Hinz&Kunzt-Chefredakteurin geht in den Ruhestand
18. Dezember 2020
Sie war 25 Jahre lang beim Hamburger "Hinz & Kunzt" und baute es zum Flaggschiff der deutschen Straßenmagazinen auf. Jetzt geht Birgit Müller in den Ruhestand und überlässt Annette Bruns das Steuer.
Birgit Müller gehörte 1993 schon zum Gründungsteam des Magazins, kurze Zeit später kündigte sie ihre Stelle beim Hamburger Abendblatt und wurde 1996 Chefredakteurin des Magazins, das heute das auflagenstärkste der deutschen Straßenmagazine ist.
Arbeit nach Londoner Vorbild
Die Idee für eine neue Zeitung hatte Hamburgs Diakonie-Chef Stephan Reimers: Obdachlose sollten ein journalistisch anspruchsvolles Magazin verkaufen. Einen Teil der Einnahmen behalten sie. Vorbild war das Londoner Straßenmagazin "Big Issue". Wenige Wochen vor "Hinz&Kunzt" wurde "Biss" in München gestartet. Im November 1993 erschien dann das Hamburger Blatt mit einer Auflage von 30.000 – und die musste prompt erhöht werden.
Mit "Dreistigkeit" sei sie ans Werk gegangen, sagt Birgit Müller heute rückblickend. Sie habe bis dahin kaum persönliche Begegnungen mit Obdachlosen gehabt. Mühsam habe sie gelernt, dass sie nicht nur eine Wohnung brauchen, sondern vor allem Zeit, um ihr Leben nachhaltig zu ändern. Sie selbst habe viele Vorurteile gehabt, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Oft werde gesagt, Obdachlose sollten "eine zweite Chance" bekommen, sagt Müller. "Die meisten haben ja nicht mal eine erste gehabt." Bei manchen sei die Angst vor dem Scheitern so groß, dass sie gar nichts Neues anpacken können.
Magazin deckt Skandale auf
Als Chefredakteurin war ihr von Anfang an wichtig, dass die Zeitung von Profis gemacht wird. So hat das Blatt die Arbeitsbedingungen von Zimmermädchen in Hamburger Hotels öffentlich gemacht, einen Immobilien-Skandal bei der Vermietung an Hartz-IV-Empfänger und die katastrophalen Zustände in der Fleischindustrie. Müller: "Das war lange vor Tönnies."
Doch ihr war immer wichtig, die Zuversicht nicht aus dem Blick zu verlieren. "Bloß kein Jammerblatt!", sei ihre Devise. So gehört Kultur bis heute zum Markenkern. Von dem frühen Redaktionsteam sind die meisten immer noch dabei. 2016 erhielt Müller das Bundesverdienstkreuz.