Immer am Fluss entlang - Pilgern in Norddeutschland

Auf dem Jakobsweg über Lübeck nach Hamburg: 125 Kilometer in fünf Tagen

Als ich Lübeck auf dem Jakobsweg verlasse, spiegeln sich die Türme des Lübecker Domes in der frühen Morgensonne auf der spiegelblanken Wasseroberfläche des Mühlenteiches in Lübeck.
Als ich Lübeck auf dem Jakobsweg verlasse, spiegeln sich die Türme des Lübecker Domes in der frühen Morgensonne auf der spiegelblanken Wasseroberfläche des Mühlenteiches in Lübeck. © Antje Wendt, Nordkirche

20. August 2025 von Antje Wendt

Der norddeutsche Jakobsweg zwischen der Lübecker St.-Jakobi-Kirche und der Hamburger Sankt-Jacobi-Kirche führt durch abwechslungsreiche Landschaften: stille Buchenwälder, Flussauen von Schwartau, Trave und Alster, kleine Dörfer und historische Kirchen. In wenigen Tagen lässt sich die Strecke gut erwandern – auf einem Abschnitt der Via Baltica, der besonders viel Naturerlebnis verspricht.

Blasen, Flipflops und Plan B

Mehr Ideen von Ihrer evangelischen Kirche für den Sommer auf unserer Themenseite "Sommerkirche"

Au, au, au – am vierten Tag ist es so weit. Ich habe mittlerweile fast hundert Kilometer auf dem Jakobsweg von Ostholstein nach Hamburg zurückgelegt – auf abgeschiedenen Pfaden, durch Wälder und Flussauen und bei großer Hitze. Jetzt haben sich dicke Blasen an den Füßen gebildet. Sie zwingen mich, Plan B zu ergreifen. Die letzten vier Kilometer des Tages gehe ich in Flipflops. Meine Füße atmen auf. Wie ich morgen weitergehen werde, darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich weiß schließlich: Irgendwie geht es immer weiter.

Alter Stamm mit Pilgerwegweiser
Mitten im Wald weist mir eine Pilgermuschel den Weg weiter durch das Grün.© Antje Wendt, Nordkirche

Von St. Jakobi zu St. Jacobi: Norddeutsche Wälder, stille Flussauen und Libellenzauber

Fünf Tage pilgern, von der Lübecker St.-Jakobi-Kirche zur Sankt-Jacobi-Kirche in Hamburg – das war meine Idee. Damit hatte ich ausreichend Zeit, um schon auf der Via Scandinavica in Ostholstein einzusteigen. Dieser Weg verläuft im Hinterland der Lübecker Bucht, abseits der Touristenhotspots, und zeigt, wie schön dieser Landstrich auch ohne Sand und Meer sein kann.

Zur Person:

Antje Wendt ist Referentin im Kommunikationswerk der Nordkirche. In ihrer Freizeit pilgert und wandert sie gerne, bevorzugt auf dem Gebiet der Nordkirche.
Weitere Beiträge von Antje Wendt zum Pilgern: 
Pilgern auf dem Birgittaweg in Mecklenburg 
Unterwegs auf dem Nordseeküstenweg

Buchenwald und feuchte Niederung in Norddeutschland
Ich bin dankbar für die typisch norddeutschen Buchenwälder, die mich vor der Sommerhitze schützen. © Antje Wendt, Nordkirche

Dann erreiche ich die Niederungen der Schwartau und bin zum ersten Mal wie verzaubert von den naturnahen Wegen, die dieser Pilgerweg nimmt. Zart blühende Gräser und Sommerblumen, Schilf und Büsche säumen den Pfad. Zahlreiche Libellen in verschiedenen Mustern und Farben kann ich beobachten. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass ich in den nächsten Tagen viele dieser paradiesischen Wege erkunden darf.

Der Blick auf eine Kirche aus Feldsteine. Links der dicke, runde Turm
Die Kirche im ostholsteinischen Ratekau ist aus dicken Feldsteinen errichtet. Ihr Turm diente in früheren Zeiten der Verteidigung der Ratekauer.

Alte Kirchen und Pilgerstempel

Wie immer besuche ich nach Möglichkeit die Kirchen, die sich entlang der Route befinden. In Ratekau habe ich Glück: Die Kirche ist geöffnet. Drinnen treffe ich auf Gerda Prell. Die liebenswürdige Dame erzählt mir, dass sie hier getauft, konfirmiert und getraut wurde. Heute kümmert sie sich darum, dass die Kirche für Gäste zugänglich ist. Von ihr erhalte ich den ersten Pilgerstempel auf dieser Tour. Die Kirche selbst beeindruckt mich mit ihren dicken Feldsteinmauern und dem imposanten Turm. 

eine ältere Dame steht im Kirchenschiff der Ratekauer Kirche. Im Hintergrund der Chor mit dem Altar.
Älter als die Lübecker Kirchen sei die Ratekauter Kirche und gegründet von Vicelin, Bischof von Oldenburg, weiß Kirchenhüterin Gerda Prell. © Antje Wendt, Nordkirche

Allein unterwegs

Nach 25 Kilometern verbringe ich meine erste Nacht in der Lübecker Pilgerherberge, gleich bei der St. Jakobi-Kirche. Hier treffe ich einen ersten Pilger. Robert aus Berlin ist mit dem Fahrrad unterwegs und will weiter nach Mecklenburg-Vorpommern.

