören, Wahrnehmen. Aufmerksam, achtsam sein, um das Vertrauen der Anvertrauten zu halten. Aber das erfordert Zeit, viel Nachgehen. Geduld. Und Ruhe. Gerade in Krisen. - Ich danke Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, von Herzen für all Ihre Kraft, die Sie über die Jahre hin eingebracht haben!

Und: „Tut das nicht gezwungen, sondern freiwillig.“ Wichtiger Punkt, der manchmal unterbewertet wird – dabei ist doch nichts anstrengender als eine lustlose, übermüdete Leitung, die gar keine sein will. - Ich danke Ihnen von Herzen für all die wachen Momente, auch noch um zehn Uhr abends, und für Ihre treue Zuneigung zu Ihrer – zugegeben manchmal anstrengenden - Kirche.

Dann: „Arbeitet nicht um schändlichen Gewinns willen“ - wenn das nicht ein richtiger Anti-Korruptions-und-Panama-Paragraf ist! - Ich danke Ihnen für Ihre Integrität und gerechtes Maß!

„Spielt euch nicht als Herren über die Gemeinde auf, sondern seid Vorbilder.“ Gute Leitung lebt von Glaubwürdigkeit, vom Vorleben, nicht vom Vorsagen. Ich danke Ihnen von Herzen  für‘s rechte Tun und rechte Wort zur rechten Zeit und für Ihre Herzlichkeit. Denn darauf läuft‘s hinaus: „Tut, was ihr tut, von Herzensgrund.“ Man kann auch übersetzen: Mit Leidenschaft. Brennt für die Sache! Nicht im Sinne von Fanatismus, versteht sich, sondern vom Herzen her, das immer auf den anderen hin ausgerichtet ist und vom anderen her denkt und fühlt. -  Ich habe in Ihren Gemeinden in so vielfältiger Weise diese Herzensleitung erlebt, besonders in den vergangenen Jahren im Engagement für Flüchtlinge! Danke für alles!

Herzensleitung – das ist vielleicht das entscheidend Besondere in der Kirche. Bei uns geht es eben nicht zuvorderst um das Erreichen eines Ziels. Auch das gern bemühte „Der Weg ist das Ziel“ trifft es nicht wirklich. Stattdessen, wenn man dem Hirtenbild folgt, ist es eher so zu beschreiben: Es gibt ein Ziel, aber wichtiger als das Ziel ist es, dass auf dem Weg dahin niemand verloren geht.

Schön gesagt, aber alltagstauglich? Schließlich sind wir ja auch eine Institution mit einer Ordnung und Regeln, mit viel - zu viel?? - Bürokratie, mit Zeitleisten und organisatorischen Fragen um Bau und Finanzen. Da braucht man Fachleute. Oft auch externe Experten. Das finde ich ausdrücklich gut, der Blick von außen weitet den Horizont. Allerdings – geht uns da nicht manchmal bei aller Selbstkritik der Blick auf‘s eigene Eigentliche verloren? Die Gewissheit etwa eines solchen Hirtenpsalms? Wunderbar lebensnah dazu ein Hirtenwitz:

Hütet ein Schäfer tiefenentspannt seine Herde.  Fährt plötzlich ein junger Mann in seinem Jeep rasant vor, Armani-Anzug, Edelschuhe, Sonnenbrille.  Er steigt aus und sagt: "Wenn ich errate, wie viele Schafe Sie haben, bekomme ich dann eins?" Der Schäfer guckt und nickt: „Einverstanden.“ Daraufhin holt der junge Mann geschäftig Notebook und Handy heraus, scannt die Gegend, öffnet 60 Excel-Tabellen und druckt schließlich einen 150-seitigen Bericht aus und verkündet: "Sie haben exakt 1586 Schafe."
"Stimmt“, sagt der Schäfer, „na, dann suchen Sie sich man ein Schaf aus." Der junge Mann nimmt sich ein Tier und lädt es in den Jeep. Nachdenklich schaut der Schäfer zu und sagt: "Sagen Sie mal - wenn ich Ihren Beruf errate, geben Sie mir das Tier dann zurück?" – "Klar, warum nicht?" -  "Sie sind Unternehmensberater." - "Woher wissen Sie das?" fragt der junge Mann verblüfft.  - „Ganz einfach" sagt der Schäfer, "Erstens kommen Sie hierher, obwohl Sie niemand gerufen hat, zweitens wollen Sie dafür bezahlt werden, dass Sie mir etwas sagen, was ich ohnehin schon weiß, und drittens haben Sie keine Ahnung von dem, was ich mache. Und jetzt geben Sie mir bitte meinen Hund zurück."

