Das Müttertelefon nimmt die Last, alles perfekt machen zu müssen
11. Februar 2021
Das Familienmanagement ist häufig Sache der Mütter. Was schon zu normalen Zeiten keine leichte Aufgabe ist, wird in der Pandemie für viele zur Zerreißprobe. Am Müttertelefon erfahren sie Zuspruch von anderen Frauen – anonym und kostenfrei.
"Die Belastungen von Müttern haben sich in der Coronakrise deutlich verschärft", sagt Margit Rehmund-Hess. Sie ist Coach und engagiert sich seit vier Jahren ehrenamtlich beim Hamburger Müttertelefon, einem kostenlosen anonymen Gesprächsangebot, das in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag feiert.
Über permanente Überlastung reden
Jeden Abend zwischen 20 und 22 Uhr, also wenn die Kinder im Bett sind, können Mütter aus ganz Deutschland mit einer von 40 ehrenamtlich Engagierten sprechen – selbst allesamt Mütter. Der gleichnamige gemeinnützige Verein kooperiert mit dem Bereich "Diakonie + Bildung" im Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost.
Das Müttertelefon ist jeden Abend zwischen 20 und 22 Uhr besetzt. Es ist erreichbar unter der Rufnummer 0800-3332111, anonym und kostenfrei.
"Die Mütter, mit denen ich derzeit spreche, sind verzweifelt, dass sie ihr Bild von der vorbildlichen Mutter nicht aufrechterhalten können", erzählt Margit Rehmund-Hess, "sie lieben ihre Kinder ja und wollen für sie nur das Beste". Dabei bilde die aktuelle Situation permanente Überlastungen von Müttern wie unter einem Brennglas ab.
Firmen tun etwas gegen Stress, Familien nicht
Margit Rehmund-Hess, die beruflich vor allem Organisationen berät, sagt: "In Unternehmen gibt es so etwas wie betriebliches Gesundheitsmanagement, in Familien gibt es das nicht. Doch Mütter sind eben nicht unbegrenzt belastbar." Gleichzeitig fehle es allgemein an einer Wertschätzung gegenüber dem, was Mütter täglich leisteten, bedauert Rehmund-Hess: "Ich glaube, dass die Frauen es sonst nicht mehr erleben, dass ihnen so zugehört wird wie bei uns. Manche weinen auch, auch das ist heilsam".
Sie beobachtet, dass die Coronakrise traditionell ungleiche Belastungen verstärke: "Auch wenn beide Elternteile arbeiten, sind es doch häufig die Mütter, die am Küchentisch mit Laptop arbeiteten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Väter im Arbeitszimmer nicht gestört werden dürfen", erzählt sie.
Erfreulich sei, dass sich in den letzten Wochen mehrere Frauen gemeldet hätten, die beim Müttertelefon mitarbeiten wollen. "Die haben gesehen, wie es den Müttern in ihrer Nachbarschaft geht und wollen einen kleinen Teil dazu leisten, dass sich gesellschaftlich etwas ändert."
Hochachtung vor Leistung der Mütter
Bereits seit zwanzig Jahren engagiert sich Martina Trautmann in ihrer Freizeit beim Müttertelefon. Die aktuelle Not der Mütter spürt sie deutlich: "Die Gespräche dauern viel länger als sonst, oft bis zu einer Stunde. Da ist ein großer Bedarf bei den Frauen, und sie sind so dankbar, dass jemand da ist, der ihnen einfach mal zuhört."
Martina Trautmann entdeckte das Müttertelefon, als sie von einem Auslandsaufenthalt zurück nach Deutschland kam: "Ich hatte in den USA eine ganz selbstverständliche Kultur des ehrenamtlichen Engagements kennengelernt, die ich hier weiterleben wollte. Vor Müttern habe ich immer eine große Hochachtung gehabt, angefangen von meiner Mutter, die drei Kinder großgezogen hat. Das macht sich nicht so nebenbei. Da ist ganz viel Liebe und Arbeit nötig."
Ziel ist es, den Blick auf Positives zu lenken
Und ab und zu ein offenes Ohr: "Wir verstehen uns zwar als Profis, nehmen aber die Rolle einer mütterlichen Freundin ein. Die Frauen kennen ihre Themen meist ganz genau, sie wollen keine Ratschläge, sondern sich einfach mal aussprechen." Die Frauen, die beim Müttertelefon mitarbeiten wollen, kommen aus sozialen Berufen, sind Lehrerinnen, Büroangestellte und Naturwissenschaftlerinnen. Sie erhalten eine gründliche Einführungsschulung für den Dienst am Telefon, dazu fortlaufend Weiterbildungen – derzeit digital – sowie regelmäßig Supervision.
Die Telefonate erfüllten sie, erzählt Martina Trautmann: "Manchmal habe ich schon gedacht, dass ich gar nicht helfen konnte, doch dann bedankte sich die Frau und war so glücklich, dass man ihr einfach mal nur zugehört hat. Oder sie weint am Anfang, und wenn wir es schaffen, den Blick vom Schweren weg und hin zu dem zu lenken, was toll ist an ihren Kindern oder was sie früher gerne gemacht hat, dann können wir am Ende sogar zusammen lachen."