Die kleinen Helden aus der Vorstadt
01. August 2013
Kiel. Sie tanzen lieber Hip-Hop, statt sich mit anderen zu prügeln, und lernen dabei auch sonst für das Leben. Die Fatality Crew aus der Kieler Großsiedlung Mettenhof hilft Jugendlichen, soziale Schranken zu überwinden. Von der Stadt gab es dafür schon den Kulturpreis.
Tina legt den Kopf in den Nacken und wischt sich erst mal eine lange Strähne aus dem Gesicht. 14 Jahre alt ist sie, „aber bald 15!“, wie sie gleich präzisiert, gerade ist sie im Jugendbüro Mettenhof eingetroffen, um zusammen mit einigen anderen Jugendlichen Breakdance zu üben. „Der geht’s richtig gut hier, sie versteckt sich nicht mehr hinter Mamas Bein“, ruft von hinten aus dem Türrahmen die stolze Mutter. „Ich bin mutiger geworden und lasse mir nichts mehr gefallen“, sagt nun die bald 15-Jährige. Auch der elfjährige Kyan ist von seiner Mutter zum Training gebracht worden. Seit zwei Jahren bereits tanzt der Junge mit den langen Haaren in der Gruppe, „seine frühere Schüchternheit ist jetzt weg“, erzählt die Mutter.
Fatality-Crew - den Namen haben die Jugendlichen selbst ausgesucht
An manchen Tagen sind es bis zu 30 Mädchen und Jungen, die sich in dem Jugendbüro treffen, um von dem 35-jährigen Jakub Schöning in die Geheimnisse vom Breakdance eingewiesen zu werden. Seit sechs Jahren bereits gibt es das Projekt, das mittlerweile über die Grenzen dieser Kieler Großraumsiedlung hinaus Anerkennung gefunden hat.
Die Fatality Crew, so der von den Jugendlichen selbst ausgesuchte Name der Breakdance-Formation, gilt als gelungenes Beispiel dafür, wie Kindern und Jugendlichen aus einem lange als benachteiligt geltenden Wohnviertel eine sinnstiftende Auseinandersetzung mit Normen und Werten vermittelt werden kann. Und wie dabei kulturelle und soziale Grenzen zwischen einzelnen Teilnehmern überbrückt werden. 2010 erhielt die Gruppe den Kulturpreis der Stadt Kiel für ihr „großes kreatives und zeitliches Engagement“ bei der Auseinandersetzung mit „Breakdance als subkultureller Ausdrucksform“.
In den 1960er-Jahren war, vergleichbar zu ähnlichen Projekten in anderen großen Städten, auf grünen Wiesen am Rande Kiels mit dem Bau der Großsiedlung Mettenhof begonnen worden. Und ebenfalls wie in anderen Großsiedlungen waren auch in Mettenhof bald die Nachteile dieser Art von Wohnungspolitik festzustellen: Ein monostrukturierter Stadtteil war entstanden ohne allzu viele kulturelle Angebote, in dem vor allem Menschen mit geringem Einkommen, unter ihnen viele mit Migrationshintergrund, ein neues Zuhause fanden. Mittlerweile ist das Wohnumfeld aufgebessert worden, rund 18.500 Menschen leben heute in Mettenhof.
Jakub Schöning: Bei uns tanken Jugendliche Selbstvertrauen
Wenn man mit Jakub Schöning, dem Breakdance-Trainer, über sein Mettenhofer Projekt spricht, dann ist immer wieder von Selbstvertrauen die Rede. Schöning weiß um die nicht immer einfache soziale Situation vieler Jugendlicher in dem Viertel. „In unserer Gruppe tanken sie Selbstvertrauen und nehmen es mit ins Elternhaus“, sagt Schöning dann, „das macht sie stark.“ Er selbst habe bis zu seinem 18. Lebensjahr auch „nur rumgegammelt und nichts gemacht.“ Dann lernte er Hip Hop und Breakdance kennen und machte sich nach seinem Lehramtsstudium auf Sport und Physik als Tanzlehrer selbstständig. Breakdance, sagt Schöning, „umfasst dein ganzes Leben. Es weckt Ehrgeiz, baut Blockaden und Ängste ab. Die Beschäftigung mit Breakdance macht Menschen offener und gibt ihnen Selbstvertrauen.“
"Hip-Hop ist Ausdruck gegen die Gewalt von Jugendgangs"
Breakdance ist Teil der Hip-Hop-Kultur und entstand in den 1970er-Jahren vor allem unter afro- und puertoamerikanischen Jugendlichen in der New-Yorker Bronx. Bis heute gilt er als Ausdrucksform gegen die Gewalt von Jugendgangs und begreift sich als frei von Rassen- und Geschlechtsgrenzen. Statt sich miteinander zu prügeln, wird in so genannten Battles gegeneinander getanzt. „Breakdance“, sagt Jakub Schöning in Kiel-Mettenhof, „ist ein Training für das Leben, Training dafür, wie man sich einbringen kann. Die Kids lernen, sich nicht zu prügeln, wenn jemand mal schief angeguckt wird, sie lernen aber auch, sich nicht in irgendeiner Ecke zu verstecken.“ Beim Training sei wichtig, den anderen nicht auszulachen: „Jeder weiß, dass Fehler dazugehören, man darf bloß nicht aufgeben.“
Soziale Grenzen fallen weg, ist Schöning überzeugt. „Es spielt keine Rolle, ob die Arzttochter mittanzt oder der Sohn vom Hartz-IV-Bezieher, die Jugendlichen bewerten sich gegenseitig nur in ihrer Rolle als Tanzende, nicht vor ihrem sozialen Hintergrund. Es geht darum was man kann, nicht was man ist“ Statussymbole spielten keine Rolle, ein jeder werde so angenommen, wie er oder sie ist. Als Breakdancer besondere Übungen vollführen zu können, gebe Selbstsicherheit auch bei anderen Aufgaben. Schöning: „Man merkt, ich bin vielleicht schlecht in der Schule, aber ich kann trotzdem was leisten. Und vielleicht klappt das künftig ja auch in der Schule.“ Einige aus der Gruppe wollen später studieren, „vor fünf Jahren“, sagt Trainer Schöning, „hätte man das bei ihnen nicht gedacht.“
Stolz ist man in der Mettenhofer Gruppe auch auf einen Jugendlichen aus Afghanistan. Vor einem Jahr war der ohne seine Eltern allein nach Deutschland gekommen und gleich bei den Breakdancern gelandet, inzwischen spricht er gut Deutsch und ist fest integriert. „Die Gruppe hat ihm Kraft gegeben“, so der Trainer, „er ist in seinem neuen Leben inzwischen sehr gut angekommen.“
"Die Leute mögen uns und erwarten Qualität"
Die Mettenhofer Fatality Crew istan diesem Tag inzwischen nach draußen auf die Mettenhofer Straßen und Plätze gegangen, um zu üben und auszuprobieren. Man darf nicht nachlassen dabei, das wissen die Jugendlichen. Regelmäßig treten sie vor Publikum auf, „die Leute mögen uns und erwarten Qualität“, sagt einer. Auch Kyan, der junge Tänzer, ist jetzt ganz versunken in seinen Bewegungen. „Tanzen“, hatte er vorher noch gesagt, „ist wie Ferien für mich, das ist Erholung und Entspannung vom ganzen Tag.“