Ein kleiner Teufel aus Bronze sitzt alleine an der Marienkirche und lacht verschmitzt: Er soll bei der Errichtung der Kirche seine Finger im Spiel gehabt haben. Zahlreiche Touristen belagern ihn tagsüber für ein Erinnerungsfoto. © Antje Wendt, Nordkirche

Ich setze meinen Weg am nächsten Morgen fort und verlasse Lübeck am Dom vorbei Richtung Süden. Das Wetter und der Weg sind ein Traum. Links an den Stegen schaukeln kleine Boote auf den Nebenarmen der Trave, rechts finden sich liebevoll gepflegte Schrebergärten. Ich gebe auf, die Anzahl der Brücken, die ich überquere, mitzuzählen.

Der Blick über eine stille, blaue Wasserfläche. Im Hintergrund Gärten und Bootsstege.
Unzählige Flussnebenarme und Kanäle quere ich auf meinen Weg aus Lübeck raus. © Antje Wendt, Nordkirche

Nach einer Weile teilen sich die Via Scandinavica und die Via Baltica. Mein Weg führt auf der Via Baltica weiter an der Trave entlang. Trotz der Urlaubszeit begegne ich nur wenigen Menschen. Sie sind mit dem Fahrrad unterwegs. Monotonie stellt sich in den nächsten drei Tagen nicht ein.

Sandweg am Fluss entlang.
Ein sehr schöner Abschnitt ist der sogenannte Trave-Trail. Er endet in der Stadt Bad Oldesloe. © Antje Wendt, Nordkirche

Ich genieße kleine Pausen mit Blick auf den Fluss, der hier noch sehr schmal ist und gemächlich fließt. Auf meinem Weg liegen Hamberge, Klein Wesenberg, Reinfeld, Bad Oldesloe, Sülfeld, Nütschau, Grabau und Nahe. Eine Atempause und Ruhe sind am besten auf den Friedhöfen zu finden. Dort esse ich, was ich mir im letzten Supermarkt oder beim Bäcker mitgenommen habe. Leider ist die Versorgungslage nicht sehr gut, denn längst nicht jeder Ort, den ich durchwandere, hat einen Laden oder ein Café.

Blick in eine grüne Landschaft mit Fluss
Ein Storch fliegt über eine der vielen Traveauen. © Antje Wendt, Nordkirche

Menschen, Momente und Begegnungen

Die winzige Backsteinkirche in Hamberge ist eine alte Pilgerkirche. In Reinfeld mache ich mich auf Spurensuche nach dem Dichter und Journalisten Matthias Claudius. In Sülfeld wird mir von der freundlichen Gemeindesekretärin die Kirche aufgeschlossen. Dann kommen wir schnell in ein Gespräch über gemeinsame Bekannte. So klein ist die Welt.

Auf dem Weg zum Kloster Nütschau treffe ich einen zweiten Pilger. Ganz offensichtlich ist es ein Mönch. Ich bedaure ihn wegen seiner dunklen, langen Kleidung. Leider bleibt er genauso verschlossen wie das Kloster selbst – Sommerpause. Doch einen Pilgerstempel erhalte ich trotzdem, zusammen mit der Einladung, es beim nächsten Mal wieder zu versuchen.

Jakobsweg mit Büschen durch ein Moor, links und rechts Wasserflächen
Hinter Bad Oldesloe führt der Jakobsweg durch das Naturschutzgebiet Brenner Moor. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Kloster Nütschau. © Antje Wendt, Nordkirche

Einzigartige Momente sind es, die diese kleine Pilgerreise bereichern: der Weg frühmorgens an Fischteichen oder am Flussufer entlang, wenn das Gras noch nass vom Tau ist und ich zahlreiche Frösche bei ihrem morgendlichen Sonnenbad aufscheuche. Oder wenn ich einige Kraniche beobachte, die majestätisch über die Felder ziehen.

Meine persönlichen Ausrüstungstipps

Mittlerweile haben sich einige Gegenstände herauskristallisiert, ohne die ich nicht mehr pilgern gehe:

  • ein stabiler Hut mit breiter Krempe – gut gegen Sonne und Regen
  • Teleskop-Wanderstöcke
  • ein Trinkschlauch statt Wasserflaschen – macht das Trinken auch zwischendurch sehr bequem, und man trinkt tatsächlich mehr
  • Flipflops – für die Herberge und für den Notfall, wenn Blasen auftreten
  • Schmerztabletten – man weiß nie, wo es zwicken oder schmerzen kann

Mein Dank gilt allen, die mich freundlich unterstützt haben. Für viele wichtige und hilfreiche Informationen bin ich dem Pilgerzentrum im Norden, Pastor Frank Karpa, dankbar. 