In der Hoffnung, jetzt hier im Raum keinen Unternehmensberater brüskiert zu haben, bleibt ja tatsächlich zu fragen, ob das Hirtenbild als Leitungsbild trägt. Was heißt es denn konkret, wenn wir unsere Gemeinden leiten wie gute, achtsame Hirtinnen und Hirten?

Für mich sind es zwei Punkte, auf die es ankommt: Kommunikation. Und glaubwürdiges Vorbild sein. Und da wird‘s richtig interessant, wenn man einem Hirten zuschaut: Der führt nämlich seine Herde nicht, er folgt ihr. Vorzugsweise folgt er den gefährdeten Schafen, den eigenwilligen, sturen, den seitlich umgeknickten, dass sie ja nicht verloren gehen. Und droht Gefahr, Chaos und tiefes Tal  - dann hebt er die Stimme. Er lockt mit dem richtigen Ton. Schwingt das Wort und nicht das Zepter. Er redet nicht in Befehlen, spricht kein Machtwort. Schon gar nicht von oben herab. Sondern er sucht den rechten Klang in dieser Zeit, um uns zu leiten zur Barmherzigkeit.

Uns, die Schafe... Offen gestanden löst dieses Bild bei mir stets Widerstand aus. Allemal bei mir als Dithmarscherin. Denn wir kennen unsere Schafe! Und mit Verlaub:  ihnen haftet wenig Emanzipiertes an, um nicht zu sagen eher etwas „Treudoofes“.  Und also: Wer möchte schon gern ein Schaf sein, das seinem Hirten willenlos hinterher trottet? (Auch wenn man bei so liebevollen und kompetenten Hirten wie Ihnen durchaus eine Ausnahme machen würde…)

Zudem hat meine schafsnahe Entwicklung von Kind an mir folgende, nüchterne Erkenntnis gebracht: Schafe lassen sich überhaupt nicht leiten und führen. Vielmehr sind sie schreckhaft, relativ langsam und meistens stur. Bisweilen laufen sie auch einem weißen Auto hinterher, wenn sie meinen, das sei ein attraktiver Artgenosse. Und wer einmal einem Schäfer zugesehen hat, der weiß: Mit Druck geht gar nichts. Zeitdruck schon gar nicht. Es ist nicht in erster Linie der Hirtenstab und auch nicht der Hütehund, mit dem er sie erreicht. Es ist die Stimme. Ein guter Hirte weiß, dass er seine Schafe nur mit klarer Stimme rufen kann, nicht über sie bestimmen. Das Bild vom guten Hirten ist also alles andere als ein Herrschaftsbild. Es ist ein Bild vertrauensvoller Beziehung, die Freiheit atmet. Deshalb macht der Hirte eben vor allem eines: Er weidet die Schafe. Heißt: er gibt einen Schutzraum, in dem sie unbehelligt leben und wachsen können. 

Was das noch heißt für das Thema „Leitung“? Dass wir achtsam zusammen bleiben, miteinander weiter gehen in zugewandter Herzlichkeit, die den Unterschied liebt. In aller Freiheit. Die Gemeinschaft zu pflegen wie einen Schutzraum, in dem keiner verloren geht. Deshalb doch ist Kirche als Institution so wichtig! Damit diese Gemeinschaft auf sich hält und die Barmherzigkeit in die Welt trägt. Das Ziel gerade doch in diesen Zeiten!

Denn es ist die Liebe, sagt unser gute Hirte. Es ist die Liebe, die uns trägt durch die Zeiten. Es ist nicht die Vernunft, die Erklärung, das Verstehen, es ist nicht die Schlüssigkeit und Enträtselung. Es ist Liebe, unerworben, maßlos und beständig. Und also: Gehen wir mit dem Segen dessen, der uns in die Zukunft liebt! Gehen wir mit ihm, der uns behütet ein Leben lang. Gehen und hören und singen und handeln wir, dass die Stimme der Liebe im tobenden Weltkonzert Kraft gewinnt und Frieden schenkt.

So, genau so bewahre der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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