Zum anderen die kleinen Gespräche und Begegnungen am Weg: mit einer Künstlerin, die ihren Kopf aus dem Fenster steckt und mich in ihr Atelier einlädt; mit der Ehrenamtlichen, die mir stolz die originelle Kirche in Nahe mit ihren modernen Glasfenstern zeigt; mit der gut gelaunten Seniorengruppe im Café, die mir einen guten Weg wünscht und weiß: Der Weg ist das Ziel.

Auf einem Baumstamm ist ein Pilgerwegweise zu sehen.
Kurz hinter Kayhude trifft der Jakobsweg auf den Alsterwanderweg. Die Via Baltica verläuft hier ca. 35 Kilometer lang bis in die Innenstadt von Hamburg. © Antje Wendt, Nordkirche

Der Alsterwanderweg: Grünes Band in die Großstadt

Am fünften Tag biege ich nach wenigen Kilometern auf den Alsterwanderweg ein. Wieder ist es ein Fluss, der mir den Weg zeigt. Wie ein grünes Band schlängelt sich die Alster mit ihren dicht bewachsenen Rändern durch die Landschaft. Ich lasse Kayhude, Duvenstedt und Poppenbüttel hinter mir. Auch wenn das Umfeld immer städtischer wird, verliert die Alster nicht ihren naturnahen Charakter.

Asphaltierte Nebenstraße mit Knicks links und rechts, auf der eine Pilgerin wandert.
Nebenstraßen oder Teerbeläge sind leider nicht immer zu vermeiden, wenn man auf dem Jakobsweg pilgert. © Antje Wendt, Nordkirche

Am S-Bahnhof Ohlsdorf geht meine Pilgertour zu Ende. Nur der Pilgerstempel der Sankt-Jacobi-Kirche muss noch sein. Deshalb steige ich in die nächsten Bahn Richtung Innenstadt ein. Nach fünf Tagen ausschließlich allein unterwegs, im Zwiegespräch mit der Natur um mich herum, dem Himmel über mir und mit meinen schmerzenden Füßen, sind mir die vielen Menschen und die Betriebsamkeit rundherum sofort zu viel.

Zufälligerweise findet in der Jacobi-Kirche gerade ein Orgelkonzert statt. Während ich lausche, kommt Euphorie in mir hoch. 125 Kilometer habe ich bewältigt. Und nein, leicht war der Weg nicht. Doch die Erleichterung, die ich jetzt spüre, mischt sich mit dem Gefühl, viel Ballast auf der Strecke gelassen zu haben. Nächstes Jahr werde ich wieder gehen.

Wichtig zu wissen

Anreise und Touren

Die Anreise zur Via Scandinavica und zur Via Baltica ist sehr gut mit der Bahn möglich:
- Via Scandinavica: Mit der Regionalbahn von Lübeck nach Neustadt, mit Halt in Bad Schwartau, Timmendorfer Strand, Scharbeutz und Sierksdorf. Von dort jeweils zu Fuß bis zum Jakobsweg.
- Via Baltica: Mit der Regionalbahn von Bad Segeberg über Bad Oldesloe nach Lübeck. Die Via Baltica führt direkt durch Bad Oldesloe sowie Reinfeld.
- Ein sehr guter Ausgangspunkt ist selbstverständlich auch Lübeck.

Die fünf Tagestouren sind im Outdoor-Reiseführer "Via Baltica" und "Via Scandinavica" (Conrad Stein Verlag) beschrieben. Ich habe mir die Etappen über die Wander-App Komoot nachgebaut und mich daran orientiert. Der überwiegende Teil der Strecken ist außerdem gut mit Hinweistafeln und -pfeilen ausgeschildert. 

Unterkünfte

Nur wenige Kirchengemeinden an der Via Baltica bieten Übernachtungsmöglichkeiten für Pilgernde an. Neben der Kirchengemeinde St. Jakobi in Lübeck ist dies die Kirchengemeinde in Nahe. Auch das Kloster Nütschau stellt Pilgernden in der Regel eine Unterkunft zur Verfügung. In allen Fällen gilt: Die Übernachtung muss vorab vereinbart werden. Benötigt werden ein Pilgerpass und ein Schlafsack.

Darüber hinaus bieten Dorfgasthöfe und Hotels eine gute Alternative. Auf meinem Weg habe ich im Hotel Stadt Reinfeld und im Dorfkrug Grabau sehr gute Erfahrungen gemacht.

Verpflegung und Pilgerstempel

Verpflegung ist nur in größeren Ortschaften möglich; tagsüber gibt es auf der direkten Strecke kaum Einkaufsmöglichkeiten. Es empfiehlt sich daher, ausreichend Wasser und etwas Proviant mitzunehmen.

Den Pilgerstempel erhält man in der Regel während der Bürozeiten in Gemeindebüros oder direkt in der Kirche. Außerhalb der Öffnungszeiten sind Stempel leider nicht erhältlich.

 

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